Guido Rohrer: Sie könnten nicht individueller abnehmen als mit dieser App. Das Prinzip ist: Sie laden die App herunter und speisen Ihre Daten ein, z. B. Körpergewicht, Körperfettanteil und andere Körperdaten etwa aus der Smartwatch oder Laborwerte. Die App kann daraus einen perfekt auf Ihren Körper, auf Ihre Genetik und auf Ihre individuelle Konstitution abgestimmten Ernährungs- und Trainingsplan erstellen. Sie vereint viele Disziplinen in einem – Medizin, Ernährungsberatung, Fitness und so weiter. Viele Menschen holen sich ihre Tipps von Freunden, aus dem Fitnessstudio oder etwa über YouTube. Jemand, der mehr Begleitung möchte, der auch öfter nachfragen will und der Schwierigkeiten hat, sich selbst eine Tagesstruktur zu erstellen und diese mit Disziplin zu verfolgen, könnte davon profitieren.
Ist die App besser als die einzelnen Disziplinen?
Sie ist genauso gut, wie wenn Sie diese ganzen Teilbereiche zusammenfügen. Natürlich könnten die Vertreter der einzelnen Disziplinen das gemeinsam mit Ihnen erarbeiten. Aber sie sind im Unterschied zur App nicht ständig verfügbar. Sie können die App laufend nutzen, Sie können nachfragen. Wenn Sie um 16 Uhr eine Heißhungerattacke haben, können Sie sofort nachfragen, was Sie jetzt am besten tun können und die App beantwortet es Ihnen. Und das alles kostenlos oder in der bezahlten Version zu einem sehr günstigen Preis. Gleichzeitig ist es eine sehr neue Technologie und man muss kritisch sein. Bei Zweifeln oder einer fraglichen Plausibilität sollte man immer einen Experten fragen.
Sie schreiben im Buch, dass ChatGPT die Antwort "Ich weiß es nicht" nicht gibt und auch lügen kann. Kann man das erkennen?
Ich denke, ja. Mit gesundem Hausverstand ist es erkennbar. Ich habe zum Beispiel nach einer Diät bestehend aus Parmesan und Rotwein gefragt und einen unsinnigen Ernährungsplan, der de facto nur aus diesen beiden Elementen besteht, erhalten. Die App ist darauf programmiert, uns zu gefallen. ChatGPT ist eine Konfabulantin. Die KI kann sehr gut lügen und ganz charmant etwas daher erzählen. Das muss man sich bewusst machen. Das oberste Gebot ist, Distanz zu wahren. Man muss überlegen, was man fragt und sollte Suggestivfragen vermeiden, da die Antworten einem sonst sehr entgegenkommen. Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass nicht wirklich grober Unfug erzählt wird. Nur, wenn man es herausfordert, wie im Parmesan-Beispiel.
Gibt es trotzdem Gefahren bei Fragen zum Abnehmen? Würde die App einen Ernährungsplan erstellen, mit dem man ungesund abnimmt, etwa drei Kilogramm pro Woche?
Es ist wichtig, sich dieser Dinge bewusst zu sein. Generell sollte man sich beim Abnehmen realistische und rationale Ziele setzen. Hohe Gewichtsabnahme in kurzer Zeit ist bestimmt nicht nachhaltig. Menschen mit einer Essstörung sollten beispielsweise davon Abstand nehmen, sich von ChatGPT Abnehmtipps geben zu lassen. Es ist eine sehr junge App, die fehlerbehaftet und nur auf Nachfragen fehlereinsichtig ist. Es gibt Regeln, die man bei der Benutzung beachten sollte. Wenn man es aber entspannt angeht und die App für sich arbeiten lässt, nimmt man ab, ohne dass man es wirklich merkt. Man erahnt das Transformationspotenzial für unsere Gesellschaft – im Positiven, wie im Negativen. Es ist interessant, sich damit auseinanderzusetzen, weil künstliche Intelligenz auf uns alle in vielen Lebensbereichen zukommen wird.
Stichwort Datenschutz: Halten Sie es für problematisch, Blutwerte und ähnliche Daten einzugeben?
Natürlich muss man kritisch sein bei allen Formen von Daten im Internet. Die Hersteller behaupten, dass es ein geschlossener Raum ist. Ich denke bei Körperdaten ist es wenig problematisch, wenn irgendwann durch ein Datenleak ein erfolgreicher oder fehlgeschlagener Abnehmversuch ans Licht kommt. Es gibt aber gewisse Erkrankungen, etwa psychiatrische Vorerkrankungen, die ein Stigma haben und Einfluss auf Versicherungen haben könnten, wo ich mit der Eingabe vorsichtig wäre.
Sie schreiben, dass die Medizin an einem Wendepunkt steht, was künstliche Intelligenz angeht.
Ich denke, je mehr Maschinen zum Einsatz kommen, je effizienter die Prozesse werden, desto mehr werden die Maschinen uns die Arbeit abnehmen. Dadurch entsteht ein Vakuum, das durch andere Tätigkeiten gefüllt werden kann. Es wird immer jemanden brauchen, der Patienten begleitet. Die soziale Komponente in der Medizin und die menschliche Empathie werden heute vollkommen unterschätzt. Ich würde mich niemals ausschließlich von einem Computer behandeln lassen und die Kommunikation darauf beschränken. Gerade dieser Service-Gedanke wird im medizinischen Bereich viel stärker in den Vordergrund treten und unter Umständen wird vielleicht auch mehr Zeit dafür sein. Ich versuche diesen technologischen Umbruch sehr optimistisch zu sehen.
Kritiker sagen, wenn man alles fragen kann, alles beantwortet bekommt, dass man selbst gar nicht mehr so viel überlegen muss. Sehen Sie dieses Risiko auch?
Natürlich wird sich die Gesellschaft mit künstlicher Intelligenz transformieren. Man kann als Schüler heutzutage Hausaufgaben fotografieren und die App macht einen perfekten Lösungsvorschlag. Sie kann mit wenigen Stichworten in kürzester Zeit eine Erlebniserzählung schreiben. Ich glaube schon, dass gewisse Fähigkeiten verlorengehen werden, auch bei uns in der Medizin. Wir haben früher, vor 30, 40 Jahren in der Radiologie fast nur geröntgt. Da gab es noch keine Schnittbildgebung (Das untersuchte Körperteil wird schichtweise gescannt, z. B. bei MRT- oder CT-Untersuchungen, Anm.). Heutzutage wird fast nur mehr Schnittbildgebung gemacht. Die meisten können das Röntgen gar nicht mehr richtig. So sehe ich das auch bei künstlicher Intelligenz. Es wird sicher eine große Transformation der Gesellschaft geben und es werden sich gewisse Tätigkeiten verlagern.
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