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Bestimmte Antidepressiva lassen Gehirn leichter umlernen
Wiener Wissenschafter zeigten im Fachblatt "NeuroImage", dass SSRIs Gehirn offenbar flexibler machen.
Eine Studie von Wiener Forschern zeigt, dass selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) im Gehirn Prozesse anstoĂen, die die AufnahmefĂ€higkeit verĂ€ndern. Studienteilnehmer taten sich nach der Gabe eines Antidepressivums beim Umlernen von GedĂ€chtnisaufgaben leichter. SSRIs erhöhen demnach die FlexibilitĂ€t (PlastizitĂ€t) in bestimmten Hirnregionen. Im Zusammenhang mit Depressionen dĂŒrften sie Patienten vor allem wieder neue EindrĂŒcke und Sichtweisen eröffnen.
Durch SSRIs wird nicht der im Volksmund oft als "GlĂŒckshormon" bezeichnete Nervenbotenstoff Serotonin selbst zugefĂŒhrt, sondern es wird dessen RĂŒcktransport in die Zellen gehemmt, in dem der Serotonintransporter (SERT) in den Zellmembranen blockiert wird. Dadurch erhöht sich die verfĂŒgbare Menge an Serotonin im Nervengewebe. Im Gehirn beeinflusst die AktivitĂ€t des Serotonintransporters neuronale Netzwerke, die bei Depressionen verĂ€ndert sind. Seit mehr als 30 Jahren werden daher die relativ nebenwirkungsarmen SSRIs intensiv in der Behandlung der durch Antriebslosigkeit, Niedergeschlagenheit und einem GefĂŒhl der psychischen LĂ€hmung gekennzeichneten, weitverbreiteten Störung eingesetzt.
Balance zwischen Hirngebieten Àndert sich
Sie bringen in der Regel nach einigen Wochen der Einnahme bei zumindest zwei Drittel der Betroffenen gute bis moderate Verbesserung mit sich, heiĂt es am Montag in einer Aussendung des Wissenschaftsfonds FWF. Wie genau sie im menschlichen Gehirn ihre Wirkung entfalten ist aber noch nicht vollstĂ€ndig geklĂ€rt.
Aus Tierversuchen war bereits bekannt, dass SSRIs eine wichtige Rolle beim Erinnern oder Lernen bzw. beim Umbauen oder VerÀndern von Lerninhalten spielen. Die VerÀnderbarkeit oder PlastizitÀt des Gehirns, die es ermöglicht, neue Verbindungen zwischen den unglaublich vielen Nervenzellen herzustellen oder bestehende umzugestalten, bildet die Grundlage unserer kognitiven FÀhigkeiten. Die PlastizitÀt nimmt allerdings mit zunehmendem Alter ab, wie sich etwa unschwer beim Memoryspielen mit kleinen Kindern nachvollziehen lÀsst.
In seiner in der Fachzeitschrift "NeuroImage" beschriebenen Untersuchung hat ein Team um den Leiter des Neuroimaging Lab der UniversitĂ€tsklinik fĂŒr Psychiatrie an der Medizinischen UniversitĂ€t Wien, Rupert Lanzenberger, den Einfluss von SSRIs darauf untersucht. Im Rahmen der Studie lernte eine Gruppe von insgesamt 80 gesunden Teilnehmern ĂŒber sechs Wochen tĂ€glich unbekannte Gesichter paarweise zusammenzufĂŒhren. Die andere Gruppe beschĂ€ftigte sich mit dem Zuordnen chinesischer Schriftzeichen zu Worten.
Das taten die Teilnehmer zuerst drei Wochen lang ohne SSRI. Dann begann die Einnahme des Medikaments oder eines Placebos ĂŒber drei Wochen. In diesem Zeitraum fand auch ein Umlernprogramm mit neuen Gesichtspaaren und Zeichen-Wort-Paaren statt. Vor wĂ€hrend und nach dem Programm wurde das Gehirn mittels Magnetresonanzspektroskopie durchleuchtet und die Konzentrationen wichtiger Nervenbotenstoffe gemessen.
TatsĂ€chlich zeigten sich sichtbare VerĂ€nderungen im Gehirn jener Personen, die auch wirklich SSRIs erhielten, in fĂŒr das Lernen wichtigen Hirnarealen. "In den Bildgebungsdaten konnten wir eine verĂ€nderte Balance nachweisen. Manche Gebiete werden stĂ€rker gehemmt als andere, die Balance zwischen verschiedenen Hirngebieten Ă€ndert sich und auch die StĂ€rke der Kommunikation zwischen den Hirnarealen", so Lanzenberger.
Die derart erhöhte PlastizitĂ€t scheint demnach "ein wesentlicher Wirkungsmechanismus von SSRIs" zu sein. GewissermaĂen könne das Gehirn mit Hilfe der Medikamente ein StĂŒck weit wieder fĂŒr neue EindrĂŒcke und Sichtweisen geöffnet werden. Bei der Suche nach neuen Antidepressiva sollte daher auch auf Substanzen gesetzt werden, die versprechen, die NeuroplastizitĂ€t zu erhöhen, so die Wissenschafter.
Umgelegt auf die Depression scheine es nĂ€mlich, dass SSRIs nicht direkt die Stimmung aufhellen. Eher verĂ€ndern sie die Offenheit fĂŒr Umlernprozesse. "Wir sehen, dass die Medikation bei Depressionen oft nur der erste Schritt ist. Ebenfalls wichtig sind die begleitende Psychotherapie und verĂ€nderte Umwelterfahrungen, und diesen Vorgang können wir ebenfalls als eine Art Umlernprozess unter erhöhter PlastizitĂ€t sehen", so Lanzenberger. Unter gĂŒnstigen Bedingungen könne all das im Zusammenspiel einen Weg aus der Erkrankung weisen.
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