Feinsinnige Erzählung: Anna, Alzheimer und ihr Klavier
Zum Abschied drückt sie ihm noch liebevoll einen Kuss auf die Wange. Seit 54 Jahren ist sie mit ihm verheiratet, ja, glücklich verheiratet. Er folgt ihr dann zur Eingangstür, wo bereits ihr ebenso geliebter Trüffelsuchhund „Otto“ – mit dem Schwanz wedelnd – auf sie wartet. Sie wäre wieder ohne ihr Ortungsgerät außer Haus gegangen. Was in jeder Hinsicht nicht gut ist.
Ihr Mann, der Professor im Ruhestand, erinnert sich: „Einmal, es war an einem Winterabend, ist sie in den falschen Bus eingestiegen, ich konnte sie nicht orten, bat dann die Polizei um Hilfe, zwei Polizisten fanden sie kurz vor Mitternacht in einem ganz anderen Bezirk.“
Er leitete eine angesehene Universität, hatte täglich viel mit Menschen zu tun. Seit nunmehr zehn Jahren lebt „Lorenz Nachtigall“, wie er sich in seinem Buch nennt, in erster Linie mit und für seine geliebte Frau. Die nennt er in seinem Buch Anna, um sie vor neugierigen Blicken der Öffentlichkeit zu schützen.
„Ich bin dem Leben nicht böse“, betont der emeritierte Professor im Gespräch mit dem KURIER. Ein sehr guter Freund habe zu ihm gesagt: „Du bist ein Weltmeister im Verdrängen.“ Er hält dagegen: „Ich hatte nie im Leben große Erwartungen. Ich bin damit immer zurechtgekommen.“
15 Minuten sind nunmehr vergangen, seitdem Anna das Haus verlassen hat. Auf dem iPad des Professors ist sie ein kleiner Punkt, der Richtung eines nahen Parks unterwegs ist. Nach exakt 29 Sekunden springt der Punkt ein Stück weiter, näher ran zum Park. „Alles unter Kontrolle.“
Kommentare