Kurzsichtigkeit und Altersweitsicht: Was hilft wirklich?
Zusammenfassung
- Tageslicht und gezielte Therapien wie DIMS-Gläser, spezielle Kontaktlinsen und niedrig dosierte Atropin-Tropfen bremsen das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit, besonders bei Kindern.
- Moderne Verfahren wie Laseroperationen, implantierbare Linsen und torische Linsen ermöglichen heute präzise Korrekturen von Fehlsichtigkeiten und Hornhautverkrümmungen.
- Für die Altersweitsicht kommen EDOF-Linsen und neue Augentropfen zum Einsatz, während die Forschung an biologischen Lösungen und selbstanpassenden Linsen arbeitet.
"Zwei Stunden am Tag ins Freie, das ist die beste Prävention gegen Kurzsichtigkeit“, sagt Assoc. Prof. Dr. Christina Leydolt, Universitätsklinik für Augenheilkunde und Optometrie der Medizinischen Universität Wien. „Kinder mit kurzsichtigen Eltern haben zwar ein höheres Risiko, auch kurzsichtig zu werden, aber entscheidend ist das Verhalten.“ So banal, so effektiv: „Der Mensch braucht Tageslicht, um das übermäßige Wachstum des Auges zu verhindern, das zeigen große Studien.“
Die Realität sieht leider anders aus: Kinder sitzen drinnen, Jugendliche starren auf Tablets, Erwachsene verbringen Stunden vor dem Bildschirm. Der stete Fokus auf Nähe hat Folgen. Von einer „Epidemie der Kurzsichtigkeit“ ist die Rede: „In Ostasien sind bis zu 90 Prozent der Jugendlichen von Myopie betroffen, auch in Europa nimmt die Zahl stetig zu“, sagt Leydolt. Was dabei „anatomisch“ passiert: „Der Augapfel ist im Verhältnis zur Brechkraft der Linse zu lang, sodass einfallende Lichtstrahlen bereits vor der Netzhaut gebündelt werden. Dadurch erscheinen entfernte Objekte unscharf, während nahe Gegenstände klar gesehen werden können.“
Kurzsichtigkeit bremsen
Zum Glück hat sich therapeutisch viel getan. „Heute können wir das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit bremsen.“ Besonders erfolgversprechend sind sowohl DIMS-Brillengläser (Defocus Incorporated Multiple Segments) als auch spezielle Kontaktlinsen. Beide beruhen auf demselben Prinzip: Sie erzeugen in der Netzhautperipherie eine gezielte Unschärfe, während das Sehen in der Mitte klar bleibt. Diese optische „Bremswirkung“ scheint das übermäßige Längenwachstum des Auges zu hemmen und kann das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit verlangsamen, vor allem bei Kindern. Zusätzlich können niedrig dosierte Atropin-Augentropfen das Augenwachstum dämpfen. „Diese Kombination wirkt am besten“, sagt Leydolt. Die Tropfen müssen aber über längere Zeit, meist mehrere Jahre, regelmäßig angewendet werden, um den Effekt zu halten.
Augenexpertin Univ.-Prof. Christin Leydolt
Wenn der Laser zum Einsatz kommt
Bei Erwachsenen, die ihre Brille loswerden wollen, kommt Hightech ins Spiel. „Wenn die Sehstärke stabil ist, kann man ab 18 Jahren lasern“, erklärt sie. Das Prinzip ist immer dasselbe: „Man nimmt minimal Hornhautgewebe weg, um die Brechkraft des Auges zu verringern.“ Bei der Femto-LASIK-Methode, dem häufigsten Verfahren, wird zuerst ein hauchdünner Deckel („Flap“) in die Hornhaut eingeschnitten und weggeklappt. „Das macht der Femtosekunden-Laser, der sehr präzise schneiden kann. Danach trägt ein zweiter Laser das Gewebe darunter ab – er verdampft winzige Schichten, um die Brechkraft zu schwächen.“
Andere Methoden wie die PRK (Photorefraktive Keratektomie) lasern direkt an der Oberfläche. „Das ist das älteste Verfahren.“ Ganz neu ist die SMILE-Technik, bei der gar kein „Flap“ mehr nötig ist. „Da wird mit dem Laser durch einen winzigen Zugang ein hauchdünnes Hornhautscheibchen herausgeschnitten.“ Der Vorteil: weniger trockene Augen, eine schnellere Heilung, kaum Schmerzen. Allerdings fehlen noch entsprechende Langzeitdaten. Wichtiger Punkt: Laser-OPs gelten heute als Routine, sind aber keine Bagatelle. „Es bedeutet immer, dass Nerven in der Hornhaut durchtrennt werden.“ Wer sich aber darauf einlässt, erlebt oft eine Art Wiedergeburt des Sehens.
Linsen, die implantiert werden
Neben dem Laser erobern implantierbare Linsen (ICL) den Markt. „Ab etwa minus zehn Dioptrien wird die Hornhaut zu dünn, um sie gefahrlos zu behandeln. Dann setzen wir eine zusätzliche Linse vor die körpereigene ein“, erläutert Leydolt. Ein elegantes Verfahren, das ein sehr natürliches Seherlebnis ermöglicht. „Wir können damit bis minus 20 Dioptrien korrigieren. Die Ergebnisse sind stabil, die Zufriedenheit ist hoch.“
Auch eine Hornhautverkrümmung (Astigmatismus)– lässt sich mittlerweile präzise ausgleichen. „Die Hornhaut ist dabei nicht rund wie ein Fußball, sondern ähnelt eher einem Rugbyball“, sagt sie. So würde das Licht ungleich gebrochen und das Bild verzerrt. Die Therapie der Wahl: torische Linsen, die unterschiedliche Krümmungen in zwei Richtungen und so eine unregelmäßig geformte Hornhaut ausgleichen. Das Licht wird wieder genau auf der Netzhaut gebündelt. Leydolt: „Mit kombinierten Verfahren – Laser plus Linse – können wir das heute perfekt korrigieren.“
Und dann: die Alterssichtigkeit
Ab Mitte 40 verändert sich der Blick erneut. Die Linse verliert ihre Elastizität, plötzlich reicht die Armlänge nicht mehr zum Lesen. „Das betrifft letztlich alle – kurzsichtig, weitsichtig, egal“, sagt Leydolt. „In jungen Jahren kann sich die Linse wie ein Zoom-Objektiv abkugeln. Ab 45 wird sie starrer.“ Die „Presbyopie“ ist da. Nun beginnt die Suche nach der optimalen Lösung. „Ab 50 macht Lasern kaum noch Sinn, da kommen Linsen ins Spiel“, erklärt Leydolt. „Heute verwenden wir sogenannte EDOF-Linsen – Extended Depth of Focus. Sie erweitern die Tiefenschärfe und ermöglichen scharfes Sehen von der Ferne bis zum Mittelbereich. Viele können dann ohne zusätzliche Brille Autofahren, am Computer arbeiten oder im Supermarkt Etiketten lesen. Nur für längeres Lesen oder feine Arbeiten sei manchmal noch eine kleine Lesebrille angenehm.
Hoffnung machten zuletzt Meldungen über neue Augentropfen gegen Alterssichtigkeit. In den USA hat die Arzneimittelbehörde FDA erstmals ein Präparat zugelassen, das das Sehen in der Nähe verbessern soll. Es soll – ähnlich wie eine Kamerablende – die Pupille leicht verengen, wodurch die Tiefenschärfe steigt. In Europa sind die Tropfen bislang nicht zugelassen. Leydolt dazu: „Das Prinzip ist alt, das gab es schon in den 1970ern gegen Grünen Star. Aber es ist kein Wundermittel: Man sieht tagsüber näher scharf, nachts schlechter. Ich wäre vorsichtig, das gehört in ärztliche Hand. Viele wünschen sich völlige Brillenfreiheit. „Aber man muss ehrlich sein: Perfektes Sehen in jeder Entfernung gibt es nicht.“ Bei Kurzsichtigkeit könne man Brillenfreiheit erreichen, bei der Alterssichtigkeit ist es immer ein Kompromiss. Und: Nicht jedes Auge ist geeignet. „Wenn die Hornhaut zu dünn ist oder die Augen zu trocken sind, raten wir ab. Mein Kollege sagt dann immer: Tragen Sie Ihre Brille mit Fassung.“
Die Zukunft der Augenmedizin
Da gilt: noch präziser, noch persönlicher „Wir arbeiten an Linsen, die sich selbst anpassen, an Nanomaterialien, die die Elastizität verbessern, und an KI-Modellen, die aufgrund biometrischer Daten voraussagen, welches Verfahren langfristig das beste Ergebnis liefert.“ An der MedUni Wien wird zudem erforscht, ob sich die natürliche Akkommodationsfähigkeit – also das Scharfstellen der Linse – eines Tages biologisch wiederherstellen lässt. „Vielleicht gelingt es uns, die Linse tatsächlich wieder elastischer zu machen. Das wäre die eigentliche Revolution – wenn man die natürliche Fokussierfähigkeit des Auges zurückgewinnen könnte, anstatt sie nur zu ersetzen.“ Die Forschung steht hier am Anfang, die Richtung ist klar: weg von rein technischen, hin zu biologischen Lösungen.
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