Hitlers (vermeintlicher) Mikropenis: Was die Analyse seiner DNA wirklich aussagt
Eine DNA-Analyse Hitlers soll Aufschluss über die Gesundheit des Diktators geben.
Hatte Adolf Hitler Autismus? War er bipolar oder litt an ADHS? Sogar von einem Mikropenis, also einem verkleinerten Geschlechtsorgan, ist die Rede. Grund für diese neu aufgekommenen Fragen ist eine Gen-Analyse der DNA des Diktators. Sie stammt aus einem Stoffstück mit eingetrocknetem Blut, das ein US-Soldat angeblich von jenem Sofa im Führerbunker in Berlin abgerissen haben soll, auf dem sich Hitler und Eva Braun 1945 das Leben nahmen.
Die bekannte kanadisch-britische Genetikerin Turi King präsentiert die Ergebnisse der DNA-Analyse in einer kürzlich ausgestrahlten britischen Fernsehdoku mit dem Titel "Hitler's DNA: Blueprint of a Dictator" (Deutsch: "Hitlers DNA: Blaupause eines Diktators").
King, die schon in der Vergangenheit Aufsehen erregte, etwa mit einer DNA-Analyse der Knochen von Richard III., will die DNA Hitlers entschlüsselt haben. Sie berichtet vom Kallmann-Syndrom, einer angeborenen Entwicklungsstörung, unter anderem der Hoden. Außerdem spricht sie davon, dass die Möglichkeit bestehe, Hitler hätte eine Veranlagung zur Schizophrenie, Bipolarität und Autismus gehabt und unter ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) gelitten.
Der österreichische Genetiker Markus Hengstschläger von der Medizinischen Universität Wien sieht die neuen Erkenntnisse kritisch. "Es gibt dazu noch keine wissenschaftliche Publikation. Ich kenne die Daten nicht, gehe aber davon aus, dass das analysierte Blut von Hitler stammen kann, da in genetischen Labortests ein Verwandtschaftsgrad nachgewiesen wurde. Bei der Interpretation der Ergebnisse muss man aber vorsichtig sein", sagt er.
Was ist das Kallmann-Syndrom und hatte Hitler es?
Das gefundene Kallmann-Syndrom ist eine seltene genetische Erkrankung, bei der zwei Dinge zusammen auftreten: ein fehlender oder stark geschwächter Geruchssinn sowie ein Mangel des Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH). Dieses Hormon steuert die Pubertät und die Geschlechtsentwicklung.
Fehlt es, bleiben die Sexualhormone zu niedrig, was sich etwa in einer ausbleibenden Pubertät zeigen kann. "Fünf bis zehn Prozent der Betroffenen haben einen verkleinerten Penis – man kann also nicht sagen, dass selbst, wenn Hitler das Kallmann-Syndrom hatte, er einen Mikropenis gehabt haben muss", erklärt Hengstschläger.
Hinsichtlich der Geschlechtsorgane gibt es aus einer Akte eines Gefängnisarztes, der Hitler 1923 untersuchte, einen Hinweis: Dort ist vermerkt, dass Hitler unter einem rechtsseitigen Hodenhochstand litt.
Normalerweise wandern die Hoden vor der Geburt aus dem Bauchraum in den Hodensack. Wenn das nicht vollständig passiert, spricht man von einem Hodenhochstand. Das sagt allerdings nichts über die Penisgröße oder die weitere sexuelle Entwicklung aus. Es gibt aber Berichte, dass Hitlers Leibarzt Theodor Morell ihm in den 1940er-Jahren Testosteron verschrieb.
Eine Bestätigung für das Kallmann-Syndrom sind diese Hinweise allerdings nicht. "Wenn eine entsprechende Mutation gefunden wurde, wird es schon so sein, aber welche Ausprägungen er tatsächlich hatte, kann man nicht eindeutig sagen", meint Hengstschläger. Das Kallmann-Syndrom tritt bei Männern mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:10.000 auf, bei Frauen beträgt die Wahrscheinlichkeit 1:50.000.
Was noch gefunden wurde
Zudem wurden laut der Doku sogenannte Polygene Risikoscores (PRS) aus Hitlers DNA errechnet. Sie geben an, wie hoch das erblich bedingte Risiko einer Person für eine bestimmte Erkrankung oder Eigenschaft ist.
Polygen bedeutet: Viele Gene tragen jeweils zum Risiko bei, nicht nur ein einziges. Der Score zeigt, wo jemand im Vergleich zu anderen liegt, wie sein individuelles Risiko für ein bestimmtes Merkmal im Vergleich zur Bevölkerung ist. Der Mensch hat 22.000 Gene, viele davon können Eigenschaften und Krankheiten mitbestimmen. Hengstschläger: "Aus dem PRS kann man aber nicht herauslesen, dass eine Person bestimmte Eigenschaften gehabt hat, denn auch die Umwelt spielt eine enorme Rolle. Selbst, wenn man ein gewisses Risiko hat, heißt das überhaupt nicht, dass man eine bestimmte Eigenschaft oder Krankheit auch wirklich hat oder bekommt – die Interpretation der Ergebnisse ist enorm wichtig."
Dass versucht werde, Hitlers genetische Veranlagung für psychiatrische oder neurologische Krankheiten heranzuziehen, sei schwierig. Hitlers Einstellungen und Taten seien nicht durch eine nachträgliche Genanalyse erklärbar, betont Hengstschläger, selbst, wenn er ein erhöhtes Risiko für einzelne Krankheiten gehabt hätte. Es sei aus diesen Analysen nicht mit Sicherheit feststellbar, ob Hitler tatsächlich Autismus oder ADHS hatte, nur, dass es eine gewisse Wahrscheinlichkeit gibt.
Problematisch sei zudem der Umkehrschluss: Es bestehe die Gefahr, Menschen mit ähnlichen Wahrscheinlichkeiten oder Menschen, die tatsächlich von diesen Krankheiten oder Störungen betroffenen sind, zu stigmatisieren.
Die Genanalyse erklärt Hitlers Vorgehen nicht
"Man ist nicht in der Lage aufgrund der Genanalyse zu erklären, warum Hitler war wie er war und getan hat, was er getan hat. Das ist durch alle möglichen Faktoren beeinflusst, die Gene spielen dabei wahrscheinlich sogar eine untergeordnete Rolle."
Genanalysen wie sie bei medizinischen Fragestellungen zum Einsatz kommen, finden auf Basis einer konkreten Fragestellung statt, etwa ob eine bestimmte Erkrankung vorliegt. "Ich verstehe, dass es ein gewisses Interesse gibt, die DNA einer bekannten Person zu analysieren, gerade bei der Interpretation im Zusammenhang mit dem Verhalten muss man aber betonen, dass der Mensch dabei nicht auf seine Gene reduzierbar ist", so der Experte.
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