Abnehmen zu Weihnachten: Zwischen Festessen und Diätfrust
Sich selbst auferlegte Diätregeln einzuhalten, fällt zu Weihnachten besonders schwer und scheitert oft.
Gemeinsame Festessen mit Familie und Freunden können für Menschen mit Adipositas – insbesondere für jene, die ihr Gewicht gerade verändern möchten – eine große Herausforderung darstellen. Schon in der Adventzeit sind die süßen und fettreichen Verlockungen oft groß. „Möchte ich mein Gewicht gerade verändern, sind die Feiertage oft schwierig. Die Gefahr ist sehr groß, dass erste Erfolge bei der Gewichtsreduktion mit nur einem Weihnachtsessen wieder zunichte gemacht werden“, sagt Psychologin Barbara Andersen.
Die meisten haben es schon einmal bei Diäten erlebt: Man hält sich wochenlang an selbst auferlegte Regeln, dann „kippt“ es bei einer Verlockung – und plötzlich scheint alles umsonst gewesen zu sein. Zeigt die Waage am nächsten Tag etwas mehr an, ist die Frustration meist groß. „Gerade bei Personen, die schon mehrere Abnehm-Anläufe hinter sich haben, kommt dann oft der Gedanke auf, dass es ohnehin nicht funktionieren wird. Je öfter man es versucht hat, desto kürzer werden Abnehmversuche durchgehalten“, weiß Andersen.
Besser keine Verbote
Wesentlich sei, sich nicht viel zu verbieten. „Verbote sorgen dafür, dass Essen einen noch höheren Stellenwert erhält. Viele bekommen einen besonderen Heißhunger auf bestimmte Nahrungsmittel, wenn sie wissen, dass sie diese nicht essen ,dürfen’. Problematisch ist auch, sich bestimmte Lebensmittel ausschließlich an den Feiertagen zu ,erlauben’ oder nur bei diesem einen Essen mehr zuzulangen – das lässt sich meist nicht gut kontrollieren“, so Andersen.
Auf Dauer helfe nur, eine langfristige Ernährungsumstellung weg vom „Diätmodus“, idealerweise mit diätologischer und psychologischer Unterstützung. „Das ist allerdings eine Kostenfrage. Hier gibt es derzeit viel zu wenig Angebote und finanzielle Hilfen“, meint Andersen. Ähnlich ist es bei den Abnehmmedikamenten: Die als Spritze verabreichten Wirkstoffe, mit denen sich bis zu ein Viertel des Ausgangsgewichts reduzieren lässt, müssen überwiegend privat bezahlt werden – mit Kosten von bis zu mehreren Hundert Euro pro Monat. Nur in ausgewählten Fällen übernimmt die Krankenkasse die Kosten.
Allerdings helfe die Abnehmspritze deutlich, den sogenannten Food Noise, das ständige Kreisen der Gedanken um Essen, zu reduzieren. Viele berichten, dass sie zum ersten Mal wieder leichter aufhören können zu essen. „Wenn man gut anspricht, ist das Sättigungsgefühl wieder vorhanden und man isst deutlich weniger.“
Gesprächsstoff am Tisch
Das fällt auch dem Umfeld auf und kann am Weihnachtstisch für Gesprächsstoff sorgen. Nicht selten sind Menschen mit Adipositas – mit und ohne Abnehmmedikament – damit konfrontiert, dass andere ihr Essverhalten beobachten und kommentieren. „Oft besteht ganz viel Unverständnis bei nicht Betroffenen – man müsste sich ja nur ,zusammenreißen’. Kommentare dazu, was man essen darf und was besser nicht sind eine massive Form von Übergriffigkeit. Auch, wenn es nicht böse gemeint ist, ist es ein absolutes No-Go sich in die Mahlzeiten anderer einzumischen“, sagt die Psychologin.
Häufig führen derartige Kommentare dazu, dass Menschen mit Adipositas im gesellschaftlichen Setting weniger essen, später aber dann umso mehr. Es brauche zudem eine stärkere Akzeptanz dafür, dass Adipositas eine chronische Erkrankung ist und die wenigsten „einfach so“ Abnehmen können. Auch, wer aufgrund der neuen Abnehmmedikamente mit kleineren Portionen auskommt, ist häufig mit Kommentaren konfrontiert.
Dosis von Abnehmmedikamenten verändern?
„Manche Patienten fragen in der Weihnachtszeit, ob sie die Dosis der Medikamente vorübergehend steigern können, um sich bei den verschiedensten Anlässen leichter zu tun. Das heißt, sie haben dann weniger Appetit und es fällt ihnen leichter, auf angebotene Speisen und auch auf Alkohol zu verzichten“, erklärt Internistin Johanna Brix, Leiterin der Adipositasambulanz der Klinik Landstraße in Wien.
Hin und wieder werde Brix auch danach gefragt, die Dosis vorübergehend zu verringern, sodass man bei Anlässen mehr essen kann. „Das ist nicht nur in der Weihnachtszeit ein Thema, sondern für manche auch vor Urlauben wie Thermenaufenthalten oder Kreuzfahrten, wo Essen oft einen hohen Stellenwert hat. Idealerweise sollte man aber bei den üblichen Mengen bleiben und versuchen, das erarbeitete Wissen zu bewahren, wie viel man essen und trinken kann, um das Gewicht zu halten“, rät Brix.
Adipositas
Ab einem Body Mass Index (BMI) von 30 kg/m² spricht man von Adipositas, ab 40 kg/m² von einer schweren Form. Ein BMI zwischen 19 und 25 kg/m² gilt als Normalgewicht. 17 Prozent der Bevölkerung in Österreich über 15 Jahre gelten als adipös. Jeder Zweite ist übergewichtig (BMI von 25 bis 29 kg/m²).
Abnehmmedikamente
Die enthaltenen Wirkstoffe regulieren den Appetit, indem sie ein Darmhormon nachahmen. Sie erhöhen das Sättigungsgefühl, man isst weniger und nimmt ab. Dazu müssen sie je nach Präparat wöchentlich oder täglich gespritzt werden.
Eigenständig Veränderungen an der Dosis der Abnehmmedikamente vorzunehmen, empfiehlt die Internistin nicht. „Es hat einen Grund, warum die Dosis in einer bestimmten Höhe eingestellt wird. Wenn man beginnt, sie ohne den behandelnden Arzt hinauf- oder hinunterzuregulieren, bringt man den Körper durcheinander – es ist immer noch ein Medikament“, so Brix.
Weniger Druck durch Abnehmmedikamente
Das Ziel sei, etwas weniger zu essen und weniger Alkohol zu trinken, sich aber trotzdem wohl zu fühlen und an Feierlichkeiten teilzunehmen und nicht darauf zu verzichten. Die meisten behalten aber ohnehin ihre übliche Dosis in der Weihnachtszeit bei. Brix: „Viele sagen, dass sie früher nicht an einem Keksteller vorbeigehen konnten, ohne mehrfach zuzugreifen. Mit den Abnehmmedikamenten gelingt es, dass es zum Beispiel reicht, ein Keks zu essen und dann aufzuhören.“ Gerade in der Weihnachtszeit könne das enormen Druck herausnehmen.
Andersen empfiehlt als realistisches Ziel für die Feiertage sich vorzunehmen, das Gewicht zu halten. Das sei bereits ein Erfolg. Nicht zuzunehmen sei kein Scheitern, sondern oft ein sehr gutes Ergebnis. „Es kommt nicht so sehr darauf an, was und wieviel man an den Feiertagen isst, sondern vielmehr darauf, wie man das restliche Jahr gestaltet“, so Andersen.
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