Wie Wissenschaftler das Klima manipulieren wollen
Waldbrände in Südfrankreich, Portugal, Italien. Hitzerekorde in vielen Ländern Europas, Dürre oder Überschwemmungen. Wetter-Extreme, wie sie derzeit passieren, sind nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen könnte, zeigt eine neue Studie des Joint Research Centre der Europäischen Kommission. Die Prognose der Forscher um Giovanni Forzieri, veröffentlicht in der Fachzeitschrift The Lancet Planetary Health, liest sich düster: Demnach könnten wetterbedingte Katastrophen am Ende des Jahrhunderts jedes Jahr etwa zwei Drittel der Europäer beeinträchtigen. Durch extreme Wetterereignisse könnten von 2071 bis 2100 in der Europäischen Union, der Schweiz, Norwegen und Island jährlich sogar 80 000 bis 240 000 Menschen sterben.
Gezielter Klima-Eingriff
"Der Klimawandel ist eine der größten globalen Bedrohungen für die menschliche Gesundheit im 21. Jahrhundert", sagt Forzieri. Um das Thermostat der Erde nach unten zu regulieren, forschen deshalb immer mehr Wissenschaftler daran, das Klima gezielt zu manipulieren. Für das sogenannte Geoengineering gibt es viele Ideen: von Sulfat-Teilchen, die das Sonnenlicht reflektieren über die Ausdünnung Stratosphären-naher Cirrus-Wolken, bis hin zur künstlichen Aufhellung von Wolken über dem Ozean. Auf diese Weise könnten etwa die Wassertemperaturen rund um das Great Barrier Reef in Australien gesenkt werden. In China wurde in den vergangenen drei Jahren eines der weltweit größten Geoengineering-Forschungsprogramme entwickelt.
"Die Tatsache, dass wir nun so weit sind, über Geoengineering zu sprechen, ist ein schlechtes Zeichen", sagt der Österreicher Gernot Wagner. Er ist Ökonom an der Harvard University und arbeitet derzeit gemeinsam mit Klimaforscher David Keith, ebenfalls Harvard, an neuen Klima-Modellen, die die Welt verändern könnten. Im April dieses Jahres haben die Wissenschaftler ein eigenes Programm ins Leben gerufen, in dem für fünf bis sieben Jahre zur Manipulation des Klimas geforscht wird. "Das heißt natürlich nicht, dass wir aufgeben dürfen, CO2-Emissionen einzudämmen, das müssen wir nach wie vor – und alle anderen Treibhausgase auch", sagt der Wissenschaftler im Gespräch mit dem KURIER.
Seit 1979 wird der Klimawandel in Klimakonferenzen diskutiert. Seit den 70er-Jahren gibt es die Idee des Klima-Engineerings. Konkrete Pläne existieren aber erst, seitdem "der Klimawandel in vielerlei Hinsicht viel schlimmer geworden ist, als wir noch vor ein paar Jahren dachten", sagt Wagner. Den aktuellen Status der Erde vergleicht er mit einer Krebsdiagnose: "Die erste Antwort gegen Lungenkrebs wäre, mit dem Rauchen aufzuhören. Wenn man dann aber schon Lungenkrebs hat, sollte man eine Chemotherapie in Erwägung ziehen."
Licht zurück ins All
Ob aber Geoengineering zukünftig tatsächlich zur Anwendung kommt, ist keine Entscheidung der Wissenschaft, sondern der Politik. Denn nach wie vor ist die Idee umstritten. Manche Forscher betrachten die gezielte Manipulation des Klimas als letzte Hoffnung im Kampf gegen den Klimawandel und die Erderwärmung. Andere orten darin ein Risiko durch nicht kalkulierbare Konsequenzen. So könnten die Maßnahmen – geografisch gesehen – nicht dort ausreichend wirken, wo die stärkste Erwärmung gemessen wird – und so zusätzlich die Niederschläge negativ beeinflussen. Auch ethisch sei ein solches Vorhaben für einige nicht vertretbar. Kritiker befürchten, der Mensch könne sich durch diesen Schritt als allmächtiger Herrscher der Erde fühlen – und sich so maßlos überschätzen.
Debatte ist dringend nötig
"Umso wichtiger wird sein, dazu eine breite Debatte anzustoßen", sagt dazu Stefan Schäfer vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam (siehe Interview unten). Das Forschungsprojekt des Harvard-Professors Keith kommentiert er so: "Bei solchen Vorstößen ist es wichtig, sich Gedanken darüber zu machen, wie Forschung verantwortungsvoll betrieben werden kann. Das darf nicht losgelöst und isoliert stattfinden, sondern muss in einen gesellschaftlichen Diskurs und politischen Rahmen eingebettet werden. Auch David Keith beschäftigt sich mit diesen Fragen."
Negative Folgen
Ein Allheilmittel ist die künstliche Manipulation auch für Gernot Wagner nicht. Er sieht allfällige Risiken vor allem in der Reaktion der Menschen darauf: "Eine mögliche negative Auswirkung des Geoengineerings hat wenig mit tatsächlicher Klimaforschung zu tun. Es geht vor allem darum, wie wir – als Bevölkerung, als Gesellschaft – darauf reagieren würden. Es wäre fatal zu denken, wir brauchen dadurch unsere Emissionen nicht mehr einzudämmen." Negative Folgen der künstlich herbeigeführten Erdabkühlung müsse man in Relation zu den negativen Auswirkungen des Klimawandels setzen. "Die Forschung ist noch nicht so weit. Es gibt noch viel Arbeit zu tun", sagt Wagner.
Der KURIER sprach dazu mit Stefan Schäfer. Er leitet die Forschungsgruppe Climate Engineering in Wissenschaft, Gesellschaft und Politik am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS), Potsdam.
KURIER: Es war der Mensch, der die Erde veränderte . Wird es der Mensch sein, der diese Vorgänge rückgängig macht?
Stefan Schäfer: Das ist schwer abzuschätzen. Doch genau darum geht es in der Debatte, wo man oft hört: Der Mensch hat unwissend in Erdsystemprozesse eingegriffen. In dieser Situation Verantwortung zu übernehmen, könnte auch heißen, gezielt Gegenmaßnahmen einzusetzen. Dass menschliches Handeln das Erdsystem beeinflusst, wird unter dem Begriff Anthropozän diskutiert – ein neues Erdzeitalter. Geoengineering-Maßnahmen könnten die Fortsetzung und Konsequenz dieser Entwicklung sein, eine Art Hyper-Anthropozän.
Geo-Engineering ist aber keine Alternative zur Reduktion der Treibhausgase.
Eine Alternative kann es nie sein. Um dem Klimawandel zu begegnen, müssen Treibhausgase reduziert werden. Die Treibhausgasemissionen halten Energie im Erdsystem zurück. Wenn ankommende Energie reflektiert würde, setzt das an einem anderen Punkt an. Es würde ein neues Klima erzeugt werden. Es gibt durch Geoengineering keine Rückkehr zu einem früheren Klimazustand.
Darf/soll der Mensch das überhaupt? Welche Risiken gibt es?
Die Risiken sind schwer abzuschätzen, zumal ja ein Einsatz in seiner Gänze nicht experimentell nachgestellt werden kann. Der ganze Planet würde zum Experimentierraum. Man kann einiges vorher abschätzen, durch Klimamodellrechnungen schauen, wie sich Veränderungen im Klimasystem auswirken könnten, durch kleine Experimente einzelne Aspekte erforschen oder Vulkanausbrüche beobachten, die in bestimmten Aspekten dem Geoengineering ähnlich sind. Es wird aber unmöglich sein, die Folgen eines globalen und langfristigen Einsatzes genau vorherzusagen. Ob der Mensch das darf oder soll, ist dabei eine Frage, die sich nicht pauschal beantworten lässt. Sie muss immer vor dem Hintergrund verschiedener Wertvorstellungen diskutiert werden. Dabei sind auch die häufig anzutreffenden Kosten/Nutzenkalkulationen Ausdruck einer bestimmten Wertvorstellung und keineswegs neutral. Andere orientieren sich an Fragestellungen aus der Ethik oder fragen, wie sich durch Geoengineering das Verhältnis zwischen Mensch und Natur verändern mag. Hier ist es wichtig, eine gesellschaftliche Debatte dazu anzustoßen.
Das ist aktueller denn je.
Je stärker sich der Klimawandel bemerkbar macht, desto dringender wird die Frage, ob Geoengineering in Betracht gezogen werden sollte. Um eine Entscheidung treffen zu können, müssen mögliche Risiken und Chancen erforscht werden. Dabei muss man auch den politischen Kontext sehen, der das Interesse an Geoengineering mit hervorbringt. Lange wurde Geoengineering unter dem Vorzeichen diskutiert, dass die Klimapolitik scheitern würde. Im Moment erfährt das Thema aber gerade durch die im Pariser Abkommen festgelegten Temperaturziele, also durch einen Erfolg der internationalen Klimapolitik, einen neuen Schub. So könnte Geoengineering plausibel werden, ohne dass Wissenschaft und Gesellschaft viel Zeit gehabt hätten, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
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