Gentherapie vor der Zulassung
Es sieht nach Meilenstein aus: Die Europäische Gesundheitsbehörde (EMA) empfiehlt erstmals die Zulassung einer Gentherapie. Für gewöhnlich folgt die Europäische Kommission dem Vorschlag der EMA. Markus Hengstschläger, führender Genetiker Österreichs, verdeutlicht: "Das führt zur ersten Gentherapie-Zulassung für die Routine. Eine echte Sensation mit enormer weltweiter Signalwirkung." Es wäre die erste Zulassung in der westlichen Welt nach 20 Jahren Diskussion über die Gentherapie. Bisher wurde sie nur in Asien erlaubt und gilt unter Experten weltweit als höchst umstritten.
Die Idee dahinter ist, bei Patienten ein defektes Gen durch ein funktionierendes zu ersetzen. So soll der Körper eine Krankheit, die durch eine Genmutation vererbt wurde, selbst heilen können. Neben dieser somatischen Gentherapie (also nur im Körper des Patienten wirkenden) gibt es die Keimbahn-Therapie, die das Erbgut (DNS) dauerhaft verändert, also auch für Nachkommen. Hengstschläger: "Gegen die gibt es aber einen breiten Konsens, weil die Auswirkungen nicht absehbar sind."
Stoffwechsel
Im konkreten Fall empfiehlt die EMA eine Therapie gegen "Lipoproteinlipase Defizienz". Diese Erbkrankheit kommt unter ein bis zwei Millionen Menschen nur einmal vor, in Europa und den USA sind nur ein paar Hundert Menschen betroffen. "Es muss von den 22.500 Genen ein bestimmtes – das Gen LPL auf dem Chromosom 8 – sowohl vom Vater als auch von der Mutter defekt vererbt worden sein." Dadurch kann der Körper ein Enzym nicht bilden, das für den Abbau von Fetten zuständig ist. Die Folgen sind hohe Fettablagerung im Blut und teils lebensbedrohliche Entzündungen der Bauchspeicheldrüse. Einzige Entlastung: eine strenge Low-Fat-Diät.
Laut EMA sollen nur Patienten "with greatest need", bei denen diese Diät nicht anschlägt, die Gentherapie Glybera erhalten. Hengstschläger: "Ein Adenovirus bringt dabei das intakte LPL-Gen mit. Das Virus infiziert Zellen." So kann der Körper das fehlende Enzym selbst produzieren.
Das niederländische Unternehmen UniQure, Hersteller von Glybera, lobt bei der Therapie den "Langzeiteffekt nach einer einzigen Injektion". Die tatsächliche Wirkung ist derzeit nur an 27 Patienten getestet, außerhalb der strengen Standards klinischer Studien.
Hengstschläger glaubt an die Wirkung: "Die Daten von Glybera sehen so aus, als ob das einige Jahre hält. Das sind die Kernfragen bei Gentherapie: Wie lange hält das gesunde Gen im Körper, welche Effizienz hat es also. Im konkreten Fall ist das einfach zu prüfen, indem man die Enzymaktivität misst." Für den Genetiker sind solche "monogenen Stoffwechselerkrankungen genau das Gebiet, wo Menschen von uns Genetikern Lösungen erwarten. Hier ist ein genetischer Fehler, also sollen wir ihn reparieren."
Meilenstein
Obwohl die Krankheit selten ist, könnte der Effekt dieser ersten Zulassung massiv sein. Seit 1990 kämpft die Gen-Therapie mit Imageproblemen, dennoch ist viel Geld in die Forschung geflossen. Bisher ohne unmittelbaren Nutzen für einzelne Patienten. Auch Glybera wurde drei Mal die Zulassung verweigert. Nun hat die EMA den Beweis anerkannt, dass es wirksam ist und keine Schäden anrichtet. Hengstschläger: "In der Medizin sucht man immer Wirkung bei geringster Nebenwirkung." Die Zulassung würde die ewige Theorie nun zur Praxis machen. "Damit Geldgeber und Öffentlichkeit sehen, das funktioniert wirklich. Dann existiert das in der Routine." Glybera könne laut Hengstschläger sofort zur Anwendung kommen. "Und auf diesem Gebiet der Stoffwechselerkrankungen haben wir im Labor gute Erfolge. Da gebe es einiges, das wir schon auf den Menschen übersetzt anwenden können. Es werden nun viele einen Blick darauf werfen, wie es Glybera geschafft hat."
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