Ganzheitlicher Ansatz gegen Schmerz

Ein neues Modell zur Behandlung von Schmerzpatienten soll sie innerhalb von vier Wochen wieder arbeitsfähig machen.

Je länger ein Patient aufgrund von Schmerzen nicht arbeitsfähig ist, desto geringer wird die Chance, dass er je wieder in seinen Job zurückkehrt. Im Rahmen des internationalen SIP-Symposium (Societal Impact of Pain) in Kopenhagen wurde ein Vorzeigebeispiel aus Deutschland präsentiert, das Patienten helfen soll, innerhalb von vier bis acht Wochen in den Arbeitsprozess zurückzukehren.

Gerhard H. Müller-Schwefe, Präsident der deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie, erklärt sein Modell: "Zeit ist essenziell. Innerhalb der ersten Tage, nachdem ein Patient zu uns kommt, wird ein individuelles Programm zusammengestellt, das den Besuch bei einem Psychologen, einem Physiotherapeuten und einem Schmerztherapeuten beinhaltet."

Arbeitsfähig

Das betreuende Team ist permanent im Dialog. Parallel dazu führt der Patient ein Schmerztagebuch. "Das Ziel ist es, ihn innerhalb von vier Wochen wieder arbeitsfit zu machen." Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist nur bei einem kleinen Bruchteil der Patienten eine Operation notwendig. Der Erfolg spricht für sich: 86 Prozent der Patienten sind nach vier bis acht Wochen wieder arbeitsfähig.

Müller-Schwefe rechnet vor: Bei jährlichen 48,5 Billionen Euro Kosten für Schmerzpatienten in Deutschland fallen 70 Prozent auf indirekte Kosten durch Arbeitsunfähigkeit und Krankenstände. Hier gebe es enormes Einsparungspotenzial, wenn Patienten effizient behandelt werden, bevor ihre Schmerzen chronisch werden.

Kongresspräsident Univ.-Prof. Hans G. Kress von der MedUni Wien ist es ein Anliegen, das Bewusstsein für Schmerzpatienten zu stärken: "In unserer Gesellschaft – sogar von Ärzten – wird ganz selbstverständlich angenommen, dass Schmerzen ab einem gewissen Alter dazugehören. Das ist nicht richtig, wir können diesen Menschen durch verschiedene Methoden helfen."

Er setzt dabei auf eine multimodale Therapie: "Es müssen nicht immer Tabletten sein. Es gehören auch psychologische Betreuung, das soziale Umfeld und das Arbeitsleben dazu." Man müsse auch nicht immer gleich operieren. Jeder fünfte Österreicher leidet unter Schmerzen – ab dem Alter von 65 Jahren sogar jeder zweite. An vorderster Stelle stehen Rückenschmerzen. Insgesamt gebe es mehr Schmerzpatienten als Diabetiker, Krebs-Patienten und Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen zusammen. "Die Zahl der Schmerzpatienten verschwindet in der Masse der einzelnen Fachbereiche."

Keine Lobby

Kress wünscht sich, dass chronische Schmerzen als eigenständige Krankheit anerkannt werden: "Wer 24 Stunden am Tag leidet, macht nicht lautstark auf sich aufmerksam. Schmerzpatienten haben keine gute Lobby." Viele bleiben stumm, ziehen sich zurück, verlieren oft ihren Job und den Kontakt zu ihrem sozialen Umfeld. In Italien wurde etwa 2010 ein Gesetz eingeführt, das festlegt, dass alle Italiener ein Recht auf eine Palliativversorgung und Schmerzbehandlung haben.

Obwohl eine frühe Therapie verhindern kann, dass Schmerzen chronisch werden, dauert es in Österreich etwa zwei bis drei Jahre, bis ein Patient in einem speziellen Schmerzzentrum landet. "In Österreich fehlt das Bewusstsein, dass die Investition in einem frühen Stadium auf lange Sicht hohe Kosten spart."Allerdings betont Kress: "Schmerzfreiheit ist ein nicht einzulösendes Versprechen. Bei chronischen Schmerzen erreichen wir eine Schmerzlinderung, die ein lebenswertes Leben ermöglicht."

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