Was den Spermien alles schadet

Was den Spermien alles schadet
Von Zahnpasta bis zur Plastikflasche beeinträchtigen Chemie-Cocktails den Hormonhaushalt.

Die schlechte Nachricht vorweg: „Man kann diesen Chemikalien nicht entkommen“, sagt Timo Strünker vom Center of Advanced European Studies and Research in Bonn. Hormonell aktive Chemikalien sind in Kosmetika, in Alltagsgegenständen und sogar in der Luft gegenwärtig, werden vom Körper aufgenommen und sollen die Fruchtbarkeit beeinträchtigen.

Im Rahmen einer Studie haben Forscher um Strünker nun erstmals den Einfluss von 96 solcher Stoffe direkt an menschlichen Spermien untersucht und ihren negativen Einfluss nachgewiesen. „Ein Drittel davon hat sich auf die Spermien ausgewirkt.“ Ihr Kalziumwert wurde erhöht, wodurch das Schwimmverhalten der Spermien beeinträchtigt werde. Die Navigation zur Eizelle und ihre Fähigkeit, die Eihülle zu durchdringen, könnten gestört werden, berichten die Forscher im Fachjournal EMBO Reports.

Die Vermutung liegt nahe, dass auch das weibliche Hormonsystem durch die untersuchten Chemikalien beeinträchtigt wird – das konnte aus ethischen Gründen nur im Tierversuch nachgewiesen werden.

Viele Kandidaten umgeben uns

Allerdings könne man nicht vor einer bestimmten Gruppe von Chemikalien warnen und diese einfach meiden. „Es ist völlig divers. In jeder Gruppe gibt es Kandidaten, die sich auf den Körper auswirken“, sagt Strünker zum KURIER. Darunter sind etwa UV-Filter, wie sie in Sonnencreme verwendet werden (4-MBC), in Zahnpasta wird gerne das antibakterielle Triclosan eingesetzt, oder der Weichmacher DnBP, der noch immer in Kunststoffen vorkommt.

„Wir nehmen diese Stoffe ständig auf – ob über Kosmetika, über das Wasser aus Plastikflaschen oder über die Atmung, wenn wir mit stark riechendem Plastik hantieren. Im Blut von jedem von uns ist dadurch ein regelrechter Chemie-Cocktail nachweisbar.“

Grenzwerte - Für Strünker steht fest: „Solche Ergebnisse müssen alarmieren.“ Die Europäische Union hat bereits angekündigt, neue Grenzwerte für hormonell aktive Substanzen zu prüfen. Doch das wird laut Strünker wenig helfen.

Grenzwerte bringen wenig

„Das Problem ist, dass sich die Stoffe in ihrer Wirkung summieren. Man kann einen Grenzwert für eine einzelne Chemikalie aufsetzen, aber gemeinsam haben sie eine sehr große Wirkung. Das macht es unglaublich schwierig, einzelne Grenzwerte aufzusetzen.“ Laut Strünker brauche es eine grundsätzliche Strategie, diese Chemikalien aus der Nahrungskette herauszubekommen.

In Bezug auf den Weichmacher DnBP hat die EU etwa im Jahr 2011 beschlossen, dass der Stoff ab 2015 nicht mehr in Europa verwendet werden darf. Zu vielen Stoffen gebe es bisher überhaupt nur Vermutungen über ihren Einfluss auf das Hormonsystem. „Der Kern des Problems ist, dass die Aufnahme dieser Stoffe in den Körper und ihr gemeinsamer Effekt sehr unübersichtlich sind“, sagt Strünker.

Wer den Chemie-Cocktail in seinem Körper möglichst gering halten will, kann daher vorerst nur versuchen ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass diese Stoffe allgegenwärtig sind. „Man kann prozessierte Lebensmittel meiden, möglichst wenig Kosmetika verwenden und Produkte aus Plastik vermeiden. Sogar die Wahl der Kleidung kann eine Rolle spielen. Es gibt so gut wie immer eine Alternative.“

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