"Ermuntern, Fragen zu stellen"

Fünf Fragen an Elisabeth Schindler-Müller, Leiterin der Demokratiewerkstatt des Parlaments.

Es ist für viele Menschen eine immer größere Hürde, sich mit Politik zu beschäftigen. Vergangenes Jahr hat eine europäische Jugendstudien gezeigt, dass junge Menschen kein Vertrauen mehr in die Politik haben. Vor welchen Herausforderungen stehen Sie da?

Je älter Kinder sind, desto mehr Bilder haben sie schon im Kopf. Auf die müssen wir eingehen. Deshalb hinterfragen wir diese Bilder in den Diskussionen: Es geht darum, zu vermitteln, wie parlamentarische Demokratie funktioniert und wer daran beteiligt ist, aber genauso wichtig ist Medienkompetenz. Wie komme ich zu meiner Meinung, wer schreibt was? Da hat sich durch die sozialen Medien sehr viel verändert. Uns geht es hier um das Bewusstsein, Informationen kritisch zu hinterfragen. Ein wichtiger, derzeit besonders aktueller Bereich ist auch die Fähigkeit zu fördern, wie jeder einzelne seine Meinung artikulieren kann. Das hat viel mit Selbstvertrauen zu tun, aber auch mit Hürden, die man im informativen Bereich hat. Wir führen deshalb in Kleingruppen Gespräche, Diskussionen und ermuntern, Fragen zu stellen, und Antworten zu geben.

Soziale Medien spielen eine große Rolle. Wie gehen Sie damit um?

Die Fülle an Informationen führt dazu, dass sich Kinder, aber auch Erwachsene immer mehr verschließen. Da ermuntern wir dazu, einen Zugang zu finden, sich anderen Mitmenschen bewusster zuzuwenden, sich mit Dingen zu beschäftigen und nachzufragen. Was ist eigentlich Sache, was sind die Fakten?

Findet im dem Schulen, im Unterricht zu wenig Politische Bildung statt?

Ich kenne keine größere faktenbasierte Untersuchung, die das signifikant aussagen könnte. Es gibt sehr viele motivierte Lehrer, wir haben ungefähr 450 Workshops pro Jahr. Aber es gibt immer noch viele Schulen, wo es sehr strikt zugeht. Schuldemokratie wäre da ein großes Thema und zwar nicht nur, indem Schulsprecher oder Klassensprecher gewählt werden, sondern indem Demokratie in der Schule gelebt wird; dieses gemeinsame Gestalten der Schulumgebung. Da geht es darum, dass Kinder und Jugendliche als Mitspieler wahrgenommen werden und sie als Person etwas beitragen können. Es geht um die Haltung, wie eine Schule mit Schülern umgeht. Das im Regelschulsystem grundsätzlich zu implementieren, ist eine Riesenherausforderung.

Die Sehnsucht nach einer starken politischen Leitfigur scheint europaweit wieder zu steigen – was denken Sie, sind die Gründe dafür?

Auch hier steckt oft der Wunsch nach Orientierung dahinter, weil es eine unglaubliche Informationsflut gibt, wo man sich immer schwerer tut, zu filtern. Zeitungen unterliegen gewissen Qualitätskriterien, aber die meisten Infos kommen von woanders, da gibt es keinen Filter mehr. Heißt: Man muss selbst filtern, es entsteht der Wunsch nach Halt und Orientierung.

Was kann man tun, um Demokratiebewusstsein und das Bewusstsein für die Geschehnisse aus der Zeit der Nazi-Diktatur lebendig zu halten?

Zeitzeugen, die ihre eigenen Erlebnisse schildern, gibt es immer weniger. Wir sind immer mehr auf Mediatheken und den Besuch von KZ-Gedenkstätten angewiesen. Sonst aber geht es darum, präzise zu bleiben. Man muss klar sagen, was was war/ist und wie man Warnsignale für gefährliche politische und gesellschaftliche Entwicklungen erkennt, auch im Kleinen; zum Beispiel, wenn Schüler ausgeschlossen werden. Das ist schlimm und muss offen bearbeitet werden. Das Wachhalten des Bewusstseins ist wichtig, man kann nie sagen, dass diese Zeit abgehakt und erledigt ist. Für uns ist wird das Erinnern immer eine Verpflichtung sein.

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