Entflammt statt ausgebrannt

Entflammt statt ausgebrannt
Sinneswandel: Das Streben nach Status und Geld war gestern – für viele Menschen zählt, das eigene Leben in der Hand zu haben.

Endlich wieder Chef des eigenen Lebens und der eigenen Zeit sein. Leidenschaft statt Status. Sinn statt sture Pflichterfüllung. Der Buchmarkt wird derzeit mit Werken zum Genre " Selbstverwirklichung" geflutet: "Die 365-Tage-Freiheit" oder "Raus aus dem Hamsterrad" wollen zu mehr Lebensqualität und Zufriedenheit animieren.

Manfred Greisinger – Persönlichkeitscoach und Buchautor – analysiert im KURIER-Interview diesen Trend und erklärt, weshalb Wahrhaftigkeit heute wichtiger ist als das Streben nach Ruhm und Reichtum – im Beruflichen wie im Privaten.

KURIER: Früher haben sich die Menschen bis zur Pension durchgebissen – und jetzt?

Manfred Greisinger: Man kann heute niemanden mehr mit Durchbeißen locken. Die heutige Jugend lebt in enormer Freiheit – das Ich und dessen Selbstverwirklichung stehen über allem. Wenn Eltern von ihren Kindern erwarten, den Familienbetrieb zu übernehmen, denken sich die: Ich bin nicht dazu da, Mama und Papa glücklich zu machen, sondern mich. Wir sind ja auch bei Partnerschaften nicht mehr bereit, bis zum Tod zusammenzubleiben. Warum also soll ein Mensch jahrzehntelang in einem Umfeld voller Widerstände und Zwänge bleiben?

Was ist der Auslöser für den Wunsch nach Veränderung?

Der Trend zur Selbstverwirklichung ist die Antwort auf die Burn-out-Welle. Wir wollen immer mehr und immer größer werden und rennen dem Erfolg – den Euros – hinterher. Auf der anderen Seite stehen Eros und Enthusiasmus. Firmen wie Apple oder Google sind so erfolgreich, weil da leidenschaftliche Menschen dahinterstehen. Das neue Motto müsste anders heißen: Burn-in statt Burn-out. Die Menschen fragen sich, was wirklich zählt. Dann sind sie es sich auch wert, Nein zu sagen und ihre Prioritäten zu verfolgen statt die anderer. Ein Beispiel: Die Zeit eines Top-Managers ist zu 95 Prozent fremdbestimmt. Er freut sich, wenn ein Termin ausfällt und er mehr Zeit für sich hat. Da läuft doch etwas falsch – das sind die sogenannten Vorbilder, die wir unseren Kindern zeigen.

Sind wir weniger bereit uns für Geld an äußere Bedingungen anzupassen?

Das Streben nach Geld ist nachrangig geworden. Wir könnten durchschnittlich auch mit der Hälfte leben. Jede Krise – im finanziellen wie im persönlichen – wirft den Menschen auf sich selbst zurück. Die Frage ist, lasse ich mich davon in meinem Lebensglück beeinflussen? Wir wollen uns nicht mehr von Fremdorientierung verrückt machen lassen. Ständig bekommen wir gesagt, was wir machen, studieren, essen und sogar wie wir unsere Beziehung leben sollen. Ich muss das selbst bestimmen. Ich muss sagen, was in meinem Leben wesentlich ist. Ich muss mich mit mir versöhnen. Dann kann ich auch andere Menschen lieben und mit ihnen klarkommen.

Was sind also die neuen Prioritäten?

Der Trend geht zum Ehrlichen und Wahrhaftigen. Es hat einen Grund, warum die Piraten-Parteien so viel Zulauf haben: Sie strahlen hundertmal mehr Wahrhaftigkeit aus als diese geschniegelten, geschliffenen und übertrainierten Politiker. Ich bin selbst Trainer, aber ich setze mich für Wahrhaftigkeit ein. Das wollen die Menschen auch im Beruf, in der Partnerschaft und vielen anderen Bereichen. Das ist zehn Mal gescheiter als viele Berufs- und Ehejahre, die zum Schein aufrechterhalten werden. Es ist möglich, diesem Systemzwang zu entsteigen.

Viele haben Angst vor diesem Schritt ...

Ich sage immer: Eros vor Euros. Eros ist Lebensfreude. In Zeiten der Finanz- und Euro-Krise ist die äußere Sicherheit heute einfach nicht mehr gegeben. Heilige Kühe wie die AUA und der ORF bröckeln. Wo also soll die Sicherheit sein, wenn nicht bei mir selbst? Jeder muss in sich reinschauen, seine Sehnsüchte und Ressourcen betrachten und sie mit Mut umsetzen.

Und finanziell?

Wo Eros ist, kommen irgendwann die Euros. Wer seiner Begeisterung folgt, lebt ohnehin schon in der Freude.

Was ist das Ziel?

Sich selbst als Regisseur seines Lebens erleben und nicht nur Statist sein. Am Lebensabend bereut niemand, dass er zu wenig Zeit im Büro verbracht hat. Erfolg ist nicht finanziell messbar. Erfolg heißt heute, größtmögliche Selbstbestimmung.

Selbstbestimmt: Befreiung aus Zwängen

Entflammt statt ausgebrannt

Irgendwann war für Erich Freitag (50) der Punkt erreicht: „Ich kann nicht mehr." Als Manager im Telekommunikationsbereich hatte er es satt, ständig auf Befehle von oben Rücksicht nehmen zu müssen. Er liebte seinen Job mit allen Herausforderungen, aber „wenn ich bei jeder zweiten Entscheidung diskutieren muss, ob ich etwas darf oder nicht, wird konstruktives Arbeiten einfach schwierig." Immerhin hat er 30 Jahre Berufserfahrung auf dem Buckel. „Wir haben uns einfach wie bei einer Ehe auseinandergelebt. Es hat nicht mehr gepasst." Freitag ging die Situation pragmatisch an und sah sich nach Alternativen um: „Ich habe mir überlegt, was will ich überhaupt?" Ein halbes Jahr später waren die nötigen Schritte und die Zukunft klar – Freitag hat gekündigt: „Es war eine Befreiung." Er nahm über das AMS an einem Unternehmungsgründungsprogramm teil und ist jetzt seit einigen Monaten selbstständig tätig. „Mir geht es gut. Eigentlich bin ich nicht sicher, ob es mir je so gut gegangen ist." Bis zur Pension in seinem alten Job durchzuhalten, wäre nicht infrage gekommen: „Der innere Antrieb, etwas für mich zu machen, war dafür einfach zu groß."

Ziegenkäse statt Finanzen

Entflammt statt ausgebrannt

Es war die große Wirtschaftskrise, die Monika Liehl (53) 2007 die Freude an ihrem Job als Finanzberaterin nahm und sie dazu veranlasste, ihr Leben zu verändern. "Die Banken- und Finanzkrise hat mich schwer schockiert und dazu geführt, dass ich begann, viel über Werte nachzudenken und mich umzuorientieren. Unabhängigkeit, Selbstversorgung und Alternativen wie Tauschhandel, wo Geld nicht nötig ist und die Dinge nicht so außer Kontrolle geraten können haben mich sehr beschäftigt."

Statt mit Finanzplänen ist sie heute mit dem Wohl von 20 Milchziegen und zwei Böcken beschäftigt. Ihr Büro in der Stadt hat die Wienerin gegen Gummistiefel und Bauernhof im burgenländischen Parndorf getauscht. Doch der Einstieg in den Ausstieg aufs Land war nicht leicht: Für einige war sie anfangs noch die "spinnerte Großstädterin". Aber die 53-Jährige ging mit Herz an die Sache und verwirklichte ihren Traum von der kleinen Käsemanufaktur. Das Melken der Ziegen und das Käsemachen brachte sie sich selbst bei. Mittlerweile verkauft Monika erfolgreich Ziegenmilch und Frischkäse und veranstaltet darüber hinaus auf ihrem Hof den "Markt der Erde" mit regionalen und ökologisch einwandfreien Produkten.

Buchtipps: Mut zu neuen Wegen

Feuer: Wer erfolgreich sein will, braucht Feuer – so Manfred Greisinger in seinem Buch "Innere FührungsKRAFT: Mit Eros zur unverwechselbaren ICH-Marke" (Edition Stoareich, 22 €)

Seele: Die ehemalige Anwältin Martina Violetta Jung beleuchtet in "Ich kann so nicht mehr arbeiten! Freude und Sinn statt Seeleninfarkt" (Scorpio Verlag,19,99 €) konkrete Denk-, Körper-, und Verhaltensmuster.

Strategien: Psychologe Volker Kietz stellt in "Die 365 Tage Freiheit: Ihr Leben ist zu wertvoll, um es mit Arbeit zu verbringen" (Ariston, 16,99 €) Strategien zu einem selbstbestimmten Leben vor.

Ausbrechen: Walter Zimmermann liefert in "Raus aus dem Hamsterrad – Mehr Zeit – Mehr Erfolg – No Burn-out" (Zimmermann, 14,90 €) konkrete Tipps, den Kreislauf aus Terminen, eMails und Verpflichtungen zu durchbrechen.

Kommentare