Was Therapiebegleithunde in 45 Minuten schaffen
Noch herrscht Stille im Sesselkreis. Nicht alle haben es durch eigene Kraft in den Gemeinschaftsbereich des Generationenhauses Fortuna geschafft. Aufgeweckte Augen treffen auf starre Blicke, offene Herzen auf verschlossene Seelen. Da spaziert Hanny unvoreingenommen auf riesigen Pfoten herein, die flauschige Neufundländerin will direkt zum Wassernapf neben dem Christbaum. Dahinter zieht Neil freudig-nervös an der Leine, er kennt seine Klienten. Golden Retriever Kelly macht gehorsam Platz und harrt weiterer Kommandos. Das Warten hat ein Ende.
Positive Wirkung
"Wir haben vor zwölf Jahren in der Arbeit mit Kindern gesehen, welche Wirkung Hunde haben", erzählt Wolfgang Zimmermann, der seit Beginn des Projekts mit seiner Hanny dabei ist. Der positive Effekt der tierischen Begleiter sollte auch für alte, kranke und behinderte Menschen genutzt werden.
Zeit für die Leckerli-Runde. Ohne Berührungsängste öffnet Routinier Zimmermann sanft die erste knochige Faust. Hanny macht Sitz und bekommt die Belohnung aus der zittrigen Hand. Auch das zaghafte Streicheln braucht Unterstützung, die Motorik folgt nur langsam den Befehlen aus dem Kopf. Freude und Stolz stellen sich ein, die feuchte Schnauze stupst zufrieden nach.
Fakten
Studien zeigen, dass Therapiebegleithunde allein durch ihre Anwesenheit beruhigen. Sie tragen zur Entspannung bei, geben Sicherheit und vermitteln Nähe. Sie können das Selbstvertrauen stärken, die Beweglichkeit und Koordination schulen und längst verloren Geglaubtes zutage fördern.
Samariter Jochen Gold macht in der Zwischenzeit Visite am Krankenbett. Frau Katharina ist überglücklich über Kellys Besuch. Das Pfotegeben und Kraulen versetzen die 87-Jährige gedanklich sofort in die Vergangenheit – zu dem Bernhardiner, den sie einst vor dem Hungertod gerettet hat und der sie aus Dankbarkeit vor den Partisanen schützen wollte. Selbst zu dementen Patienten können Hunde ab und zu noch durchdringen – auch dann, wenn das für die nächsten Angehörigen nicht mehr möglich ist.
Acht geschulte Mensch-Tier-Teams und sieben in Ausbildung trainieren allein beim Samariterbund Favoriten nach gesetzlichen Richtlinien. Das Messerli Forschungsinstitut der Vetmeduni Vienna ist mit der Durchführung der Besuchshundezertifizierung beauftragt. Karl Weissenbacher leitet die dafür zuständige „Prüf- und Koordinierungsstelle für Therapiebegleithunde“. Sein Herz schlägt für Hunde, sein Verstand arbeitet seit Jahren für deren Schutz.
KURIER: Warum eignen sich Hunde besonders für die Arbeit in der tiergestützten Therapie?
Karl Weissenbacher: Hunde leben seit rund 40.000 Jahren in menschlicher Gesellschaft. Es ist eine Ko-Entwicklung von Mensch und Tier. Verschiedene Studien zeigen, dass sich die Anwesenheit von Hunden positiv auf Psyche und Körper von Menschen auswirkt.
Was können Theapiebegleithunde im Alters- bzw. Pflegeheim bewirken?
Im Altersheim sorgen Hunde für Wohlbefinden. Die Herzfrequenz sinkt, Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit verbessern sich. Detto im Pflegeheim. Auch Demenzkranke empfinden den Kontakt zum Hund positiv. Da passiert viel auf der Gefühlsebene. Menschen, die sich an nichts erinnern, merken sich, dass ein Mal in der Woche ein Hund kommt. Oder sie erinnern sich an ein eigenes Haustier und reden darüber. Das macht schon viel Sinn.
Ist die „Arbeit“ den Hunden zumutbar?
Wir dürfen das nicht als Arbeit sehen, sondern dass der Therapiebegleithund Freude hat. Er nimmt Kontakt auf, weil er seit Jahrtausenden den Kontakt sucht, das ist schon genetisch. Zur Belohnung bekommt er Futter, Streicheleinheiten oder Lobesworte. Natürlich darf der Hund nicht überstrapaziert werden. Der Hundeführer muss seinen Partner kennen, die Einsätze von Therapiebegleithunden sind mit zwei Mal 45 Minuten pro Woche limitiert. Und der Hund muss älter als zwei Jahre sein. Es ist ein wesentlicher Faktor, dass der Hund es tun darf und es nicht tun muss. Da haben wir einen Paradigmenwechsel geschafft. Der Hund muss sich heute im Gegensatz zu früher nichts gefallen lassen.
Was muss ein Therapiebegleithund können?
Wir brauchen und fordern gut sozialisierte Hunde, die offen mit der Umwelt umgehen können, die die nötige Impulskontrolle haben, die stabil sind und aus der Situation hinausgehen, wenn es ihnen zu viel wird. Hunde sollten nach ihren Vorlieben eingesetzt werden, manche mögen Kinder, manche geistig behinderte, manche alte Menschen.
Was halten Sie von Giraffen-Streicheln, Delfin-Schwimmen und Elefanten-Füttern? Können „Exoten“ tatsächlich mehr in der Therapie leisten als Hunde?
Wildtiere, die eingesperrt sind, haben massiven Stress. Das ist sicher Wichtigtuerei und Geschäftemacherei. Der Sozialpartner Hund gibt so tolle Möglichkeiten. Und es geht ihm gut dabei.
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