Ein großer Schritt im Kampf gegen HIV

Ein großer Schritt im Kampf gegen HIV
Aids: Ein US-Forscherteam kann nun eine Substanz von Moostierchen synthetisch herstellen. Das wäre ein Schlüssel im Kampf gegen HIV.

Es gilt als Traum jedes Wissenschaftlers, wirksame Mittel gegen die großen "Seuchen" unserer Zeit zu finden. So arbeiten weltweit viele Forscher an verschiedenen Ansätzen, das Humane Immundefizienz-Virus ( HIV) zu besiegen. Paul Wender, Chemiker an der Universität Stanford ist einer davon. Ihm und seinem Team scheint nun ein wichtiger Schritt in Richtung Heilung von HIV-Infektionen gelungen zu sein.

Ziel seiner Forschung sind die so genannten latenten HI-Viren, die in den Zellen der Infizierten unentdeckt schlummern, und nicht von Medikamenten erreicht werden können. Sie sind vermutlich auch der Grund, weshalb eine Infektion mit dem HI-Virus bisher als unheilbar gilt. Ein beschwerdefreies Leben können die Infizierten nur führen, weil sie einen Medikamentencocktail zu sich nehmen, der die aktiven HI-Viren in Schach hält und die Viruslast massiv minimiert. Diese so genannte HAART-Therapie (Hochaktive antiretrovirale Therapie) erreicht aber nicht die Reservoirs der schlummernden Viren in den T-Zellen oder anderen Zelltypen. Dieser Cocktail aus drei bis vier Substanzen muss ein Leben lang eingenommen werden. Wird er abgesetzt, werden die "Schläfer" aktiv und lösen eine erneute Verbreitung des HI-Virus im Körper aus.

Vorbild Natur

Ein großer Schritt im Kampf gegen HIV

Fündig wurde Wender außerhalb der Küste Kaliforniens. Dort existiert ein Meeresorganismus namens "Bugula neritina" – Moostierchen (Bryozoen) genannt. Sie produzieren eine Substanz namens Bryostatin. Diese kann die latenten HI-Viren angreifen. Die Krux, so Wender: "Man benötigt 14 Tonnen Bryozoen, um 18 Gramm Bryostatin zu erzeugen." Wenders Ziel war es daher, den Stoff im Labor nachzubauen. Das ist jetzt gelungen: Die Arbeitsgruppe designte "Bryologe" (siehe Interview) , die noch besser als die natürliche Substanz funktionieren und den schlafenden HI-Virus aus den Zellen spült. Wender: "Wir können lernen, wie das Molekül funktioniert. Und auf dieser Basis etwas Neues schaffen, das die natürliche Substanz übertrifft." Jetzt hofft Wender auf den nächsten Schritt: Tests an Patienten im Rahmen von präklinischen bzw. klinischen Studien – und auf Geldgeber.

Theoretische Revolution

Ein großer Schritt im Kampf gegen HIV

Ob die Praxis belegen wird, was Wender theoretisch kreiert hat, entscheidet schlussendlich über Meilenstein oder Enttäuschung. Der Lungenfacharzt und Aidsexperte Norbert Vetter bringt es auf den Punkt: "Theoretisch ist das revolutionär. Eine Heilung wird erst dadurch möglich, dass man die Viren durch einen Kick aus dem Reservoir herauseisen kann und dann bekämpfen." Vetter, selbst in einer Klinik-Vorstand, fehlt allerdings der Nachweis: "Es gibt theoretische Rechenmodelle, wonach auch die derzeitige Therapie nach 20 Jahren den schlafenden Virus angreift. Aber die Therapie ist noch nicht so lange auf dem Markt. Ähnlich theoretisch ist Wenders Ansatz. Es gilt festzustellen, ob das Leeren der Reservoire durch den synthetischen Wirkstoff wirklich passiert."

Dennoch betont Vetter die Bedeutung des Ansatzes. "Es klingt, als ob ein großes Rätsel gelöst wird, nämlich wie man den HI-Virus aus dem Körper eliminieren kann."

Ob Wender wirklich das Mittel gegen eine der großen Seuchen gefunden hat, wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Denn die klinischen Studien brauchen Zeit. Inzwischen hoffen weltweit rund 37 Millionen HIV-Infizierte auf Heilung. Wender: "Ich erhalte täglich viele Briefe von Erkrankten. Ihr Enthusiasmus ist bemerkenswert. Das hält mich bei der Arbeit abends wach und lässt mich früh aufstehen."

Das und der Traum jedes Wissenschaftlers.

 

Interview: "Wir versuchen was, das noch nie gemacht wurde"

Ein großer Schritt im Kampf gegen HIV

Am Sonntagabend unserer Zeit wurden die neuen Forschungsergebnisse der "Wender-Group" im Fachjournal Nature Chemistryveröffentlicht. Der Chemieprofessor Paul Wender forscht an der renommierten Stanford University in den USA auch an Substanzen gegen Alzheimer oder Krebs. Im KURIER-Interview sprach er über seine Hoffnung, ein Mittel gegen HIV gefunden zu haben.

KURIER: Was genau sind "Bryologs" – und woher kommt der von Ihnen erwähnte Meeresorganismus?

Paul Wender: Es handelt sich um den Stoff Bryostatin. Er wird von Moostierchen zur Abwehr produziert. Diese leben u.a. vor der kalifornischen Küste. Bryostatin ist das natürliche Vorbild – auf dessen Basis haben wir Moleküle, Analoge, entwickelt. Das Wort BRYOLOG ist also eine Wortkombination von Analog und Bryostatin. Das sind von der Natur inspirierte Designer-Moleküle, die jedoch besser funktionieren als das Original. Man kann das mit einem Passagierjet vergleichen – das Vorbild war ein Vogel, Designer und Techniker haben daraus Flugzeuge ent­wickelt.

Die Arbeit mit Bryostatin hat bereits vor 25 Jahren begonnen. Wir haben uns von der Natur inspirieren lassen und etwas weiterentwickelt, das auf 3,8 Milliarden Jahre Evolution basiert. Es wäre wunderbar, würde dadurch die Therapie von Aids, Alzheimer oder Krebs revolutioniert.

Ein großer Schritt im Kampf gegen HIV

Ihre Erkenntnisse könnten einen wichtigen Schritt in Richtung Heilung von HIV bedeuten?

Das ist richtig. Wir versuchen etwas zu tun, was zuvor noch niemand getan hat. Es handelt sich um eine völlig neue Substanz, die auf die Ausrottung/Vernichtung des HI-Virus zielt. Die derzeit übliche HIV-Therapie lässt ja die Krankheit nicht völlig verschwinden – daher muss man ein Leben lang Medikamente einnehmen. Sie zielt ausschließlich auf das aktive Virus ab. Keine einzige HIV-Therapie erreicht das inaktive, latente HI-Virus, der das aktive Virus versorgt. Sobald die Medikamente abgesetzt werden, beginnt die Erregerproduktion wieder. Neu ist, dass wir dieses schlummernde Virus angreifen können – in Kombination mit Substanzen gegen das aktive Virus ließe sich die Krankheit eindämmen. Das ist realistisch. Aber es braucht dazu auch finanzielle Unterstützung, etwa aus der Industrie.

Wie geht es weiter?

Derzeit arbeiten wir im Ex-Vivo-Modell (also an Zellkulturen von HIV-Patienten, die medikamentös behandelt werden) . Wir hoffen mit Unterstützung des National Institutes of Health und der Industrie, dass wir die Wirkung am Menschen in klinischen Studien überprüfen können. Ich bekomme viele eMails von Betroffenen. Zum Beispiel von einem chinesischen "Fan", der meint: "Ich hoffe, ich bekomme Ihre Hilfe zu einem Zeitpunkt, wo ich noch heilbar bin." - G.K.

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