"Der psychische Druck war enorm"

Krisenherd Westafrika: Die Helfer kämpfen auch um ihr eigenes Leben.
Ein Arzt aus Wien und ein Logistiker aus Klagenfurt berichten aus Afrika von ihrem Kampf gegen den Ebola-Tod.
Von Uwe Mauch

Der Moment der Stille. Auf dem Friedhof am Stadtrand von Kailahun City, im östlichen Zipfel von Sierra Leone. Der Wiener Allgemeinmediziner hat bei seinen Einsätzen in Krisengebieten viel erlebt. Seit 15 Jahren arbeitet Michael Kühnel ehrenamtlich fürs Rote Kreuz, oft im Ausland. Er war auch dabei, als den Helfern nach dem Tsunami im Dezember 2004 in Indonesien nichts anderes übrig blieb, als tote Körper in Säcke zu packen und massenweise wegzutragen.

"Der psychische Druck war enorm"
Juli 2014, Afrika, Sierra Leone: Dr. Michael Kühnel, Arzt und erfahrener Katastrophenhelfer des Österreichischen Roten Kreuzes, bei seinem Einsatz als Teil eines internationalen Teams in Kailahun, Sierra Leone. Die Bevölkerung soll vor einer Verbreitung des Ebola-Virus geschützt werden. Bisher wurden etwa 400 Ebola-Todesfälle in Westafrika gemeldet. Die Zahl ist steigend. Betroffen sind die Länder Guinea, Liberia, Sierra Leone, die Elfenbeinküste und Mali. Bild: Dead Body Management: Burial Teams, Freiwillige des Sierra Leone Roten Kreuzes (SLRC), holen die Verstorbenen aus dem Krankenhaus ab, desinfizieren die Leichen, begraben diese, desinfizieren die Häuser der Verstorbenen und verbrennen ggf. einige derer persönlichen Dinge. Das An- und Ausziehen sowie das Desinfizieren der Schutzkleidung wird immer wieder trainiert, damit sich die freiwilligen Helfer nicht selbst anstecken. Dr. Michael Kühnel im Vordergrund;
Doch in diesem Moment kämpft der Arzt mit den Tränen. Die Menschen rund um ihn verabschieden sich betend von einem achtjährigen und zwei elfjährigen Buben. Alle drei Kinder sind über Nacht dem Ebola-Virus erlegen. Die einen beten zum Gott der Christen, die anderen zu Allah. Friedlich nebeneinander. Religion spielt in diesem Moment keine Rolle mehr.

15 Säcke pro Tag

Michael Kühnel, der in Wien-Währing eine private Ordination leitet und in Hamburg eine Zusatz-Ausbildung zum Tropenmediziner absolviert hat, arbeitete von Mitte Juni bis Mitte Juli im Distrikt Kailahun, an der Grenze zu Guinea und Liberia. Zuvor wurden die Menschen dort von einem Bürgerkrieg bedroht. Jetzt von einem Virus. Der hat sich von hier rasant in der Region ausgebreitet.

Langsam erholt sich der Helfer von seinem Einsatz: "Der psychische Druck war enorm." Er musste mitansehen, wie täglich bis zu 15 weiße Säcke vom Krankenhaus zum nahe gelegenen Friedhof geschleppt wurden.

"Der psychische Druck war enorm"
Juli 2014, Afrika, Sierra Leone: Dr. Michael Kühnel, Arzt und erfahrener Katastrophenhelfer des Österreichischen Roten Kreuzes, bei seinem Einsatz als Teil eines internationalen Teams in Kailahun, Sierra Leone. Die Bevölkerung soll vor einer Verbreitung des Ebola-Virus geschützt werden. Bisher wurden etwa 400 Ebola-Todesfälle in Westafrika gemeldet. Die Zahl ist steigend. Betroffen sind die Länder Guinea, Liberia, Sierra Leone, die Elfenbeinküste und Mali. Ausheben von Gräbern für die Verstorbenen.
"Meine Aufgabe war das Dead Body Management", erzählt Kühnel. Eine harmlose Umschreibung für das Werk der Totengräber vom lokalen Roten Kreuz. "Für mich sind das die wahren Helden. Sie arbeiten alle ehrenamtlich, für ihr Land und ihre Landsleute. Sie riskieren täglich, sich anzustecken, und werden von ihren Bekannten aus Angst vor einer Ansteckung zunehmend gemieden." Er selbst hat die Helden ausgebildet. Als Mitglied eines zehnköpfigen internationalen Teams, als erster Österreicher im Kampf gegen die gefährliche Seuche, die bisher schon 2300 Menschen in Westafrika getötet hat. Der Ausbildner erzählt: "Ich war in meinen Kursen sehr streng. Denn jeder Fehler kann bei dieser Tätigkeit tödlich sein."

Hatte er dabei selbst Angst? "Angst nicht, aber Respekt. Wenn man sich an die vorgegebenen Richtlinien hält, bleibt das Risiko einer Ansteckung im Promillebereich." Das Virus zwingt die Menschen auch dazu, auf gängige Höflichkeitsfloskeln zu verzichten: "Ich habe einen Monat lang keinem Menschen die Hand gegeben."

Und seine Familie? "Meinen Eltern habe ich nur gesagt, dass ich auf eine Schulung nach Afrika fahre." Was grundsätzlich nicht gelogen war. "Meine Frau war selbst schon öfter ehrenamtlich in Krisengebieten tätig, als Logistikerin. Wir kennen also beide Seiten von so einer Mission." Derzeit sammelt der Arzt neue Kraft. Wie es aussieht, könnte er in zwei Wochen schon wieder ins Krisengebiet berufen werden. Möglicherweise sogar gemeinsam mit seiner Frau.

Endlich Hilfe!

"Der psychische Druck war enorm"
Ebola
Es sind die Glücksmomente im Unglück, die Menschen wie Michael Kühnel weiter antreiben. Da waren zum einen die religiösen Führer von Christen und Moslems: "Die haben sich bei uns bedankt, dass wir ihnen geraten haben, ihre Toten ausnahmsweise nicht zu waschen und anzukleiden. Sie haben gemeint: Endlich kümmert sich wer um uns."

Und da war diese Morgenbesprechung im Krankenhaus: "Als wir erfahren haben, dass der erste Patient die Krankheit überstanden hat. Gut vierzig Leute waren bei dieser Besprechung. Helfer aus dem Ausland, Einheimische, Ärzte, der Bürgermeister. Und plötzlich haben wir alle zu tanzen begonnen."

Thomas Rassinger war vier Wochen in einem Krankenhaus in Monrovia, der Hauptstadt Liberias, im Einsatz. Der 35-jährige Klagenfurter gilt als erfahrener Logistiker, war zuvor für Ärzte ohne Grenzen im Süd-Sudan, in Darfur, Uganda, Äthiopien, Pakistan und auf den Philippinen. Rassinger half als Projekt-Koordinator in einem Team von 60 internationalen und 800 nationalen Mitarbeitern. KURIER-Redakteur Uwe Mauch sprach mit ihm nach dem Ende seiner Mission.

KURIER: Herr Rassinger, wie ist Ihr Einsatz konkret verlaufen?Thomas Rassinger:Mein Ebola-Einsatz stellte alles bei Weitem in den Schatten. Es ist schwer, sich einzugestehen, dass man dem Ausbruch nicht gewachsen ist, und dass wir alleine nicht genug Mittel haben, um der Lage Herr zu werden.

Was ging Ihnen bei Ihrer täglichen Arbeit persönlich nahe?

Eine meiner Aufgaben ist es, Leute mit Ebola-Symptomen zurück zu ihren Familien zu schicken, weil wir einfach keinen Platz mehr im Krankenhaus haben. Zu wissen, dass diese Menschen alleine und ohne Hilfe sterben werden und ziemlich sicher auch andere Familienmitglieder anstecken, ist sehr schwer zu ertragen. Das ist unmenschlich, aber wir haben keine andere Wahl.

Gibt es auch Hoffnung?

Der einzige positive Tag war, als wir die ersten Überlebenden aus unserem Krankenhaus entlassen konnten. Es tat gut zu sehen, dass doch ein paar Menschen das Virus überleben können.

Der Internationale Währungsfonds will 100 Millionen Euro für die betroffenen Länder flüssig machen. Was brauchen die Menschen am dringendsten?

Sie brauchen internationale Unterstützung, die diesen Namen auch verdient. Wenn man vergleicht, wie viel Hilfe für die Philippinen nach dem Taifun geleistet wurde – ich war damals selbst vor Ort – und wie wenig die Staatengemeinschaft bei diesem Ebola-Ausbruch hilft, dann ist das tragisch und auch beschämend.

Geben Sie uns bitte eine Vorstellung von den realen Problemen der Betroffenen.

Man muss sich einen tödlichen Virus vorstellen, der plötzlich über eine Stadt hereinbricht. Man hat kein Geld, um sich zu schützen, jede Berührung mit einem Fremden oder kranken Familienmitglied kann zum Todesurteil werden. Durchfall, jedes Fieber kann ein erstes Anzeichen sein, dass man unheilbar krank ist und womöglich auch sterben wird. Mir war schon bewusst, dass dieser Einsatz schwierig und gefährlich werden wird. Mir war nur das Ausmaß der Katastrophe nicht bewusst.

Hatten Sie Angst?

Ich bin mir der Risiken bewusst, aber ich verlasse mich auf Ärzte ohne Grenzen, die langjährige Erfahrung in der Behandlung von hochansteckenden Infektionskrankheiten haben, und auf mein eigenes Können und Wissen. Die Frage ist immer, ob der Nutzen, den man vor Ort bringt, das Risiko wert ist. Und das ist hier eindeutig der Fall.

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