Die Frau, die sich selbst für interessant hielt
Spätestens 1886 war eigentlich alles klar: „Kleine Klaras kann ich euch nicht schicken, aber nette kleine Examina bestehen.“ Auf einer Postkarte anlässlich einer Prüfung versprach Käthe Schirmacher ihren Eltern anstelle der geforderten Enkelkinder weitere Studienerfolge. Ihrem Studienkollegen Jules Besson plante sie im Herbst 1886 ihr „Beileid“ zu senden, als er sich verheiratete.
„Gelehrt zu sein, war für Frauen im späten 19. Jahrhundert keine angesehene Eigenschaft, jemanden als ,gelehrte Frau` zu bezeichnen galt vielfach geradezu als Beschimpfung“, schreibt
Johanna Gehmacher im neuen Buch Käthe Schirmacher, Agitation und autobiografische Praxis zwischen radikaler Frauenbewegung und völkischer Politik, das am Donnerstag präsentiert wird. Trotzdem strebte Schirmacher genau danach; und nach einem selbstbestimmten Leben – um 1900 alles andere als eine Selbstverständlichkeit für Frauen.
Umso interessanter sind für Gehmacher und ihre Mitautorinnen Elisa Heinrich und Corinna Oesch genau diese Pionierinnen. Im von FWF geförderten Schirmacher-Projekt haben sie Diskurse und Konfliktfelder rund um die „Frauenfrage“ anno 1900 analysiert. Allen voran die Forderung nach Partizipation in allen gesellschaftlichen Feldern und die Suche nach Modellen weiblicher Individualität.
Die Journalistin, Schriftstellerin und Vortragsreisende Käthe Schirmacher, 1865 in Danzig in eine wohlhabende, liberale Kaufmannsfamilie geborenen, war Bildungspionierin, radikale Frauenrechtsaktivistin und später völkische Nationalistin. Als eine der ersten Frauen Deutschlands erwarb sie ein Doktorat und verdiente als unabhängige Buchautorin und Journalistin ihren Lebensunterhalt. Im neuen Buch wird sie als eine exemplarische Protagonistin dieses Übergangs europäischer Gesellschaften um 1900 vorgestellt – als moderne Frau, die in intimen Beziehungen mit Frauen lebte.
Nicht sympathisch und antisemitisch
„Sie hatte langfristige Partnerschaften und bewegte sich in Frauennetzwerken“, erzählt Gehmacher, die Historikerin und Biografie-Forscherin an der Universität Wien ist, im KURIER-Interview. „Mich hat stark interessiert, dass sie eine gar nicht sympathische, sehr antisemitische, deutschnationale Politikerin war – und gleichzeitig eine radikale Frauenrechtlerin. Das fand ich irritierend“, sagt Gehmacher. Und weiter: „Es war für Frauen im rechten Milieu also möglich, sich explizit für Frauenrechte einzusetzen. Die Vorstellung, dass es im rechten Lager nur stereotype Geschlechterbilder gab, ist eine verkürzte.“
Gehmacher sieht Schirmachers Antisemitismus als Zeiterscheinung. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es eine enorme Zunahme an Nationalismus, Chauvinismus und Antisemitismus – gerade im bildungsbürgerlichen Milieu, sagt sie. Und Schirmacher sei – als politisch denkender Mensch – Teil dieser Bewegung gewesen: „Die Gemäßigten haben sich in Sozial- und Schulprojekten engagiert. Die Radikalen hatten immer politische Agenden. Manche von von ihnen wurden Pazifistinnen, manche Sozialistinnen, andere wie Schirmacher rechtsgerichtete Politikerinnen.“
14.000 Briefe
Schirmacher dachte schon früh von sich selbst, dass sie eine interessante historische Persönlichkeit sei – „eher ungewöhnlich für Frauen“, fügt Gehmacher an. „Frauen glauben ja oft, dass das, was sie tun, nicht so wichtig ist.“ Und sie schrieb alles auf: „Sie archivierte ihre Schriften, ihre Arbeitsprozesse, ihre Privatkorrespondenz, führte Tagebuch.“ Ein großer Nachlass - darunter allein 14.000 Briefe - entstand, den sie kurz vor ihrem Tod der
Uni Rostock übergeben hat.
Damit haben die Forscherinnen von der Uni Wien gearbeitet. Und sind froh darüber, denn „es gibt nicht so viele gute Aufzeichnungen über Frauen“, sagt Gehmacher.
Vortrag anno 1903
Mit
Wien verband die Frauenrechtlerin eine rege Vortragstätigkeit. Als Rednerin zog sie vor dem Ersten Weltkrieg ein breites Publikum an. Vor allem die von Schauspielern vorgelesenen Vorträge der Wiener Urania gefielen. Darunter „Die Frau im öffentlichen Leben“. Jetzt bringen die Autorinnen diesen historischen Urania-Lichtbildvortrag von Käthe Schirmacher, der 1903 in Wien mehrfach mit großem Erfolg aufgeführt wurde, in Ausschnitten zur Wiederaufführung. Das Manuskript und die kolorierten (mit einer laterna magica vorzuführenden) so genannten „Skioptikonbilder“ sind im Wiener Volkshochschularchiv erhalten geblieben.
Zum Buch
Gehmacher /Heinrich /Oesch: „Käthe Schirmacher. Agitation und autobiografische Praxis zwischen radikaler Frauenbewegung und völkischer Politik“. Böhlau. 57 €.
Das Buch wird am Donnerstag, 17. 5. 2018, 19 Uhr, im Dachsaal der Wiener Urania, Uraniastraße 1, 1010 Wien präsentiert. Besucher sind willkommen:
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