Blinder Passagier ist neue Garnelen-Art

Heteromysis domusmaris ist etwa vier Millimeter groß.
Im Haus des Meeres entdeckten Biologen eine bisher unbekannte Spezies. Sie kam wohl vor zehn Jahren mit Steinen nach Wien.

Jahrelang schwammen die winzigen Tierchen vor seinen Augen durch die tropischen Gewässer Wiens – durchsichtig, mit roten Punkten, manche mit grüner Bauchtasche. Doch Hammerhai, Geistermuräne und Seepferdchen forderten seine volle Aufmerksamkeit. Schließlich wollte es Daniel Abed-Navandi doch genau wissen. Der Kurator für Meeresaquarien im Haus des Meeres wandte sich an einen der weltweit gefragtesten Garnelen-Experten: Karl J. Wittmann, wohnhaft in Wien. Der Biologe aus Leidenschaft, Umweltmediziner in Pension, nahm Proben, betrachtete die Mini-Räuber unter dem Mikroskop, präparierte Weibchen wie Männchen, blätterte durch die dürftige Fachliteratur – und stellte ohne Zweifel fest: Die alten Bekannten sind eine neue Art. Sie heißt jetzt Heteromysis domusmaris und gehört der Ordnung halber zu den Schwebgarnelen.

1400 Glaskrebs-Arten weltweit

„Heteromysis domusmaris ist keine Garnele, wie man sie bei uns im Restaurant isst“, sagt Wittmann. Wenn auch genießbar, sind die heimischen Beckenbodenschwimmer nur entfernt verwandt mit den Delikatessen. Zur richtigen Familie zählen rund 1400 Glaskrebs-Arten. Sie kommen hauptsächlich küstennah in Salzwasser vor, vorzugsweise im Schwarzen Meer. Weniger schweben durch Brackwasser, in großen Flussmündungen von Amazonas bis Rhein. Nicht zuletzt fühlen sich einige im Süßwasser wohl. Invasiv auch in der Donau. Bis vor kurzem waren global nur 43 Arten aus der engeren Verwandtschaft genau beschrieben; mit österreichischer Expertise sind es nun 44.

Blinder Passagier ist neue Garnelen-Art

Die Biologen Karl J. Wittmann (l.) und Daniel Abed-Navandi entdeckten den Winzling.

Ursprünglich im Korallendreieck daheim

„Heteromysis domusmaris sind vermutlich vor zehn Jahren als blinde Passagiere eingereist“, erinnert sich Abed-Navandi. Ein niederländischer Händler hatte kleine Steine mit Algen, Korallen und Krustenanemonen aus dem Dreieck IndonesienPapua-Neu-GuineaPhilippinen angeboten. In den künstlichen Riffs des Flakturmes wagten sich die Miniatur-Gliederfüßer aus ihren Verstecken. Mittlerweile tauchen sie in allen Etagen auf. Bei den Filteranlagen finden sie reichlich Nahrung und Unterschlupf; von Aquarien mit größeren Fischen – Vorsicht: Fressfeind – halten sie sich fern. Besucher müssen schon sehr genau schauen. Abed-Navandis „Babys“ messen nur vier Millimeter.

Bestimmung eindeutig

Die Bestimmung der neuen Art war dennoch eindeutig. Heteromysis domusmaris zeichnet sich charakteristisch durch lange Fühler und große Augen aus. „Die Krebse haben einen gedrungenen Körper. Mit dem Fächer am Ende des langen Schwanzes geben die Tiere Gas, wenn sie flüchten“, weiß der Meeresbiologe aus Beobachtungen am lebenden Exemplar. Wittmann prüft Unterschiede mit unvergleichlicher Erfahrung an sezierten Objekten: „Es gibt Arten mit Dornen an den Antennen. Oder mit spitzen bzw. stumpfen Borsten. Ein Greiffuß, mit dem sie Beute einfangen, ist eher selten.“ Einzelne Spezies können sich farblich an Algen und Steine anpassen; ganz Chamäleon der Ozeane. Andere – wie jene im sechsten Bezirk – tragen ihre Jungtiere bauchseitig im Beutel, Känguru lässt grüßen; die Mütter in spe schillern grün. Tiefseearten sind oft rot.

Klimawandel gefährdet Meeresbewohner

„Schwebgarnelen leben sehr zurückgezogen. Es ist schwer abzuschätzen, wie viel Individuen vorhanden sind“, sagt Wittmann und bezieht das nicht nur auf die Gefangenen vom Fritz-Grünbaum-Platz. Fest steht: Für die Krebse könnte es eines Tages eng werden. „Der Klimawandel beeinflusst den Meeresspiegel. Die schnelle Veränderung macht eine Anpassung unmöglich. Sie zerstört die Biodiversität“, sagt Abed-Navandi: „Es wird ein Wettlauf mit der Zeit, wenn wir noch weitere Arten entdecken wollen.“

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