Friedlich oder aggressiv: Bienen beweisen beim Stechen Charakter

Westliche Honigbienen sind Individualistinnen.
Es war eine zeitaufwendige Prozedur: Zunächst fächelten die Forscherinnen mit einer schwarzen Straußenfeder vor dem Bienenstock, dann fingen sie die alarmierten Wächterinnen ein und legten sie kurz auf Eis. Nach einer viertelstündigen Regenerationsphase inklusive sättigender Zuckerwassermahlzeit setzten sie die farblich markierten Probandinnen einer rotierenden 3-D-Kunststoffattrappe mit Federschwanz aus.
Es brauchte zehn Bienenstöcke, zwei Saisonen und mehrere Versuchsanordnungen pro Insekt, um zu aussagekräftigen Ergebnissen über das Stechverhalten der Westlichen Honigbiene zu gelangen. Jetzt steht fest: Apis mellifera hat Persönlichkeit; es gibt Individuen, die immer in den Angriffsmodus gehen, und andere, die stets friedlich bleiben.
„Wir wollten verstehen, wie Honigbienen Entscheidungen treffen. Einerseits funktionieren sie als Superorganismus, anderseits verfügt jede über ein eigenes Nervensystem“, erklärt Studien-Co-Autorin Morgane Nouvian von der Universität Konstanz die Ausgangsfrage.
Das Abwehrverhalten bot sich als Messinstrument an, da es gleichermaßen das Überleben des Einzeltieres wie das des ganzen Volkes betrifft. Aufgrund früherer Arbeiten nahmen die Neurobiologinnen an, dass „sanfte“ und „aggressive“ Bienen ihre Aktivitäten je nach Schwarmgröße bzw. -zusammensetzung ändern würden. Doch das widerlegten die aktuellen Tests. Individualität steht beim Stechen vor der Anpassung an die Mitstreiterinnen.
Bienen folgen ihrem Naturell, nicht dem Schwarm
„Die Experimente bestätigen auf schöne Weise, was man über die grundsätzliche Persönlichkeit schon wusste. Die Details zur Stechlaune im sozialen Umfeld sind neu“, ordnet Robert Brodschneider von der Universität Graz die Ergebnisse aus Deutschland ein.
Der Forscher am Institut für Biologie kennt sich mit den gefinkelten Verteidigungsstrategien von weiblichen Honigbienen aus.
Während Königinnen die Konkurrenz mit ihrem gebogenen, weitgehend glatten Stachel ausschalten, bezahlen die Arbeiterinnen den Abwehrkampf gegen Honigdiebe mitunter mit ihrem Leben. Die vielen Widerhaken bleiben in der Haut von Säugetieren – ob Bär oder Mensch – stecken, beim Abflug reißt der Stechapparat inklusive Giftblase ab, das Insekt stirbt später an der Verletzung.
Letztlich geht es um das Überleben des Volkes
„Evolutionär wird auf der Ebene des Volkes abgerechnet“, erklärt Brodschneider den hohen Preis für das Individuum. Der Chitinpanzer von Feinden dagegen stellt für Bienen keine Gefahr dar. Hier kann der Stachel wie bei der Kunststoffattrappe im Experiment ohne Schaden herausgezogen werden. Das Gift ist die wahre Waffe.
„Wir untersuchten auch, wie sich das Alarmpheromon auf das Stechverhalten auswirkt“, führt Nouvian weiter aus. Der Duftstoff, den Bienen beim Stechen abgeben, um Hilfe zu rufen und Artgenossinnen an die sensibelste Einstichstelle zu lotsen, änderte nichts am Charakter. Ungeachtet der olfaktorischen Signale blieb sanftmütig sanft und angriffslustig angriffig.
Dabei nützen Bienen die chemische Kommunikation weidlich. „Königinnen beeinflussen Arbeiterinnen mit Pheromonen, andere Lockstoffe setzen sie zur Fortpflanzung ein. Die Brut wiederum produziert Pheromone, um gefüttert zu werden“, sagt Brodschneider. Ein Schwärmen für Gerüche.
„Unsere Forschung trägt zum Verständnis bei, wie individuelle Merkmale sowohl das kollektive Verhalten prägen als auch von der Gruppe beeinflusst werden“, verallgemeinert Morgane Nouvian. Betreffend die Bienen schließt die Neurobiologin: „Es ist faszinierend, wie komplex sie agieren – mit einem Gehirn von der Größe eines Sesamkorns.“
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