Ist es wirklich Zufall, ob man einen Bub oder ein Mädchen bekommt?

Eine schwangere Person hält ein Ultraschallbild mit einem erkennbaren Fötus in beiden Händen vor ihrem Bauch.
Lässt sich das Geschlecht eines Babys vor der Zeugung vorhersagen – oder gar beeinflussen? Aktuelle Forschungen fachen eine alte Debatte neu an.

"Wie Sie das Geschlecht Ihres Babys wählen können" – unter diesem Titel erschien Anfang der 1970er-Jahre ein Buch, in dem die sogenannte Shettles-Methode erstmals vorgestellt wurde. Ihr Entwickler, der inzwischen verstorbene US-Gynäkologe Landrum Shettles, war überzeugt, dass sich das Geschlecht eines Babys zum Zeitpunkt der Befruchtung beeinflussen lässt.

Shettles präsentierte – vereinfacht gesagt – eine Anleitung dazu, zu welchen Zeitpunkten rund um den Eisprung Paare Geschlechtsverkehr haben sollten, um die Wahrscheinlichkeit für einen Buben bzw. ein Mädchen zu erhöhen. Die Methode ist umstritten; viele Fachleute bezweifeln, dass sich das Geschlecht bei der Zeugung tatsächlich beeinflussen lässt.

Bub oder Mädchen: Stehen die Chancen 50:50?

Die Frage, ob – und wenn ja, wie – sich das Geschlecht eines Babys beeinflussen lässt, beschäftigt sowohl Laien als auch Wissenschafter bis heute. Erst vor wenigen Monaten kamen Forschende der renommierten Harvard-Universität in einer Studie erneut zu dem Schluss, dass das Babygeschlecht nicht ausschließlich dem Zufall unterliegt. Demnach könnten das Alter der Mutter, bestimmte Gene sowie das Geschlecht älterer Geschwister eine Rolle spielen.

Die Analyse von rund 60.000 Frauen zeigte unter anderem, dass Familien, in denen bereits mehrere Kinder desselben Geschlechts geboren wurden, mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 60 Prozent erneut ein Baby dieses Geschlechts bekommen.

Katharina Rötzer-Londgin, Fachärztin für Medizinische Genetik und Allgemeinmedizinerin, hält die Ergebnisse für interessant, betont jedoch, dass sich daraus keine endgültigen Schlussfolgerungen ableiten lassen: "Zu diesem Thema gibt es widersprüchliche Erkenntnisse", sagt die Expertin. 

So kamen schwedische Forschende vor fünf Jahren in einer Studie, die die gesamte schwedische Bevölkerung seit den 1930er-Jahren umfasste, zu einem gegenteiligen Befund. "Anhand dieser deutlich größeren Kohorte konnte gezeigt werden, dass das Babygeschlecht einer zufälligen Verteilung unterliegt", fasst Rötzer-Londgin zusammen.

Insbesondere bei kleineren Stichproben können beobachtete Häufungen eines bestimmten Babygeschlechts in Familien auch rein zufällig entstehen.

Zu diesem Thema gibt es widersprüchliche Erkenntnisse.

von Humangenetikerin Katharina Rötzer-Londgin

zur Debatte, ob das Babygeschlecht dem Zufall entspringt

Biologische Veränderungen bei der Mutter 

In der aktuellen Studie zeigte sich außerdem, dass Frauen, die erst nach dem 28. Lebensjahr Mutter werden, etwas häufiger ausschließlich Buben oder ausschließlich Mädchen zur Welt bringen. 

Denkbar sei laut den Autorinnen und Autoren, dass altersbedingte biologische Veränderungen bei der Mutter dabei eine Rolle spielen könnten – etwa ein verändertes vaginales Milieu, das das Überleben zugunsten jener Spermien beeinflusst, die ein X-Chromosom tragen und für die Zeugung eines Mädchens verantwortlich sind.

"Es gibt Hinweise darauf, dass sich der pH-Wert der Scheide ab dem 30. Lebensjahr verändert und zunächst etwas saurer wird, bevor er in den Wechseljahren wieder ansteigt", erklärt Rötzer-Londgin. Allerdings werde das vaginale Milieu nicht nur vom Alter, sondern auch vom Zyklus, der Ernährung und möglichen Infektionen beeinflusst. 

"Die These ist daher zu vereinfacht." Zudem stammen Erkenntnisse darüber, wie gut oder schlecht Spermien mit X- bzw. Y-Chromosom in unterschiedlichen wässrigen Lösungen überleben, aus Laborstudien – und "entsprechen nicht den Bedingungen im Körper".

Dass in der Untersuchung der mögliche Einfluss des Kindsvaters nicht berücksichtigt wurde, sehen die Autorinnen und Autoren selbst als Schwachstelle. "Hier fehlt sicherlich ein wichtiges Puzzlestück in der Gesamtbetrachtung", ergänzt Rötzer-Londgin.

Warum mehr Buben geboren werden

Schon lange ist bekannt, dass geringfügig mehr Buben als Mädchen geboren werden. Vermutet wird, dass dieser Unterschied einen biologischen Zweck erfüllt: "Männliche Individuen weisen über die gesamte Lebenszeit nach der Geburt eine höhere Sterblichkeit auf, was im reproduktiven Alter zu einem relativen Mangel an männlichen Individuen führen würde. Die Natur scheint dafür gesorgt zu haben, dass sich im Sinne der Fortpflanzung bis zu diesem Zeitpunkt ein ausgeglichenes Verhältnis einstellt." 

Das Geschlechterverhältnis bei der Geburt spiegelt nicht das im Mutterleib wider: "Bei der Befruchtung ist das Verhältnis tatsächlich 1:1, doch weibliche Föten oder Embryonen versterben vor der Geburt etwas häufiger."

Bis die Muster beim Babygeschlecht vollständig verstanden sind, wird es wohl noch dauern. Dennoch sind solche Forschungen von Bedeutung: "Wenn es tatsächlich relevante Einflussfaktoren auf die Geschlechterverteilung gibt, dann kann das für manche Kinderwunschpaare eine wichtige Information sein. Auf globaler Ebene wären entsprechende Daten auch für die öffentliche Gesundheit und demografische Prognosen von Interesse."

Kommentare