Anpassung als Mammutaufgabe: Klimawandel bringt Wildtiere in Bedrängnis
Die Erderhitzung verschont die Gebirge nicht, was auch Tiere, die in den Alpen leben, zu spüren bekommen. "Survival of the Fittest" ist das oft zitierte Motto, das in der freien Wildbahn nicht einfach umzusetzen ist. Ein über viele Generationen in sich angepasstes Ökosystem muss sich nun in wenigen Jahrzehnten auf veränderte Bedingungen einstellen. Steinbock, Gämse und Co. könnten in Zukunft an ihre Grenzen kommen.
Rasche Anpassung gefordert
Die Frage nach der Fitness ist in diesem Zusammenhang keine Frage, die im Turnsaal beantwortet wird, sondern zielt auf die Anpassungsfähigkeit ab. "Wie schnell es eine Tierart schafft, sich an die Veränderungen des Lebensraumes anzupassen, ist von vielen Faktoren abhängig", sagte Gunther Gressmann, der als Wildbiologe im Tiroler Teil des Nationalparks Hohe Tauern arbeitet. Generell könne man aber sagen, dass es Arten einfacher haben, die mehrere Generationen pro Jahr entwickeln können, wie etwa die meisten Insekten.
Arten mit längeren Generationszeiten, wie große Säugetiere oder viele Vögel, tun sich mit Veränderungen schwer und sind an stabile Lebensräume gebunden. Denn die Anpassungsfähigkeit ist die Möglichkeit einer Tierart, durch Genmutationen der Folgegenerationen auf die geänderten Bedingungen zu reagieren. "Da geht es um die zufälligen Mutationen, die etwas bewirken, was für das Tier positiv ist und das sich in den nächsten Generationen durchsetzen wird. Der Klimawandel ist aber ein Prozess, der derartig schnell geht, dass da einige Arten auf der Strecke bleiben werden", brachte es Gressmann auf den Punkt.
Steinböcke durch Hitze geschwächt
Eine dieser Arten könnte zum Beispiel der Steinbock sein. Dieser sei durch seine Geschichte genetisch sehr eingeschränkt, da er Anfang des 19. Jahrhunderts nahezu ausgerottet wurde und alle heute lebenden Individuen auf rund 100 Tiere zurückgehen, die im Gebiet des Gran Paradiso in Italien überleben konnten. Für den Wildbiologen Gressmann stelle sich die Frage, wie weit so eine Art mit Veränderungen zurecht komme. Hitze verträgt der "König der Alpen" zum Beispiel ganz schlecht. Der Steinbock ist eher an die Kälte angepasst und friert erst ab etwa 20 Grad unter Null. "Er hat Fettreserven und das dichte Winterfell und bekommt daher schneller Hitzestress", verdeutlichte Gressmann.
Kurzfristig könne er auf warme Wintertage nur mit der Änderung seines Verhaltens reagieren indem er die Nahrungsaufnahme in die Nachtstunden verlegt und sich tagsüber ein schattiges Plätzchen sucht. Im Allgemeinen schwäche die Hitze aber die Abwehrkräfte der Tiere.
Vermehrung auf Nahrungsangebot abgestimmt
Am deutlichsten zeigt sich die Komplexität des Themas beim Zusammenspiel zwischen dem Angebot an Nahrung und der Reproduktion von Gämse und Steinbock. Die Tiere haben den Zeitpunkt der Geburten auf die Verfügbarkeit von nährstoffreichen Gräsern und Kräutern abgestimmt. Durch wärmere Winter und eine früher einsetzende Schneeschmelze verschiebt sich das Wachstum der Futterpflanzen aber um einige Wochen nach vorne. Die Verholzung findet daher ebenfalls früher im Jahr statt, mit diesem Prozess nimmt der Nährstoffgehalt ab.
Muttertieren, die viel Energie in die Produktion von Milch stecken müssen, und Jungtieren, die von der Milch auf Grünfutter umgestellt werden, steht dann nicht mehr die beste Futterqualität zur Verfügung. Das hat den Effekt, dass manche Jungtiere nicht genug Reserven für den Winter haben und einige Geißen nur mehr jedes zweite Jahr ein Kitz bekommen.
Auch Vögel in Bedrängnis
Eine andere Art, die laut Gressmann als sehr stark gefährdet gelte, sei das Auerwild. Der Vogel brauche relativ lichte und gut strukturierte Wälder, die aber aufgrund wirtschaftlicher Interessen im Gebirge zu wenig vorhanden seien. Dem Raufußhuhn sei der Lebensraum abhanden gekommen, da große zusammenhängende Gebiete auseinandergebrochen seien und auch kleinere weiter zerstückelt würden. Das führe dazu, dass zwischen den Tieren in den einzelnen Teilpopulationen kein genetischer Austausch mehr stattfinden könne.
Auf lange Sicht käme es dadurch zu einer sogenannten Inzuchtdepression, was einen Verlust der genetischen Anpassungsfähigkeit zur Folge hätte.
Des einen Leid, des anderen Freud
Zu den Profiteuren von höheren Temperaturen würden neben wärmeliebenden Insekten wie dem Borkenkäfer, in erster Linie Parasiten zählen. Deren Entwicklungszeit verkürze sich und sie könnten in einem Jahr mehr Generationen hervorbringen als gewohnt. Dies erhöhe den Infektionsdruck bei den Wildtieren und führe zu mehr Krankheiten. Als Beispiel nannte Gressmann die Gamsblindheit, die ein Bakterium auslöst, das durch verschiedene Fliegenarten übertragen wird. Bis jetzt hatten die Gämsen ab Oktober Ruhe vor dieser Krankheit, doch in den letzten Jahren würden die Fliegen sogar noch im Dezember und Jänner unterwegs sein.
Gressmann wird am Freitag an einer Tagung im Nationalpark Besucherzentrum Mallnitz zu diesem Thema teilnehmen. Dort wird er mit anderen sachkundigen Teilnehmern die Rolle von Rückzugsgebieten wie Nationalparks und die Aussichten von Wildtieren in der Zukunft erörtern. "Die Wissenschaft ist sich einig, dass das sechste Artensterben angefangen hat und der Mensch das verursacht hat", so der Wildbiologe. Aufhalten könne man dies nun nicht mehr, es sei aber wichtig, die Vorgänge zu erkennen, um darauf reagieren zu können.
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