Ameisen sind Meister der Anpassung

Wachsige Schicht überzieht den Körper der Ameisen.
Das chemische Profil von Ameisen ist Schutz und Kommunikationsmittel. Bei Selektionsdruck stellt es sich rasch um.

Der Körper von Ameisen ist - wie auch bei anderen Insekten - von einer dünnen, wachsartigen Schicht bedeckt. Sie schützt die Gliederfüßer vor dem Austrocknen und dient dem Austausch von Informationen in sozialen Netzwerk. So können die Tiere daran z.B. Feinde von Nestgenossen unterscheiden. Wegen ihrer doppelten Funktion ist diese Hautschicht nicht nur lebensnotwendig, sie ist außerdem so einzigartig, dass sie wie ein Fingerabdruck als eindeutiges Erkennungs- und Bestimmungsmerkmal für eine Insektenart dienen kann. Selbst nahe verwandte Arten können anhand dieser Schicht unterschieden werden. Verantwortlich dafür ist ihre Zusammensetzung aus kutikulären Kohlenwasserstoffen, die ein spezifisches chemisches Profil bilden. Biologen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben jetzt festgestellt, dass Ameisen ihr Kohlenwasserstoffprofil im Laufe der Evolution schnell verändern können, um auf äußeren Selektionsdruck rasch zu reagieren.

Substanzen

Kutikuläre Kohlenwasserstoffe können aus über 100 verschiedenen Substanzen bestehen, sind also ausgesprochen vielfältig. Sie finden sich auf der Kutikula fast aller Insekten und verhindern Wasserverlust und Austrocknung, sodass die Tiere auch in trockener Umgebung überleben können. CHCs, abgekürzt vom englischen Cuticular Hydrocarbons, sind außerdem für soziale Insekten der wichtigste Kommunikationskanal: Sie liefern Informationen über die Zugehörigkeit eines Tieres zur Kolonie, über seine Kaste und seine Aufgabe in der Kolonie sowie im Falle von Königinnen über den Fortpflanzungsstatus – und sind damit für das Funktionieren einer Insektenkolonie unersetzlich. Bei vielen solitären Insekten dienen sie als Sexuallockstoffe.

"Die Evolution von derart komplexen Merkmalen, die ganz verschiedene Funktionen erfüllen, ist für uns noch mit vielen Rätseln verbunden", erklärt der Evolutionsbiologe Dr. Florian Menzel. Der Wissenschaftler interessiert sich vor allem dafür, ob CHC-Profile im Laufe der Evolution relativ stabil bleiben, wie zum Beispiel morphologische Merkmale wie Größe oder Körperform, oder ob sie sich im Zuge von evolutionärem Wandel schneller und flexibler ändern können als andere Merkmale.

Studie mit artenreicher Gattung

Für die Studie untersuchten Menzel und seine Kooperationspartner von der Smithsonian Institution in Washington und der Universität Würzburg Ameisen der Gattung Crematogaster, mit rund 1000 Arten eine der artenreichsten Gattungen überhaupt. Diese Kippleibameisen können ihren Hinterleib nach oben kippen und auf diesem Wege Gift oder Abwehrstoffe in die Umgebung und auch in die Umgebungsluft abgeben. Die Wissenschaftler haben 43 Ameisenarten der Gattung Crematogaster aus fünf Kontinenten ausgewählt und sie auf ihre Verwandtschaft und ihr chemisches Profil hin untersucht. "Wir wollten wissen, ob Arten, die im Stammbaum nebeneinanderstehen, auch ähnliche Kohlenwasserstoffprofile besitzen", sagt Menzel.

Starke Unterschiede trotz Verwandtschaft

Tatsächlich fanden die Evolutionsbiologen allerdings keine Übereinstimmung: Verwandte Arten können sich stark im CHC-Profil unterscheiden. Die Profile können sich im Laufe der Evolution also schneller verändern als etwa morphologische Merkmale oder Verhaltensweisen. "Die Ameisen besitzen offenbar ein großes genetisches Arsenal, das sie blitzschnell anpassen können, um ihr CHC-Profil zu ändern", erklärt Menzel. Er vermutet, dass die Ameisen damit die Möglichkeit haben, die chemischen Signale in evolutionär kurzer Zeit auf einen neuen Stand zu bringen, wenn es zum Beispiel veränderte Umweltbedingungen erfordern.

Klima beeinflusst chemischen Fingerabdruck

Wie die Biologen in einer weiteren gemeinsamen Studie zeigen, kann das Klima einen Selektionsdruck auf die Entwicklung des chemischen Fingerabdrucks ausüben. In diese Studie wurden 38 Camponotus-Arten und 42 Crematogaster-Arten aus unterschiedlichen Klimazonen, von gemäßigt bis tropisch, einbezogen. Das Ergebnis ergab einen eindeutigen Zusammenhang im Hinblick auf die Niederschläge: Ameisenarten aus feuchten Regionen wie den Bergregenwäldern in Malaysia oder Uganda besitzen mehr Alkene und weniger Dimethylalkane in ihrer CHC-Palette als Ameisen aus trockenen Gebieten wie dem Mittelmeerraum. "Wir erklären das mit den verschiedenen Fähigkeiten der jeweiligen Komponenten beim Schutz vor Austrocknung", erläutert Menzel. Keinen Einfluss auf die CHC-Zusammensetzung hatte überraschenderweise die Temperatur des Lebensraums. Allerdings, so ein weiteres Ergebnis, weisen sogenannte parabiotische Arten, die zusammen mit einer anderen Ameisenart im selben Nest leben und sich in einer Symbiose gegenseitig unterstützen, wiederum andere CHC-Profile auf. Diese unterscheiden sich deutlich von denen nichtassoziierter Arten – womöglich eine Anpassung, um Aggressionen zwischen den beiden koexistierenden Arten zu verhindern.

Weitere Studien folgen

Als nächstes gehen die Mainzer Evolutionsbiologen zusammen mit Kollegen der Senckenberg Gesellschaft und der Universität Würzburg der Frage nach, wie Ameisen ihre CHC-Profile so schnell umbauen können. Dazu werden sie besonders die parabiotischen Arten Crematogaster levior und Camponotus femoratus genauer untersuchen, die im tropischen Regenwald Südamerikas in sogenannten Ameisengärten zusammenleben und chemisch besonders vielfältig sind. In dieser ungewöhnlichen Wohngemeinschaft suchen die beiden Arten teilweise gemeinsam nach Nahrung und füttern sich mitunter gegenseitig. Ihre Symbiose miteinander, die Symbiose mit den Pflanzenarten der Ameisengärten und die Gründe für ihre Vielfalt an CHC-Profilen werfen auch weiterhin viele Rätsel auf.

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