Ekstase und Brummschädel

Rotnasige Seligkeit: In den Tonkrügen ist Wein. Der wurde auch deshalb viel getrunken, weil man Angst vor verschmutztem Wasser hatte (Bild v. Pieter Brueghel d. J.)
Seine zerstörerische Kraft wird erst seit Kurzem voll erkannt. Wieso der Kater so ein treuer Begleiter ist.

Dionysos begleitet die Menschheit seit Jahrtausenden. Schon Hesiod bringt diesen selbst stets nüchternen Gott mit Wein in Verbindung. Diese Gabe mache ihn zwar zum Freudenbringer, doch das Hochgefühl, das bemerkte schon der griechische Dichter im 7. Jahrhundert v. Chr., sei ein zweischneidiger Segen. Wein bezeichnet Hesiod als "pharmakon", eine den Wahnsinn auslösende Droge. Auch wenn Alkoholmissbrauch in der Antike nicht so breit diskutiert wurde wie heute, kurz vor dem Jahreswechsel – eines war den Gelehrten schon damals klar: Ethanol ist Gift für den Körper, es zerstört Herz, Hirn und Leber. Der Mensch wäre also seit jeher gut beraten, würde er sich mäßigen oder gar nach Alternativen umsehen.

2010 zeigte eine britische Studie, die im Fachjournal The Lancet veröffentlicht wurde, dass Alkohol dreimal schädlicher ist als Heroin und Tabak, und achtmal gefährlicher als Ecstasy. Grundlage dafür war eine neue Klassifikation des britischen Pharmakologen David Nutt, der erstmals sowohl die Schäden für den Einzelnen als auch jene für die Gesellschaft berücksichtigte und auf Basis dieser Befunde feststellen konnte, welche Substanz wirklich wie gefährlich ist, sagt Gabriele Fischer, Leiterin der Drogenambulanz der MedUni Wien. Nutt unterteile Drogen also nicht allein nach dem Suchtpotenzial. In die höchste der insgesamt neun Gefährdungs-Klassen fallen Alkohol, Heroin und Crack (rauchbares Kokain). Diese Einteilung sei auch der Grund für immer wieder kehrende Aussagen, "Cannabis sei deutlich harmloser für Betroffene und Gesellschaft", meint Fischer.

Der Drogentote ist nach dieser Lesart eine finanzielle Erleichterung, bei hoher Arbeitslosigkeit sei ein Ausfall volkswirtschaftlich zu verkraften. Hingegen sei das Leid, das ein lebender Alkoholkranker anrichten könne, ungleich größer, wenn er etwa Verkehrsunfälle verursacht, bei denen Unschuldige zu Schaden kommen, wenn es zu Gewalt in der Familie kommt. Außerdem seien Kosten zu berücksichtigen, die der Allgemeinheit durch Gefängnisaufenthalte entstehen.

Sicherer Rausch

Nutt, Chef des European Brain Council, die europäische Dachorganisation für Hirnforschung, entwickelt eine "sichere Version von Alkohol", die das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden soll. Der noch namenlose Stoff soll eine ähnliche Wirkung wie Ethanol im Hirn entfalten, also lockerer und entspannter machen, aber ohne die unerwünschten Nebenwirkungen zu zeigen. Die Industrie reagiert bislang zurückhaltend, was Nutt jedoch nicht irritiert: "Das war bei den E-Zigaretten anfangs genauso", schreibt er in einem Kommentar im Guardian.

Um die Bedeutung des Trinkens zu ergründen, kann man entweder weit in die Geschichte zurückgehen, etwa ins alte China um 1000 v.Chr., als eine Trink-Etikette und Sprüche für kultivierte Gelage bekannt waren, festgehalten in der Schrift I-Li. Oder man schaut sich an, wie und wozu die Menschen Vergorenes konsumieren."Es soll keiner so wenig Wein trinken, dass es seiner Gesundheit schade", schrieb Marc Aurel in seinen "Selbstbetrachtungen". Dieser heute kaum noch verständliche Satz, zeigt die übergeordnete Bedeutung, die der Wein in der Antike hatte. Getrunken wurde Gewürzwein, vergleichbar mit einem kalten Glühwein, wie der Leiter der Antikensammlung Georg Plattner das Gesöff beschreibt. Unverdünnten Wein zu trinken galt als barbarisch. Der Alkohl war lange Zeit nicht nur das einzige Desinfektionsmittel, sondern auch bekömmlich. Denn zurecht fürchteten sich die Menschen vor verschmutztem WasserFeucht-fröhliche Feiern galten als göttliche Gegengabe für den brutalen Arbeitsalltag. "Schenk ein, sauf aus, Juchu", riefen die Burschen am Land, die mit sauberen Füßen die Weintrauben in den Weinbottichen zerstampften.

Land der Trauben: Forscher der Boku erbrachten den ältesten Nachweis kultivierter Weintrauben in Mitteleuropa. Sie stammen aus Stillfried (NÖ) und datieren aus der späten Bronzezeit (10.bis 9. Jh.v.Chr.).

Kein Plan: Experten wie Gabriele Fischer kritisieren seit Langem das Fehlen eines österreichweiten, einheitlichen Suchtplans, der nach professionellen fachärztlichen Standards festlegt was mit den Betroffenen passieren soll und wie wirkungsvolle Prävention aussieht. Es habe sich gezeigt, dass Sozialarbeit zu wenig sei.

Planet der Zecher: 2,5 Millionen Menschen sterben jedes Jahr weltweit an den Folgen des Missbrauchs von Alkohol.12,2 Liter puren Alkohol pro Kopf und Jahr konsumieren Österreicher, in Estland sind es 12,3, in Litauen 12,7.

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