„Der Umzug in ein neues Büro ist eine Chance“

„Der Umzug in ein neues Büro ist eine Chance“
Widerstände gegen Veränderungen im Office sind oft massiv. Wie Arbeitgeber damit umgehen und welche Rolle die Unternehmenskultur dabei spielt, erklärt Trendforscher Harry Gatterer im Interview.

SIGNA: Schöne neue Arbeitswelt: Wo sehen Sie Widerstände in der Umsetzung?

Harry Gatterer: Die größten Widerstände tauchen immer in der Kultur auf: Kultur ist stärker als Architektur. Sie können tausendmal ein tolles Office bauen, wenn Sie die Menschen nicht „mitnehmen“, werden diese ihre Bedenken und Resistenzen aufbauen.

Das ist keine neue Information. Aber interessant ist, dass es doch immer wieder passiert. Und am Ende landet man dann bei der Diskussion, warum man doch seinen Arbeitsplatz behalten möchte und dieses „komische“ Desk-Sharing nichts für einen ist. Nun, das ist auch verständlich: Menschen, die diese „schöne neue Arbeitswelt“ beschreiben und vielleicht auch leben, sind nicht in der Mehrheit.

Die allermeisten Menschen leben in einer Art Veränderungs-Unwilligkeit, haben vielleicht sogar Angst davor. Die Psychologie lehrt uns dabei eine einfache Regel: Wir Menschen ändern uns dann, wenn wir die gleichen bleiben dürfen. Das ist es. Wer in die so genannte neue Arbeitswelt einziehen muss, ohne es zu wollen, braucht Gewissheit, in dem Wandel nicht unterzugehen.

Gibt es immer wiederkehrende Muster gegen die Umsetzung?

Der Schreibtisch, der einem weggenommen wird. Der Verlust der Persönlichkeit. Der Unglaube, dass es die Unternehmensführung wirklich besser für die Mitarbeiter machen will – und nicht nur Kosten spart. Und natürlich die Angst, dass wegen eines neuen Büros andere Anliegen vernachlässigt werden: Also, die Erneuerung der EDV-Systeme zum Beispiel.

Aber da diese Muster tatsächlich wiederkehrend sind, ist es auch möglich, damit umzugehen. Und ich denke, dass gerade ein Umzug in ein neues Büro immer eine Chance ist, an der Unternehmenskultur zu arbeiten oder die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Nimmt man es ernst, müsste man also den Umzug ins Büro wie eine Transformation des gesamten Unternehmens in die Zukunft betrachten. Und dabei die Kultur, die Ängste, die Bedenken der Teams und Mitarbeiter ernst nehmen.

„Der Umzug in ein neues Büro ist eine Chance“

Mit den neuen Arbeitswelten sind auch erhebliche Investitionen für Unternehmen verbunden: Rechnen sich diese?

Sogar mehrfach. Im Grunde haben Sie, wenn es klug gemacht ist, die offensichtlichen Faktoren. Dann wird durch bessere Wege, Logistik, Technologie und Infrastruktur schlichtweg die Produktivität besser. Das lässt sich auch messen.

Der nicht so leicht messbare, also implizite Faktor, wie ich das nenne, ist dabei aber vielleicht noch größer: Durch eine neue Arbeitsumgebung, die es ernst nimmt mit der Kultur und der Mentalität des Unternehmens, gibt es Hebel-Potenziale. Das bedeutet: Jedes Unternehmen ist durchdrungen durch eine gewisse Mentalität. Diese ist unsichtbar, aber für jeden spürbar.

Ändert man die Umgebung, kann sich auch diese Mentalität der Firma wandeln. Dadurch können neue Gedanken entstehen, die nicht nur zu Verbesserungen führen. Vielmehr ist es möglich, das eigene Geschäft neu zu sehen. Man zieht dann auch neue Menschen an, ob Mitarbeiter, Partner oder Kunden. Und eröffnet neue Marktchancen.

Wer das Denken einer Organisation ändert, ändert die Realität und dadurch die Möglichkeiten. Das ist nicht Teil der klassischen Management-Lehre, weshalb es heute so wenig passiert. Dabei kann der Umzug in ein neues Office die Chance sein, sich ein Katapult nach vorne zu bauen, getragen von einem neuen Mindset der Organisation.

Was sind wesentliche Merkmale, um dieses neue Mindset zu etablieren?

Als Erstes geht es darum, dass man sich dem bestehenden Mindset, den Denkweisen und Überzeugungen, die die gesamte Organisation quasi unsichtbar zusammenhalten, bewusst wird. Es wirkt implizit: Daher ist es auch egal, welche Leitbilder und Visionen man in Hochglanz-Broschüren entwickelt. Getragen muss es vom gesamten Unternehmen sein.

Wenn man sich dieser impliziten Muster bewusst ist, sind sie auch gestaltbar. Auch durch Raum. Deshalb hat ja Google diese irrwitzigen Büros gebaut, um dem inneren Drängen der Garagen-Firma zu entsprechen. Aber das ist eben nicht kopierbar. Das Mindset einer Organisation ist immer originär. Es geht bei der Umsetzung nicht darum, andere zu imitieren, sondern das eigene Mindset zu erkennen und dann in die Zukunft weiter zu schreiben.

Damit nehmen Sie die Vergangenheit der Organisation mit, und implementieren Zukunft in der neuen Arbeitsumgebung. Die nächste große Welle des neuen Arbeitens ist genau die: Das Implizite sichtbar machen, um es in eine neue Ära zu übertragen. Daher spreche ich auch vom Implicit Office.

Living Office ist ein Trend: Ist das nicht eine Bedrohung, dass das Private zunehmend in das Berufliche hineinragt?

Das Phänomen der Überschneidung der Lebenssphären drängt in alle Lebensbereiche. Das hat nicht mit der viel besungenen Work-Life-Balance zu tun. Es geht um Life-Balance. Die gilt es zu finden. Den meisten Stress haben die Menschen heute mit ihrem Privatleben.

Durchschnittlich 38 Wochenarbeitsstunden ist ein zeitgeschichtliches Extrem. Noch nie haben wir so wenig gearbeitet. Dass dabei die Grenzen durchlässiger werden ist ein Effekt unserer Zeit. Auf der anderen Seite erhöhen sich dadurch die individuellen Möglichkeiten, wenn man sie nutzt.

Die modernen Arbeitswelten enthalten zum Teil offene, flexible, auch dynamische oder laute Bereiche: Wie kann man da die Konzentration behalten und dementsprechend konzentriert arbeiten?

Wer nur offene, dynamische Bereiche installiert, verliert die Zukunft aus den Augen. Wir brauchen Ruhe, Konzentration und Müßiggang. Genauso wie wir Phasen der Beschleunigung haben, sind Entschleunigungszeiten wichtig. Häufig gibt es für die Ruhe nur Mini-Orte – das sieht man immer öfter an den so genannten Mini-Think-Tank-Räumen in Büros. Das ist zu wenig. Nicht umsonst werden Bibliotheken zur Zeit so häufig genutzt wie nie zuvor.

Was wie ein Widerspruch wirkt, ist eigentlich logisch. Die öffentlichen Bibliotheken sind wohl die letzten wirklich ruhigen Orte des öffentlichen Lebens. Alles andere ist Lounge, cool, hip, dynamisch. Die Bibliothek ist vor allem eines: ruhig. Daran können wir uns ein Vorbild nehmen. Geben wir also der Ruhe auch in Unternehmen einen Ort, gewinnt das Unternehmen an innerer Kraft und Konzentration. Ohne diese kommen wir in den rastlosen Zeiten nicht voran.

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