Zu wenig Geld, kein Nachwuchs: Dolmetscher proben den Aufstand
Zuerst schlugen die Sachverständigen Alarm, jetzt gehen die Gerichtsdolmetscher auf die Barrikaden. Beide Berufsgruppen sind unerlässlich für eine funktionierende Justiz und für faire Verfahren. Bei den Dolmetschern geht es nicht nur um die Honorare, die Problematik ist wesentlich komplexer.
„Die Situation ist prekär“, warnte Andrea Bernardini, Präsidentin des Verbandes der Gerichtsdolmetscher, kürzlich in einem Brief an Justizminister Josef Moser (FPÖ). Bei den Gerichten, den Behörden und der Polizei werden immer mehr Dolmetscher gebraucht. Vor allem für jene Sprachen, die in Österreich vor Jahren noch als „selten“ galten, heute aber weiter verbreitet sind, gibt es viel zu wenig gut ausgebildete Übersetzer.
„Richter und Justizangehörige raufen sich die Haare, weil sie ganze Vormittage damit zubringen, qualifizierte Gerichtsdolmetscher mehr oder weniger kurzfristig aufzutreiben“, weiß Bernardini. Richter erzählen, dass im Landesgericht für Strafsachen in Wien mittlerweile bei jedem zweiten Prozess ein Dolmetscher benötigt wird.
Österreichweit gibt es knapp 800 Gerichtsdolmetscher für 52 Sprachen. Voraussetzung ist ein abgeschlossenes Studium der Translationswissenschaft und mindestens zwei Jahre Berufserfahrung. Wer ein anderes Studium absolviert hat, benötigt fünf Jahre Praxis. Erst dann können die Kandidaten zur anspruchsvollen Gerichtsdolmetscher-Prüfung antreten.
Die Entlohnung ist im Gebührenanspruchsgesetz 1975 geregelt. Für die erste halbe Stunde gibt es 24,50 Euro, jede weitere wird mit 12,40 Euro abgegolten. Die Tarife wurden seit 2007 nicht mehr an die Inflationsrate angepasst. Die Gerichtsgebühren dagegen wurden in diesem Zeitraum vier Mal angehoben.
Viele Dolmetscher sind Freiberufler und müssen von den bescheidenen Honoraren noch Sozialversicherung und Einkommensteuer bezahlen. „Diese Entlohnung ist dem Qualifikationsprofil nicht würdig“, ärgert sich Bernardini. Angesichts solcher finanziellen Aussichten „ist das Interesse, die Gerichtsdolmetscherprüfung abzulegen, gering. Die Anforderungen sind außerordentlich hoch, deswegen gibt es kaum Nachwuchs“.
Überaltert
Die Berufsgruppe ist bereits völlig überaltert, das Durchschnittsalter bei den Gerichtsdolmetschern liegt bei rund 60 Jahren. Für Afghanisch (Dari und Pashtu) gibt es in ganz Österreich einen Gerichtsdolmetscher. Am Asylamt (BFA), das mit rund 2500 Übersetzern zusammenarbeitet, soll bis heute nur ein einziger Antragsteller aus Afghanistan keine sprachliche Unterstützung benötigt haben. Das Innenministerium, sprich die Polizei, greift laut dem Verband auf eine Liste von rund 3000 Dolmetschern unterschiedlichster Qualifikationen zurück.
Das Durchschnittsalter der Arabisch-Übersetzer liegt bei 70 Jahren. Am Sprengel des Wiener Landesgerichts sind 14 Arabisch-Übersetzer registriert, in ganz Österreich 24. In Persisch (Farsi) haben österreichweit nur 16 Übersetzer die Gerichts-Zertifizierung. Bis heute gibt es übrigens kein Dolmetsch-Studium für Türkisch. In der Liste des Justizministeriums, in der die Gerichtsdolmetscher verzeichnet sind, finden sich für ganz Österreich nur 52 Türkisch-Übersetzer.
Immer wieder würden bei Gerichten, Polizei, Asyl- und Verwaltungsbehörden, in Krankenhäusern und Sozialeinrichtungen unqualifizierte Personen dolmetschen, sorgt sich Bernardini. Sie spricht von „Grauen Listen“ und „Hausdolmetschern“. Oft reiche schon ein Volkshochschulkurs. Doch ohne qualifizierte Dolmetscher seien „über kurz oder lang keine fairen Verfahren mehr zu gewährleisten“.
Dem Präsidium des Landesgerichtes ist die Problematik klar. Wie sich in der Liste der zertifizierten Dolmetscher zeige, gebe es Sprachen, in denen wenige Dolmetscher eingetragen seien. Bei Bedarf müsse hier auf andere, sprachkundige, geeignete Personen zurückgegriffen werden, sagt Sprecherin Christina Salzborn.
Auch im Justizministerium ist das Problem bewusst, doch es fehlt am Geld. Bei einem Gespräch mit Moser wurden die Übersetzer jetzt vertröstet. Eine Erhöhung der Honorare könne erst im Budget 2020/21 berücksichtigt werden, dann aber ganz sicher, lässt der Minister gegenüber dem KURIER ausrichten.
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