Kampf gegen arbeitsbedingten Stress
Zu viel Lärm im Großraumbüro, eine falsch eingestellte Telefonanlage, die Aufgaben falsch verteilt, die Kommunikation zwischen den Abteilungen mangelhaft: „Es war nix Großes, worüber unsere Mitarbeiter klagten, es waren die vielen Kleinigkeiten, die den Tag über nerven“, berichtet Peter Steinbach, Geschäftsführer Xylem Service Austria. Der Wassertechnologie-Spezialist aus Stockerau mit 270 Mitarbeitern ließ die psychischen Belastungen im Betrieb evaluieren.
Ein Akustikexperte kümmerte sich daraufhin um den Lärm, die Telefonanlage wurde optimiert, Aufgaben neu verteilt und Mitarbeiter besser eingeschult. „Der Aufwand für Verbesserungen lohnte sich. Ich habe ja nichts davon, wenn die Mitarbeiter demotiviert oder ständig krank sind“, sagt Steinbach. Die Statistik gibt ihm recht. 60 Prozent aller Arbeitnehmer fühlen sich durch den Beruf gesundheitlich beeinträchtigt (s. Grafik unten), Stress und psychische Belastungen sind die Ursachen für mehr als die Hälfte aller Krankenstandstage. Und sie sind einer der Hauptgründe für die Invaliditätspension.
Anti-Stress-Gesetz
„Mein Ziel ist es, die I-Pension zu minimieren und daher mehr Bewusstsein für die Stressfaktoren zu schaffen“, sagt Arbeitsminister Rudolf Hundstorfer und will mehr Druck auf die Betriebe ausüben. Schon seit einem Jahr sind diese verpflichtet, nicht nur die physische, sondern auch die psychische Gesundheit ihrer Beschäftigten zu schützen. Im Vorjahr nahmen die Arbeitsinspektorate die ersten 5600 Betriebe unter die Lupe. Anna Ritzberger-Moser, Leiterin der Arbeitsinspektion im Sozialministerium, zieht eine positive Zwischenbilanz. „60 Prozent der Unternehmen waren schon auf einem guten Weg“, hätten also bereits Evaluierungen durchgeführt und Maßnahmen ergriffen. Bei 40 Prozent sei aber noch nichts geschehen. Gibt es Beanstandungen, bekommt die Firma eine bestimmte Zeit, Maßnahmen zu setzen, dann erfolgt eine neuerliche Evaluierung. „Strafanzeigen gab es bisher keine, aber ich schließe sie für die Zukunft nicht aus“, sagt Ritzberger-Moser.
Vorerst geht es um Sensibilisierung und Beratung. Die EU startete kürzlich eine große Kampagne zum Thema Arbeitsschutz. In einem Wettbewerb werden die besten Lösungsvorschläge von Unternehmen ausgezeichnet. www.healthy-workplaces.eu/de
27 Jahre lang war Josef H. im Verkauf tätig. Als er in seinem vorletzten Job nach neun Jahren "abgebaut" wurde, fand er eine neue Stelle bei einem Solaranlagenbauer in der Fertigung. "Im Winter stempeln gehen, im Sommer extremer Druck, mit einem Wort: ständig Vollgas. Jeden Tag um fünf Uhr auf, damit ich um sechs in der Firma bin. Dazu kam die große Verantwortung", beschreibt der zweifache Familienvater die Zeit vor seinem Zusammenbruch. Am Ende konnte er nur noch zwei Stunden pro Nacht schlafen. "Ich war einfach fertig" und: "Das kommt so schleichend, man sieht es einfach nicht."
Eineinhalb Jahre war der Oberösterreicher im Krankenstand, ein längerer Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik machte ihm bewusst, was Körper und Seele ihm sagen wollten: "Der Druck war einfach mehr, als ein Mensch ertragen kann. Ich weiß jetzt, dass ich sehr auf mich aufpassen muss." Der Weg aus einem Burn-out ist steinig und schwer: Zunächst ist da die große Unsicherheit: Was kann ich mir überhaupt noch zutrauen? Was schaffe ich, ohne erneut zusammenzubrechen?
Neue Job-Chance
In den Donauwerkstätten des Vereins Saum in Langenstein (OÖ), einem gemeinnützigen Betrieb, erhielt Josef H. die Chance, das herauszufinden. Er ist froh um diese Chance: "In der Werkstatt machen wir wirklich alles. Im Vorjahr haben wir viele Weihnachtsbillets hergestellt, momentan arbeiten wir an Blumensteckern aus Holz für ein paar Gemeinden." Die Arbeit macht ihm Spaß, auch, "weil ich sowieso von Natur aus ein Tüftler und Handwerker bin." Am wichtigsten ist ihm, dass ihn hier ein Sicherheitsnetz davor bewahrt, wieder ins Bodenlose zu fallen: "Wenn ich hier sage, es geht nicht, dann wird das respektiert." Wenn seine befristete 33-Stunden-Stelle bei den Donauwerkstätten zu Ende ist, dann hofft Josef H., "dass ich irgendwo wieder einen Arbeitsplatz finde. Einen, der für mich passt und der mich nicht mehr krank macht".
"Es gibt viele Gründe, warum Menschen den Anschluss an den Arbeitsmarkt verlieren. Tatsache ist: Immer mehr halten dem Druck nicht mehr stand", sagt Judith Pühringer, Geschäftsführerin des Bundesdachverbands für Soziale Unternehmen (bdv austria). Soziale Unternehmen sind gemeinnützig und helfen mit Beschäftigungs-, Beratungs- und Bildungsangebote auf dem Weg (zurück) ins Erwerbsleben. Pührigers Wunsch: "Eine gerechtere Verteilung von Arbeit, etwa durch Anreize zum Abbau von Überstunden."
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