Wo es überall kracht: Ökonomischer Druck von der Straße

Eine Menschenmenge demonstriert mit der chilenischen Flagge.
Korruption, Lebenskosten, Ungleichheit, Freiheitsrechte: Proteste gegen Missstände dürften auch das Wirtschaftsjahr 2020 prägen.

Das Jahr 2019 war gekennzeichnet von Protesten. Nicht nur die Klimaschutzaktionen (Fridays for Future) mobilisierten Millionen Demonstranten. In vielen Staaten gingen die Menschen auf die Straße, um ihrem Zorn über ökonomische und politische Missstände Luft zu machen.

Daran werde sich, speziell in den Schwellenländern, wenig ändern, erwartet Irina Topa-Serry, Ökonomin bei AXA Investment Managers: „Problematisch bleiben auch 2020 die wachsenden sozialen Unruhen, die die politische Stabilität beeinträchtigen. In Chile, Bolivien und Ecuador brechen immer wieder Straßenproteste aus, und auch Argentinien und Venezuela befinden sich weiter in einer schwierigen Lage.“ So unterschiedlich die Anlassfälle sein mögen, einige Gemeinsamkeiten weisen diese Proteste auf.

Lebenskosten

Die Protestbewegungen in Frankreich gingen nahtlos ineinander, bis hin zu jüngsten Streiks gegen Pensionsreformen. Deshalb geriet in Vergessenheit, woran sich die Gelbwesten Ende 2018 entzündet hatten: an Plänen für höhere Treibstoffsteuern. In Ecuador und Iran lieferte ebenfalls die Abschaffung von Spritpreis-Stützungen den Anstoß zu Massenprotesten, die rasch den generellen Unmut kanalisierten. In Chile trieb neben Protesten gegen niedrige Löhne und hohe Gesundheits- und Bildungskosten die Erhöhung der U-Bahn-Ticketpreise die Menschen auf die Barrikaden.

Mehrere Personen kauern sich hinter einem Baum, während berittene Polizisten im Hintergrund zu sehen sind.

Proteste gegen die Regierung in Santiago de Chile

Reiter der Polizei inmitten von Demonstranten in einer staubigen Straße.

Proteste gegen die Regierung in Santiago de Chile

Polizisten zu Pferd reiten durch eine Menschenmenge, während Demonstranten Steine werfen.

Proteste gegen die Regierung in Santiago de Chile

Polizisten zu Pferd inmitten einer Menschenmenge während einer Demonstration.

Proteste gegen die Regierung in Santiago de Chile

Eine junge Frau spricht während einer Demonstration mit einem Polizisten in voller Montur.

Proteste gegen die Regierung in Chile

Eine Frau protestiert vor einer Reihe von Polizisten mit Schutzschilden.

Proteste gegen die Regierung in Chile

Polizisten in Kampfmontur stehen auf einer Straße Demonstranten gegenüber.

Proteste gegen die Regierung in Chile

Menschen gehen und stehen an einem sonnigen Tag im Sprühnebel.

Proteste gegen die Regierung in Chile

Demonstranten werfen inmitten von Rauchbomben Gegenstände.

Proteste gegen die Regierung in Chile

Eine Person mit Gasmaske tritt inmitten von Rauch auf einer Straße.

Proteste gegen die Regierung in Chile

Demonstranten werfen Steine auf ein Denkmal in Chile.

Proteste gegen die Regierung in Chile

Eine Reihe von Polizisten mit Schutzschilden steht vor einem Feuer auf der Straße.

Proteste gegen die Regierung in Chile

Soziale Ungleichheit

Dass Venezuela nicht zur Ruhe kommt, überrascht nicht: Das sozialistisch regierte Land steckt seit Jahren in einer Versorgungskrise, hat die höchste Inflation (laut IWF 200.000 Prozent) und ist durch das Ringen von Nicolás Maduro und Juan Guaidó um die Macht gelähmt. Aus Chile kannte man solche Bilder bisher nicht: Seit 18. Oktober wurden bei gewaltsamen Protesten 23 Menschen getötet und mehr als 2.000 verletzt. Dabei galt Chile als reichstes und stabilstes Land in Südamerika. Ab Mitte der 1970er hatten in den USA ausgebildete Ökonomen („Chicago Boys“) das Land auf radikalliberalen Kurs getrimmt; manchen galt es dank niedriger Staats- und Steuerquote als Vorbild. Eine Kehrseite ist die eklatante soziale Schieflage: Chile weist mit Mexiko die am ungleichsten verteilten Einkommen aller 36 OECD-Staaten auf. In Argentinien verlor der gescheiterte wirtschaftsfreundliche Präsident Macri die Wahl. Dafür kehrte Vorgängerin Cristina Fernández de Kirchner, zum Schrecken vieler Investoren, als Vizepräsidentin zurück. Wie schon 2001 und 2014 ist das Land abermals pleite.

Eine Reihe von Polizisten mit Schutzschilden steht auf einer mit Trümmern übersäten Straße.

Anti-Regierungsproteste in Beirut (Libanon), Dezember 2019

Ein Junge sitzt in ein libanesische Flagge gehüllt und scheint traurig.

Anti-Regierungsproteste in Beirut (Libanon), Dezember 2019

Eine große Menschenmenge mit libanesischen Flaggen demonstriert bei Nacht vor einem beleuchteten Weihnachtsbaum.

Anti-Regierungsproteste in Beirut (Libanon), Dezember 2019

Eine große Menschenmenge demonstriert mit libanesischen Flaggen in einer Stadt bei Nacht.

Anti-Regierungsproteste in Beirut (Libanon), Dezember 2019

Eine Menschenmenge schwenkt libanesische Flaggen inmitten von rotem Rauch und Handykameras.

Anti-Regierungsproteste in Beirut (Libanon), Dezember 2019

Ein brennender Reifen blockiert eine Straße, während eine Frau im Hintergrund steht.

Anti-Regierungsproteste in Beirut (Libanon), Dezember 2019

Eine Gruppe von Menschen demonstriert mit arabischen Schildern.

Anti-Regierungsproteste in Beirut (Libanon), Dezember 2019

Korruption

Ob im Libanon, Irak, Ägypten, Thailand oder Bolivien, wo der Vorwurf gefälschter Wahlen und Druck der Militärs zum Sturz und Exil von Langzeit-Präsident Evo Morales führten: Bei vielen Protesten stehen Vorwürfe des Betrugs und der Selbstbedienung der Eliten im Zentrum. In Malta zerbröselt die Regierung von Joseph Muscat als Spätfolge des Attentats auf die Journalistin Daphne Caruana Galizia, wegen vermuteter Mafiakontakte.

Eine Menschenmenge demonstriert mit Schildern gegen Korruption und für Pressefreiheit.

Proteste gegen die Regierung in Malta, Dezember 2019

Ein Wandbild mit Porträts von Männern, teilweise mit roter Farbe überzogen.

Proteste gegen die Regierung von Premier Joseph Muscat in Malta, Dezember 2019

Eine Menschenmenge demonstriert mit maltesischen Flaggen und Schildern gegen Joseph Muscat.

Proteste gegen die Regierung in Malta, Dezember 2019

Eine Menschenmenge versammelt sich nachts auf einem Platz vor beleuchteten Gebäuden.

Proteste gegen die Regierung in Malta, Dezember 2019

Eine Menschenmenge hält bei Nacht maltesische Flaggen und Handylichter hoch.

Proteste gegen die Regierung in Malta, Dezember 2019

Menschen demonstrieren mit Schildern gegen Korruption und die Mafia.

Proteste gegen die Regierung und Gedenken an Daphne Caruana Galizia in Malta, Anfang Dezember 2019

Menschen gedenken vor einem Porträt von Daphne Caruana Galizia mit Blumen und Kerzen.

Gedenken an die im Oktober 2017 ermordete Journalistin Daphne Caruana Galizia, Ende November 2019

Freiheitsrechte

Brutale Reaktionen von Polizei oder Militärs brachten den Demonstrationen weiteren Zulauf. Die Proteste in Hongkong, die sich an einem Auslieferungsgesetz für Dissidenten an China entzündet hatten, wuchsen zu einer Demokratie-Bewegung, die um die bis 2047 garantierten Sonderrechte bangt. In Indonesien bringen Studenten den wiedergewählten Präsidenten Joko Widodo unter Druck, der Freiheitsrechte beschneiden will. Die Chilenen demonstrieren für eine Verfassungsreform, über die nun im April 2020 abgestimmt wird. In Katalonien wurde die Autonomiebewegung durch Gefängnisstrafen für Separatistenführer neu entflammt. Einige Autokraten waren zum Rücktritt gezwungen, wie Omar al-Baschir im Sudan, der greise Machthaber Abdelaziz Bouteflika in Algerien oder Premier Adel Abdel-Mahdi im Irak.

Negativer Ausblick

Und 2020? Von der Konjunktur ist eher wenig Aufwind zu erwarten. Sollten das Wachstum schwächeln und die Arbeitslosigkeit steigen, könnten sich die Proteste intensivieren. Der Ausblick, den die Ratingagentur Moody’s Mitte November für das kommende Jahr anstellte, fiel für die 142 gerateten Staaten in Summe negativ aus: Die geopolitischen Risiken seien gestiegen, viele Entwicklungen sprunghaft und unberechenbar. Und wegen der vielerorts hohen Schulden gebe es wenig Spielraum, um bei allfälligen Krisen gegenzusteuern.

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