Wirtschaftskammerwahl "wie in der Sowjetunion"

Wer ist "unsere Wirtschaft"? Kleinstunternehmen sind in der WKÖ deutlich unterrepräsentiert.
Mandatsvergabe diene nur dem Machterhalt des ÖVP-Wirtschaftsbundes, kritisieren Grüne und Sozialdemokraten.

Die Wirtschaftskammer – eine Diktatur? Die Anspielung von Russlands Präsident Wladimir Putin beim Empfang von WKÖ-Boss Christoph Leitl am Dienstag habe einen wahren Kern, finden Grüne und Sozialdemokraten. Die Wahlordnung für die Wirtschaftskammer-Wahl im nächsten Jahr „entspricht der einer marxistischen Räterepublik der frühen Sowjetunion“, klagt Volker Plass, Bundessprecher der Grünen Wirtschaft.

Die Mandatsvergabe in den verschiedenen Fachorganisationen und Sparten sei nämlich rein auf den Machterhalt des ÖVP-Wirtschaftsbundes ausgerichtet und bilde die Struktur der Wirtschaft überhaupt nicht mehr ab. So würden die Sparten Banken, Versicherungen und Industrie überproportional mit Mandaten bedacht, während die größte Gruppe der Ein-Personen-Unternehmen (EPU) sowie Klein- und Mittelbetriebe kaum berücksichtigt werde (siehe Grafik). Was Plass besonders aufregt: Die WKÖ-Statistik habe extra für die Wahl die wirtschaftliche Bedeutung der einzelnen Branchen und Sparten neu erhoben, „die Kammerspitze weigert sich aber, diese Zahlen zur Kenntnis zu nehmen und hält am alten System fest“. Kritik der Opposition werde vom Wirtschaftsbund, der österreichweit 70 Prozent der Stimmen hält, schlicht ignoriert.

Prozedere

Wirtschaftskammerwahl "wie in der Sowjetunion"
Die Wirtschaftskammer-Wahl ist recht komplex. Die Zusammensetzung der neun Landes-Wirtschaftsparlamente und des Bundes-Wirtschaftsparlaments wird nicht durch direkte Wahl mit Stimmzettel entschieden, sondern indirekt durch eine komplizierte Hochrechnung der einzelnen Fachorganisations-Mandate. Wie viele Mandate vergeben werden, regeln zwei Wahlkataloge – einer für 857 Fachorganisationen und einer für sieben Sparten. Für alle Ebenen (Gremien) gilt ein Verhältniswahlrecht, das allen Wählern dasselbe Gewicht beimisst. Es wird aber auch auf die wirtschaftliche Bedeutung der Branchen und Sparten Bedacht genommen, ansonsten wären große Branchen mit nur wenigen Mitgliedern praktisch nicht vertreten. Diese wirtschaftliche Bedeutung sorgt aber regelmäßig für Streit unter den Fraktionen.

Grüne und Sozialdemokraten fordern daher einen Berechnungsschlüssel, der die Mitgliederzahl und die wirtschaftliche Bedeutung miteinander kombiniert. „Dies würde verhindern, dass die Mandate nach Tradition und nach Gutdünken des WKÖ-Präsidenten vergeben werden“, sagt Plass und nennt ein Beispiel: So habe in der Steiermark die Sparte Bank & Versicherung nur 135 Mitglieder aber acht Mandate. Die Sparte Transport & Verkehr hingegen 3863 Mitglieder, aber nur sieben Mandate.

Kampf um Wien

Als Hintergrund für das Festhalten am „Mehrheitsverteidigungswahlrecht“ vermutet Fritz Strobl vom sozialdemokratischen Wirtschaftsverband (SWV) die Angst vor dem Machtverlust in Wien. Hier halten die Schwarzen dank mit nur 45 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit. „Bei der nächsten Wahl sind aber mehr als 60 Prozent der Stimmberechtigten EPU“, weiß Strobl. Insbesondere die Sparte Information und Consulting sei zuletzt stark gewachsen. Und um die Stimmen der „Kleinen“ dürften bei den Wahlen gleich mehrere, neue Fraktionen (u.a. Neos, FreeMarkets.at) rittern. Den Newcomern werden aber bürokratische Prügel in den Weg gelegt. Sie müssen u.a. 5000 bis 6000 Unterstützungserklärungen vorlegen. „Da staubt’s wie im Mittelalter“, meint Plass.

WKÖ-Vizegeneralsekretär Herwig Höllinger weist die Kritik der Opposition als „haltlos und nicht nachvollziehbar“ zurück und spricht von einem „vorgezogenen Wahlkampf“. Der neue Wahlkatalog wurde einem umfassenden Begutachtungsverfahren unterzogen und gewährleiste eine angemessene Zuweisung der Mandate. Bei der Novelle habe es stets volle Transparenz gegeben und alles erfolge – selbstverständlich - im Rahmen der Gesetze. Das letzte Wort hat das Wirtschaftsparlament, das am Donnerstag über die Wahlordnung abstimmt. Grüne und Sozialdemokraten werden dagegen stimmen, die VP-Mehrheit wohl dafür.

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