Aufregungen um Borealis-Deal der OMV
Da ist Thomas Schmid, dem Chef der Staatsholding ÖBAG, ein beachtlicher Fang gelungen. Er holt Mark Garrett als Aufsichtsratsvorsitzenden an Bord der teilstaatlichen OMV. Der international renommierte Petrochemie-Experte wird das Kontrollgremium von Österreichs größtem Energiekonzern fachlich immens aufwerten, er soll den Öl- und Gaskonzern beim Aufbruch in eine neue Ära unterstützen.
Dass Noch-Aufsichtsratschef Wolfgang Berndt nicht mehr der geeignete Vorsitzende war, zeichnete sich schon länger ab. Nicht, weil der demnächst 78-Jährige bei Sitzungen immer wieder sanft einschlummerte, sondern weil „verstärkte Petrochemie-Expertise und vertiefte Management-Erfahrung“ gebraucht werden, wie es die ÖBAG vergangene Woche in ihrer Aussendung formulierte. Die mehr als vier Milliarden Euro teure Erhöhung der Anteile am Petrochemie-Konzern Borealis (auf 75 Prozent, der größte Deal eines österreichischen Unternehmens), muss bewältigt werden.
Fachlich qualifiziert
Hatten Auguren am Wiener Politparkett gemutmaßt, der neue OMV-Aufsichtsratschef werde eine politisch genehme Postenbesetzung, überraschte Schmid mit Garrett. Der ÖBAG-Chef besetzte zuvor schon den Aufsichtsrat des Verbundkonzerns nicht politisch, sondern fachlich qualifiziert.
Mit ein Grund für die Ablöse von Berndt war aber auch dessen Naheverhältnis zu OMV-Chef Rainer Seele. Berndt hat angeblich alle Entscheidungen seines Du-Freundes Seele abgenickt. Das wird künftig nicht mehr so komfortabel. Stark anzunehmen, dass Garrett einen sachlich-distanzierten Umgangsstil pflegen wird.
Der Australier war elf Jahre lang bis 2018 Chef von Borealis. Dort wird kolportiert, Seele habe Garrett seinen Abgang von Borealis nicht gerade schwer gemacht. Seele war bereits damals Vize-Chef im Aufsichtsrat von Borealis. Jetzt kehren sich die Verhältnisse um. Außerdem könnten künftig weitere internationale Kapazunder in den OMV-Aufsichtsrat einziehen. Damit nach außen das Gesicht gewahrt wird, erhält Berndt einen Sitz im Beteiligungskomitee der ÖBAG.
Sachverhaltsdarstellung
Der Borealis-Deal macht grundsätzlich viel Sinn für die OMV und den Standort. Das Ölgeschäft wird in Zeiten des Klimaschutzes immer unbedeutender. Seele will die OMV, die wertvollste Beteiligung der Republik (31,5 Prozent), daher in einen Petrochemie-Konzern transformieren. In der Branche wird allerdings schon länger gemutmaßt, die OMV könnte ihren Partnern in Abu Dhabi zuviel gezahlt haben. Mubadala, der Staatsfonds von Abu Dhabi, ist schon lange an Borealis beteiligt und reduziert den Anteil auf 25 Prozent. An der OMV hält Mubadala 24,9 Prozent.
In der Anzeige mit Datum 26. August wird der OMV bzw. Seele der Verdacht auf Untreue und Vorteilsannahme sowie die Verletzung der Sorgfaltspflicht des Vorstands nach Aktiengesetz vorgeworfen. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Die Sachverhaltsdarstellung ist anonym, zeugt aber, ähnlich wie die Casinos-Anzeige, von gewissem Insiderwissen. Der Schaden wird mit „mindestens einer Milliarde Euro“ beziffert. Elisabeth Täubl, Sprecherin der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, bestätigt gegenüber dem KURIER den Erhalt der Anzeige „über das anonyme Hinweisgeber-System. Wir prüfen derzeit das Vorliegen eines Anfangsverdachtes“.
Die Bewertung von Borealis, heißt es in dem Papier, sei bereits im Dezember 2019 erfolgt, bis zum Abschluss sei dieser Preis aber nicht mehr nach unten korrigiert worden. Dem Aufsichtsrat sei kein aktueller Forecast der Quartalsergebnisse vorgelegt worden, obwohl dieser hätte verfügbar sein müssen.
Dem Aufsichtsrat sei im Februar nur eine Tischvorlage ausgehändigt worden. Das wurde von Aufsichtsräten bereits bestätigt, die erklärten, sie hätten die Unterlagen mit der Zustimmung von Berndt erst in der Sitzung erhalten. Für eine Entscheidung über ein Milliardenprojekt höchst außergewöhnlich, aber nicht gesetzeswidrig. Die Aufsichtsräte forderten ausführlichere Informationen ein.
Zum Zeitpunkt des Abschlusses Anfang März sei längst klar gewesen, dass Borealis durch die Corona-Krise geschädigt werde. Bereits die Ergebnisse zwischen Dezember bis Anfang März 2020 hätten sich verschlechtert.
Rücktrittsklausel
Die OMV habe aber, heißt es, keine „Material Adverse Change“-Klausel in den Vertrag reklamiert. Diese MAC-Klausel ermögliche dem Käufer einen Vertragsrücktritt, wenn zwischen Abschluss und Vollzug beim Zielunternehmen oder im Marktumfeld wesentliche nachteilige Änderungen eintreten sollten. Die Klausel sei bei der OMV üblich gewesen.
Die Rolle der OMV-Wirtschaftsprüfer EY (Ernst&Young) wird ebenfalls hinterfragt. EY habe den Kaufpreis ermittelt, die Due Diligence (Prüfung im Datenraum)sowie die Fairness Opinion (abschließende Beurteilung) gemacht und führe derzeit ein PPA (Purchase Price Adjustment) durch. Dies ist die erstmalige Bewertung einer Akquisition für den Konzernabschluss. Damit sei jegliche Überprüfung de facto ausgeschlossen, heißt es.
Unter den Teppich gekehrt
Seele wird direkt attackiert, alles deute darauf hin, dass er versuche, den Schaden „bewusst unter den Teppich zu kehren“. Die OMV kennt die Anzeige nicht und will dazu verständlicherweise keine Stellung nehmen. Ein Sprecher erklärte gegenüber dem KURIER: „Uns liegt keine Anzeige vor.“ Die Vorwürfe sind wirtschaftlich bedeutsam, sollten sie den Tatsachen entsprechen. Ob sie strafrechtlich relevant sind, ist eine andere Frage.
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