„Wir haben uns mit den Sanktionen selbst ins Knie geschossen“

Eurochambres-Chef Leitl in der Polytech-Uni in St. Petersburg.
Christoph Leitl, Präsident der Eurochambres, kritisiert die wirtschaftlichen Maßnahmen gegen Russland nach der Krim-Annexion.

„Es wird immer enger. Das größte Problem sind die Finanzierungen. Alle Banken haben irgendwelche Verbindungen in die USA und trauen sich nicht, Projekte in und mit Russland zu finanzieren.“ Der Manager eines europäischen Großunternehmens wird beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg sehr ernst. Seinen Namen will er lieber nicht zitiert sehen, denn öffentliche Kritik an den Sanktionen könnten seinem Unternehmen schaden, fürchtet er.

„Ich sehe, dass alle in Sorge sind“, brachte der russische Wirtschaftsminister Maxim Oreschkin vergangene Woche die Stimmung auf der international top besetzen Großveranstaltung auf den Punkt. „Vertrauen“ war bei „Putins Davos“ denn auch das am häufigsten zu hörende Wort.

Für Unternehmen bedrückend

„Man spricht es nicht offen aus, aber die Sanktionen sind für die Unternehmen bedrückend. Die Betriebe bleiben in Russland, doch das Wachstum ist beeinträchtigt und die Kaufkraft der Menschen sinkt“, schildert Christoph Leitl, Präsident der Eurochambres, den Sukkus seiner zahlreichen Gespräche in St. Petersburg.

„Die Wirtschaft lebt von Vertrauen und Kooperationen, nicht von Drohungen und Sanktionen. Seit fünf Jahren schaden die Sanktionen sowohl den russischen als auch den österreichischen Unternehmen. Wir haben uns mit den Sanktionen selbst ins Knie geschossen.“

Mehr Lebensmittel als Waffen

Der langjährige Ex-Chef der Wirtschaftskammer Österreich, der an der Spitze von Eurochambres nun 20 Millionen europäische Unternehmen mit 120 Millionen Mitarbeitern vertritt, bringt das Beispiel der Lebensmittelindustrie. Vor den Sanktionen exportierte Österreich im Wert von 100 Millionen Euro jährlich Lebensmittel nach Russland. Inzwischen hat Russland einen Einfuhrstopp verhängt, seine eigene Industrie aufgebaut und exportiert heute „mehr Lebensmittel als Waffen“. Nur noch die Schweiz (nicht an die Sanktionen gebunden), Serbien (hat ein Freihandelsabkommen) und Weißrussland (ist mit Russland in der eurasischen Union) liefern Essbares in Putins Reich.

Werben um Investoren

Russland fürchtet eine Rezession und nutzte das Wirtschaftsforum, um für Investoren zu werben. Wie am Fließband wurden im riesigen Konferenzzentrum am Rande von St. Petersburg Absichtserklärungen und Abkommen unterschrieben. Erstmals seit etlichen Jahren auch mit Deutschland. Oreschkin und sein deutscher Kollege Peter Altmaier signierten feierlich eine Effizienzpartnerschaft. Ob das gleich bedeutet, dass die Sanktionen ins Wackeln kommen, darüber waren sich die Teilnehmer uneinig.

Russland braucht jedenfalls moderne Technologien. Siemens etwa hat bereits ein gemeinsames Engineering-Center fixiert, für die Entwicklung der nächsten Generation von Hochgeschwindigkeitszügen. „80 Prozent lokale Wertschöpfung, das bekommt Russland bei den Chinesen nie“, wirbt Sabrina Soussan, CEO von Siemens Mobility.

China

Russland habe sich nach China geöffnet, obwohl „Russland und die EU einander so gut ergänzen würden“, bedauert Leitl. Erst kürzlich habe er mit Putin in kleinsten Kreis gesprochen, „er hat wieder versichert: Seien Sie überzeugt, wir sind Europäer“.

Chinas Staatschef Xi Jinping, erstmals beim Forum und mit einer 1000-köpfigen Delegation angereist, nannte in St. Petersburg zwar US-Präsident Donald Trump „meinen Freund“, machte aber beim Auftritt mit Putin massive Front gegen die USA.

Auch Leitl teilt gegen die USA aus: „Warum schauen wir diesem Treiben zu, warum machen wir nicht ein europäisches 5G, mit Nokia. Russland wäre dafür zu gewinnen.“ Er schlug in St. Petersburg eine „gemeinsame Freihandelszone, von Lissabon bis Wladiwostok“, vor.

Die Reise erfolgte auf Einladung der Eurochambres.

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