Bayer-Nachhaltigkeitschef: "Brauchen mehr Ertrag mit weniger Ressourcen"
Matthias Berninger ist Executive Vice President der Bayer AG. Der ehemalige deutsche Politiker (Bündnis 90/Die Grünen) war von 2001 bis 2005 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und von 2003 bis 2007 Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen Hessen. Seit seinem Ausscheiden aus der Politik 2007 arbeitete er als Lobbyist zunächst für den amerikanischen Nahrungsmittel- und Süßwarenkonzern Mars Incorporated.
Seit dem 1. Jänner 2019 ist er weltweit Leiter des Bereichs „Öffentlichkeit und Nachhaltigkeit“ der Bayer AG. Vergangene Woche war er Referent bei der Wintertagung des Ökosozialen Forums. Das Motto der Tagung war: „Selber produzieren statt Krisen importieren. Wie wir unserer Erde, Energie und Ernährung für morgen sichern.“
KURIER: Laut Zahlen der UNO gab es 2019 weltweit 135 Millionen Menschen mit einem akuten Hungerproblem. Heute sind es bereits 350 Millionen.
Matthias Berninger: Wir reden hier von Menschen, die nicht wissen, was sie am nächsten Tag essen und wie sie ihre Kinder ernähren sollen. 350 Millionen dieses Menschenrecht zu verwehren, ist ein gigantisches Problem.
Die aktuellen Pläne der EU mit dem Green Deal in der Landwirtschaft laufen auf eine Reduktion der Erträge hinaus. Passt das zusammen? Ich glaube Nein. Die EU muss das Leitbild der nachhaltigen Intensivierung in den Green Deal aufnehmen. Das heißt: Mehr Ertrag mit weniger Ressourcen. Natürlich muss man Probleme wie die Klimaintensität der Landwirtschaft oder die Biodiversitätsverluste lösen. Aber die einfache Lösung der Extensivierung funktioniert nicht. Wenn ich weniger Dünger aufbringe, dann habe ich auch geringere Erträge. Die Lösung lautet den traditionellen Dünger zurückzufahren und solche Alternativen nach vorne zu bringen, die es ermöglichen, auf der gleichen oder auf weniger Fläche mehr Ertrag zu erzielen.
Die Ertragseinbußen beim Umstieg auf biologische Landwirtschaft betragen in Österreich bis zu 50 Prozent.
Urs Niggli ist einer der führenden Forscher für ökologischen Landbau. Er geht davon aus, dass man damit etwa 160 Millionen Menschen ernähren kann. Das ist die Zahl an Menschen, die alle zwei Jahre zur jetzigen Weltbevölkerung dazukommt. Wir werden mit den traditionellen Formen dieses Problem der Landwirtschaft nicht lösen können. Es wäre aber auch falsch, dem Biolandbau den Rücken zuzukehren. Der Biolandbau hat bei der Frage, wie man ohne Kunstdünger produktiv sein kann, in den vergangenen Jahren viel vorangebracht. Es geht darum, aus „entweder“ konventionell „oder“ bio ein „und“ zu machen.
Bayer investiert jährlich etwa 2,5 Milliarden Euro in die Forschung. Wofür gibt man das Geld am sinnvollsten aus?
Das aller wichtigste ist es, Landwirte in allen Regionen in die Lage zu versetzen, dem Klimawandel die Stirn zu bieten. Das, was wir bisher an Klimaveränderung erleben, ist ein laues Lüftchen verglichen mit dem, was in den nächsten Jahrzehnten auf uns zukommt. Wir wollen Landwirten dabei helfen, mit weniger CO2-Ausstoß zu produzieren. Wir müssen es schaffen, dass Landwirte dafür Geld bekommen, dass sie CO2 aus der Luft holen und im Boden binden.
Wie soll das funktionieren?
Das Pflügen ist nicht nur energieintensiv, sondern setzt auch CO2 frei. Wir brauchen Innovationen, die es möglich machen, weniger oder gar nicht zu pflügen. Der Boden kann sich dann erholen, ist weniger anfällig gegenüber Trockenheit und speichert auch noch mehr CO2 in Gestalt von Humus.
Ein Produkt von Bayer, dass das Pflügen reduziert, nämlich Glyphosat, soll in der EU verboten werden.
Glyphosat wird natürlich kontrovers diskutiert. Wir haben auch keine Tomaten auf den Ohren. Wir forschen intensiv an neuen Produkten, die den Landwirten als Alternativen zur Verfügung stehen können. Ein Beispiel hierfür ist ein Herbizid mit komplett neuem Wirkmechanismus, das voraussichtlich Ende des Jahrzehnts auf den Markt kommen wird. Wir müssen uns aber über die Zeiträume im Klaren sein. Neue Produkte zuzulassen braucht Zeit, wir arbeiten mit Hochdruck daran.
In den USA ist Glyphosat in der Landwirtschaft nach wie vor beliebt.
Und das nicht ohne Grund. In den USA gibt es trotz Trockenheit keine Nachrichten über große Sandstürme, wie es sie in den 30er-Jahren gegeben hat. Die Einführung von Gentechnik und herbizidresistenten Saatgut hat dazu geführt, dass die Bauern nicht mehr pflügen müssen und es entsprechend weniger Bodenerosion gibt.
Es soll nach heuer darüber entschieden werden, ob die Genschere bei der Pflanzenzüchtung zugelassen wird. Brauchen wir die Genschere?
Absolut. Wir haben es bei der Bekämpfung der Pandemie geschafft, Impfstoffe zu entwickeln und verwandte Technologieplattformen funktionieren auch im Bereich der Ernährungssicherheit. Wir wollen eine Regulierung, damit Verbraucher und Landwirte die neuen Möglichkeiten voll nutzen können. Diese Innovationen sind genauso wegweisend wie der Buchdruck. Im Osmanischen Reich ist seinerzeit der Buchdruck verboten worden. Das Ergebnis war, dass sich das wissenschaftliche Zentrum von Istanbul nach Europa verschoben hat. Wenn die Europäer diese neuen Möglichkeiten nicht nutzen, bedeutet das noch lange nicht, dass der Rest der Welt ihnen dabei folgt, weil der Druck durch den Klimawandel hoch ist.
Was kann die Genschere zur Pflanzenzucht beitragen?
Ich gebe ihnen ein Beispiel. Wir können mit diesen Technologien durch Züchtung sehr schnell Pilzresistenzen erreichen und brauchen dann weniger Pflanzenschutzmittel. Das funktioniert nicht nur bei Getreide, sondern zum Beispiel auch bei Rebsorten. Es geht dabei um Prozesse, die auch in der Natur stattfinden. Aber wir haben die Möglichkeit, den Turbo einzuschalten. Wir beschleunigen lediglich, was traditionelle Züchtung und Natur nur über einen langen Zeitraum schaffen können.
Wir sollen weniger Fleisch essen. Lassen sich Essensgewohnheiten einfach ändern?
Die Essensgewohnheiten verändern sich ständig. Es gibt auf den Speisekarten der Restaurants vermehrt fleischlose Gerichte. Was ich nicht mag, ist, wenn man Fleischproduktion verteufelt. Derartige Veränderungen brauchen Zeit. Man kann den Menschen nicht vorschreiben, was sie essen sollen.
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