Das ist insofern wenig verwunderlich, als es in diesen Ländern auch keinen vergleichbaren Druck gibt, Russland zu verlassen. Dort zu bleiben zahlt sich zudem wirtschaftlich aus: Aus der Erhebung geht hervor, dass die Profite der Unternehmen, die in Russland geblieben sind, angestiegen sind, mutmaßlich auch wegen geringerer Konkurrenz. Denn die knapp zehn Prozent der internationalen Firmen, die abgezogen sind, waren für 30 Prozent des Umsatzes der Auslandsunternehmen in Russland verantwortlich. Es gibt also frei gewordene Marktanteile zu gewinnen.
Allerdings gibt es auch massive Unterschiede innerhalb der EU: Besonders Russland-treu sind dabei laut der Aufstellung Unternehmen aus Griechenland, Italien und Tschechien.
Österreicher in Russland
Aus Österreich haben sechs von 73 Unternehmen Russland den Rücken gekehrt - das ist ein Anteil von 8,2 Prozent, somit unter dem weltweiten Durchschnitt und deutlich unter dem EU-Schnitt. 44 österreichische Unternehmen haben andererseits beschlossen in Russland zu bleiben, zehn wollen noch abwarten und dreizehn versuchen, das Land zu verlassen.
Der Abzug der internationalen Unternehmen hat sich im Laufe der Zeit deutlich verlangsamt. Das liegt laut Astrov vor allem daran, dass Moskau schrittweise Maßnahmen gesetzt hat, um den Exodus einzudämmen.
„Es ist leicht zu sagen, wir ziehen uns zurück“, sagt Astrov. In der Umsetzung ist es aber im Regelfall komplizierter, insbesondere wenn man versucht, seine Firmenanteile zu einem attraktiven Preis loszuwerden. „Die russischen Käufer, die in Frage kommen, nutzen die Situation voll aus.“ Durch die regulatorischen Hürden sind die Preise noch weiter gefallen - und auf der Gegenseite steht die Möglichkeit, seinen Marktanteil auszubauen und abzuwarten, dass sich die Situation wieder beruhigt.
Ein österreichisches Unternehmen, dem das vorgeworfen wird, ist die Raiffeisenbank International (RBI). Nach einer in der Financial Times veröffentlichten Aufstellung hat sie im vergangenen Jahr 464 Millionen Euro Steuern in Russland gezahlt. Nachdem die russischen Banken vom internationalen Zahlungssystem (SWIFT) ausgeschlossen wurden, sei die davon nicht betroffene Raiffeisen-Tochter in Russland „ein wichtiger Kanal für die Zahlungsabwicklung“ geworden, sagt Astrov. Eine Zeit lang sei in etwa die Hälfte der Überweisungen zwischen Russland und den westlichen Ländern von Raiffeisen abgewickelt worden, die Bank habe dabei "enorme Profite erwirtschaftet". Dieses Geld bleibt allerdings bisher in Russland. Der Versuch, einen Teil davon über einen Deal um Anteile des Baukonzerns Strabag nach Österreich zu transferieren, ist zuletzt gescheitert.
Andererseits steigt der Druck der USA, Washington könnte den Zugang der RBI zum US-Finanzsystem einschränken. Nach Einschätzung von Astrov eine Zwickmühle.
Denn Unternehmen aus dem Banken- und Energiesektor aus "unfreundlichen" Ländern (also solchen, die sich an Sanktionen gegen Russland beteiligen) brauchen inzwischen eine explizite Erlaubnis des russischen Präsidenten Wladimir Putin, wenn sie sich aus Russland zurückziehen wollen. Die britische Großbank HSBC hat eine solche zwar bekommen, sie hatte aber nur ein relativ geringes Russland-Engagement. Raiffeisen hingegen werde als systemrelevant eingestuft.
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