Wifo-Chef Felbermayr: "Unser Ruf ist nicht der beste"
KURIER: Wie erleben Sie die schizophrene Diskussion, dass ein Politiker nach mehr Zuwanderung ruft, weil wir Arbeits- und Fachkräfte brauchen, und der andere Politiker vor allem Zäune errichten will?
Gabriel Felbermayr: Ich empfinde sie nicht als schizophren, weil wir beides brauchen. Wenn wir Europa eine Staatlichkeit geben wollen, dann müssen wir in der Lage sein, unsere Grenzen zu schützen. Es kann nicht sein, dass Schlepperbanden entscheiden, wer nach Europa kommt und wer nicht. Wir müssen das selbst entscheiden. Wir brauchen eine Einwanderungspolitik, die dort ansetzt, wo wir tatsächlich Bedarf haben.
Die Green-Card für Europa?
Ja, warum nicht. In Wahrheit haben wir das ja schon. Die nationalen Programme sind da schon sehr nahe. Wenn einer drei Jahre in Deutschland bei Siemens arbeitet und dann nach Österreich kommen will, wird das kein großes Problem sein.
Ich denke an den typischen Spitzenprogrammierer aus Indien, der nach Amerika geht. Weil bei uns gilt er als Asyltourist und wird abgeschoben.
Das Problem ist, es kommen andere Leute zu uns. Ihr Programmierer bekommt in den Staaten ein gutes Angebot und geht dorthin. Wir sollten unsere Grenzen ja kontrollieren, nicht weil wir fremdenfeindlich sind oder uns abschotten wollen, sondern damit wir eine von uns gesteuerte, rationale Einwanderungspolitik machen können, also die „richtigen“ Leute ins Land zu holen.
Und das geht wie?
Wir bräuchten für den gesamten deutschsprachigen Arbeitsmarkt so etwas wie gemeinsame Auslandsmissionen, also zum Beispiel ein gemeinsames Anwerbebüro in Neu Delhi. Dort wird für die Auswanderungswilligen alles abgewickelt, nach einem fairen und transparenten Punktesystem – eventuell sogar mit steuerlicher Besserstellung in den ersten Jahren. Wir brauchen die guten Leute ja dringend.
Der allgegenwärtige Populismus spielt da wohl nicht mit ...
Ja, das proaktive Element fehlt in der Politik noch. Derzeit kommen wir zu oft als ausländerfeindliches Land rüber. Das ist aber kein Zugang, das den Wohlstand der Österreicher langfristig sichert. Letztlich müssen wir auf der ganzen Welt auf Talentsuche gehen. Talent heißt nicht nur Programmierer. Wir werden auch Tellerwäscher brauchen. Der springende Punkt ist, unser Ruf ist nicht der beste. Wenn nur rüber kommt, dass wir eine Mauer bauen wollen, hilft uns das nicht weiter.
Themenwechsel: Die EU hat einen Gaspreisdeckel beschlossen und will künftig auch gemeinsam Gas einkaufen. Bringt das den Konsumenten etwas?
Der gemeinsame Gaseinkauf bringt auf jeden Fall etwas, das ist eine gute Idee, das wird ja auch schon lange gefordert. Mit der Marktmacht der EU ausgestattet, kann man ganz anders auftreten. Vom Preisdeckel verspreche ich mir nichts. Das ist Symbolpolitik.
Weil?
Ich weiß nicht was der Deckel soll. Er ist bei 180 Euro je Megawattstunde sehr hoch angesetzt. Aber selbst wenn dieses Limit einmal gerissen wird, wird es sofort Umgehungsgeschäfte geben. Dann werden die Deals nicht mehr über die Börse, sondern bilateral over the counter abgewickelt. Dort sieht man nichts, dort werden die Deals einfach zu jenem Preis abgewickelt, der auf dem Markt abgerufen wird.
Was schlagen Sie vor?
Was bisher noch nicht oder zu wenig angedacht ist, dass man die strategischen Gas-Reserven in Europa poolt. Wenn der Gaspreis dann wieder verrückt spielt, was er ja oft nur für wenige Tage oder Wochen tut, muss man nicht mit irgendwelchen Preisdeckeln herum fantasieren, die eh nichts bringen. Sondern dann braucht es eine Freigabe von strategischen Gas-Reserven, so wie das am Ölmarkt auch funktioniert. Also solange zusätzliches Angebot auf den Markt bringen, bis die Preise wieder sinken.
Was die Menschen am meisten ärgert sind aktuell die hohe Preise. Für wie groß halten Sie das Problem der Trittbrettfahrer, die im Windschatten der Inflation ihre Preise überdurchschnittlich anheben? Die „Gierflation“...
Dieses Thema sollte man dringend entmoralisieren. Zu sagen, der Unternehmer, der jetzt höhere Preise verlangt, ist auf jeden Fall ein unmoralischer, gieriger Kerl, halte ich für eine gefährliche Interpretation. Wenn das Produkt stark nachgefragt wird, wenn etwas weggeht wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln, dann ist es ganz logisch, dass der Unternehmer einen höheren Preis verlangen wird, auch wenn seine Kosten vielleicht gar nicht gestiegen sind. Das ist ein Prinzip der Marktwirtschaft.
Oder Marktversagen ...
Man kann sagen, dieses System der Marktwirtschaft wollen wir nicht mehr und wir wollen nur noch Preise mit 25 Prozent Abschlag oder nur noch staatlich gelenkte Preise, aber damit würden wir uns alles andere als einen Gefallen machen. Die hohen Preise sind definitiv ungut und dann nutzen das manche Unternehmer auch noch aus, okay, sehr unangenehm. Aber dennoch müssen wir dringend die Moralinsäure aus der Diskussion rausbringen. Sie lenkt nämlich weg von jenen, die diese Situation erst möglich gemacht haben.
Putin?
Nein, ich meine die über ein Jahrzehnt lang sehr laxe Geldpolitik der EZB. Dank dieser Geldschwemme und auch der vielen, wenn auch nötigen Hilfspakete ist jetzt sehr viel Kaufkraft da und das treibt die Inflation. Die Menschen sind ja ganz offenbar bereit, diese Preise zu zahlen, sonst könnte sie ja niemand verlangen. Den Menschen wurde von der Wirtschaftspolitik Geld auf die Konten gelegt. Wenn man 500 Euro Teuerungsbonus bekommt, gibt man ihn auch aus.
Aber ich rede auch von Produkten, bei denen man keine Wahl hat, vor allem wirklich arme Menschen. Und dann kostet die Butter plötzlich 40 Prozent mehr.
Ich will nichts beschönigen, das ist ja beim Heizen der Wohnung oder bei der Miete auch so. Die Inflation ist viel zu hoch, keine Frage. Sie führt zu ungeplanten und ungewollten Umverteilungseffekten. Etwa von den Sparern zu den Schuldnern. Für die Sparer ist die Inflation eine weitere Enteignung. Für jene aber, die sich vor Jahren in harten Euro verschuldet haben und heute in weichen Euro zurück zahlen, ist die Inflation gut. Und sie ist auch eine Katastrophe für die wirtschaftliche Dynamik.
Waren die Lohnabschlüsse kräftig genug?
Ja, schon. Es hat sich gezeigt, dass die Sozialpartner ohne gröbere Konflikte und Streiks zu Lösungen kommen. Die Abschlüsse tun den Unternehmen weh, keine Frage, aber sie sichern jetzt die Kaufkraft. Zusammen mit den steuerpolitischen Maßnahmen der Regierung führen sie dazu, dass 2023 und vor allem 2024 die Reallöhne wieder steigen werden. Die Stimmung darf also wieder besser werden. Im kommenden Jahr steigen die Löhne, die Pensionen, die Sozialleistungen, der Arbeitsmarkt ist stabil. Für die meisten Österreicher sollte sich kaufkraftmäßig wieder mehr ausgehen.
Dennoch: Wie kommen Sie bei allen den Krisen und Problemen zur Einschätzung, dass die Wirtschaft 2023 um 0,3 Prozent wachsen wird? Die längste Zeit wurde wie in Deutschland eine Rezession befürchtet.
Die Kaufkraft und der Konsum stützen die Wirtschaft. Auch in Deutschland waren jetzt die letzten beiden Konjunkturtests schon wieder deutlich besser. weil die Industrie trotz aller Verwerfungen mit den hohen Energiepreisen besser umgehen kann, als man erwartet hat.
Ein Plus von 0,3 Prozent ist aber nicht viel mehr als ein Schrammen an der Nulllinie mit permanenter Absturzgefahr in die Rezession ...
Stimmt schon, aber wir machen hier auch keine exakte Wissenschaft. So genau lässt sich das gar nicht berechnen. Wir hatten jetzt zwei fantastische Jahre mit starken Aufholeffekten nach Corona. 2023 werden wir de facto eine Stagnation haben.
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