MAM

Weniger Kinder, mehr Geschäft

Mam, Produktion Schnuller Ungarn
Der Wiener Schnuller-Erzeuger arbeitet „wie die Autoindustrie“ und ist in den USA Marktführer.

Peter Röhrig, Eigentümer des Wiener Babyartikelherstellers MAM, hat Humor. Dass man einen Schnuller mit Deix-Gesichtern bewirbt, muss einem erst einmal einfallen. Röhrig hat genau das getan. 1982, in der Zeit des Kalten Krieges. Am Plakat aus Manfred Deix’ Feder zu sehen: die damaligen politischen Drahtzieher – Arafat, Begin, Breschnew, Reagan und Thatcher – alle an einem Schnuller nuckelnd, unter dem Titel „Pacifier“, was übersetzt „Befrieder“ aber auch Schnuller heißt. Das Plakat sorgte auf US-Fachmessen für Gesprächsstoff, erste Bestellungen trudelten ein. Heute verkauft niemand so viele Schnuller im US-Massenmarkt wie die Ottakringer Firma MAM.

Besuch aus China

Weniger Kinder, mehr Geschäft
Mam, Vorstand Peter Röhrig
Wohl weniger wegen dem Plakat, als wegen dem Verkaufstalent von Röhrig. Mit MAM verkauft er jährlich 50 Millionen Babyartikel weltweit. Der gelernte Kunststofftechniker kann stundenlang über den Ober- und Unterdruck in Babyflaschen referieren, darüber, dass Schnuller die Gefahr des plötzlichen Kindstodes senken und in China Babyflaschen ohne Henkel quasi unverkäuflich sind. Apropos China: „Vor Kurzem hatten wir 26 Eigentümer von chinesischen Fachhandelsketten zu Besuch bei unseren Standorten in Wien, Burgenland und Ungarn“, erzählt Röhrig. „Sie wollten sich vergewissern, dass wir wirklich in Europa sind und produzieren.“ Die aufstrebende Mittelschicht sei der chinesischen Qualität überdrüssig. Seit drei Jahren exportiert MAM nach China – mittlerweile Waren im Wert von einer Million Euro.

„Wir arbeiten wie die Autoindustrie. Wir lassen die Teile bei Zulieferern produzieren.“ Peter Röhrig MAM-Gründer

„Wir arbeiten wie die Autoindustrie“, erklärt Röhrig. „Wir entwickeln alle Teile selber und lassen sie bei Zulieferern produzieren. 90 Prozent der Teile werden in Österreich gefertigt.“ Österreich habe im Kunststoffbereich ein ausgezeichnetes Zulieferwesen – zumindest für jene Firmen wie MAM, die in Stückzahlen jenseits der Millionengrenze ordern. „Wir kaufen in Österreich billiger ein als in China. Der Spezial-Rohstoff, den wir aus Sicherheitsgründen verwenden, kostet auf der ganzen Welt gleich viel, die Maschinen laufen vollautomatisch“, sagt Röhrig. Zusammengebaut werden die Schnuller, Flaschen und Beißringe allerdings in einem MAM-Werk in Ungarn, das 1990 in Betrieb gegangen ist. „Das ist keine vollautomatischer, sondern eine arbeitsintensiver Prozess, der in Österreich aufgrund der Lohnkosten viel zu teuer wäre.“ In Thailand hat MAM zudem im Jahr 2002 eine eigene Kautschukproduktion in Betrieb genommen.

Marktforschung

Weniger Kinder, mehr Geschäft
Mam, Plakat Pacifier
MAM beschäftigt 570 Mitarbeiter, davon 20 im burgenländischen Technikzentrum und 40 in der Wiener Zentrale, die sich um Produktentwicklung, Marktforschung und Marketing kümmern. Im Fokusgruppen-Raum im Erdgeschoß der von außen unscheinbaren Zentrale (Röhrig: „wir sind ja keine Amis“) inspizieren Mütter die neuesten Entwicklungen. Hinter der verspiegelten Glaswand können MAM-Mitarbeiter beobachten, ob Kunden den Nutzen der Innovation verstehen.

Liveschaltungen

Ein paar Etagen höher laufen Besprechungen mit Tochtergesellschaften – per Videokonferenz. Bis zu sechs Teilnehmer gleichzeitig werden auf den Bildschirm geholt. Als Röhrig in eine Videokonferenz platzt, sitzt der Kollege, der aus der Tochterfirma zugeschaltet ist, gleich viel aufrechter vor der Kamera. Vor dem Firmenchef ist man in Zeiten der Videozuschaltungen in den ein Dutzend MAM-Tochtergesellschaften von Stockholm über New York bis Sao Paolo offensichtlich nie sicher. „Videokonferenzen sind großartig, weil man gemeinsam Dokumente und neue Produktteile durchgehen kann“, erklärt Röhrig. Skype sei dagegen nett, aber geschäftlich nicht brauchbar. Nur mit seiner brasilianischen Tochterfirma hat er noch technische Verbindungsprobleme, da das Internet dort noch nicht so verlässlich funktioniert.

Für Röhrig gilt übrigens die Formel: Je weniger Kinder eine Familie hat, desto besser das Geschäft. Auch dass Frauen im Westen immer später Kinder bekommen, stört ihn nicht. Im Gegenteil. „Mit Ausnahme von Frankreich und den USA sind Frauen im Westen im Durchschnitt bei der Geburt des ersten Kindes älter als 30 Jahre. Das ist unsere Zielgruppe. Sie wollen das Beste für ihr Kind und haben meist die finanziellen Mittel, nicht auf den Preis sehen zu müssen.“

Zu den weltweit großen Konkurrenten zählen Nuk, der Philips-Ableger Avent und Chicco. MAM ist unter anderem in Chile oder Skandinavien Marktführer.

Dass Schnuller nicht nur Babys beruhigen, sondern auch Erwachsene unterhalten können, beweisen diverse Modelle. Wir haben Sie für Sie gesammelt:

Babyartikel

MAM, 1976 von Peter Röhrig in Wien gegründet, produziert jährlich 50 Millionen Stück Babyartikel – von der Babyflasche bis zur Zahnbürste fürs Kleinkind – für 56 Länder. Hauptgeschäft bleiben Schnuller mit einem Umsatzanteil von knapp 50 Prozent. Ein Viertel des Umsatzes werden in den USA, mehr als die Hälfte in Europa (zwei Prozent in Österreich) generiert. MAM ist unter anderem in Schweden, Großbritannien und Chile die Nummer eins am Schnullermarkt. In Finnland hat MAM 92 Prozent Marktanteil. Die Ottakringer Firma hält mehr als 60 Design- und Technologie-Patente. MAM hat ein Dutzend Tochterfirmen, unter anderen in Thailand, Brasilien und den USA. Zuletzt gegründet: MAM Griechenland und Frankreich.

Peter Röhrig

Der Vater von zwei Söhnen ist Kunststofftechniker. Schon sein Vater war im Kunststoffbereich tätig und hat unter anderen PEZ-Spender, aber auch Teile für Schnuller gefertigt. Röhrig (63) hat die Firma übernommen, an der sein Vater mitbeteiligt war.

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