Was Sarah Wiener an der Industrie ärgert

Sarah Wiener hat neben ihrer Cateringfirma nun auch einen Bauernhof in der Nähe von Berlin
Die Multis sind nur auf Gewinn aus, die Gastronomie verdient nichts mehr am Essen, ärgert sich die TV-Köchin.

Die Fernsehköchin und Chefin eines Cateringunternehmens kritisiert, dass immer mehr Kinder "mit dem künstlichen Geschmack der Industrie sozialisiert" werden. Im KURIER-Gespräch erklärt sie, warum sie 1,4 Millionen Kindern das Kochen beibringen will und wieso sie sich eine Landwirtschaft gekauft hat.

KURIER: Sie haben als Köchin Karriere gemacht. Heute will den Beruf kaum jemand erlernen. Verstehen Sie das?

Sarah Wiener: Es gibt Forscher, die sagen, dass der Beruf Koch in 15 Jahren ausgestorben sein wird. Es ist ein harter, schlecht bezahlter Job und es gibt kaum junge Leute, die ihn erlernen wollen. Wir haben definitiv ein Nachwuchsproblem.

Als Spitzenkoch kann man doch gut verdienen?

Aber die Gastronomie verdient nichts mehr an den Speisen. Deswegen spart sie beim Einkauf der Lebensmittel, bei den Mitarbeitern, oder betrügt den Gast oder die Steuer. Irgendwas bleibt immer auf der Strecke. Gleichzeitig springt die Lebensmittelindustrie in die Bresche.

Auch, weil fertige und halbfertige Produkte von immer mehr Leuten gekauft werden . . .

Es wächst eine Generation heran, die gar nicht mehr weiß, wie Bauernbrot, eine echte Hühnersuppe oder Erdbeeren schmecken. Das ist das Problem. Sie werden mit dem künstlichen Geschmack der Industrie sozialisiert. Die Industrie will der Menschheit aber nicht Genuss und Gesundheit bescheren, sondern sich selbst den maximalen Gewinn.

Es gibt aber auch mehr kritische Konsumenten. Nicht umsonst gibt es immer mehr Veganer, oder?

Veganer klagen zu Recht das Leid der Tiere an, allerdings ist der Anteil der Veganer sehr gering. Bessere Tierschutzbedingungen können wir am wirksamsten erreichen, wenn wir bewusst Fleisch konsumieren und kein Fleisch aus Massentierhaltung essen. Es wird künftig sicher viele Ernährungstrends nebeneinander geben. Aber gleichzeitig können immer weniger Leute kochen. Ich frage mich, wie das zusammenpasst.

Wer nicht kochen kann, kann sich kein Bild über die Lebensmittelproduktion machen?

Wer von der Industrie gefüttert wird, kann schwer beurteilen, was er isst. Alles worauf die Industrie stolz ist – die lange Haltbarkeit ihrer Produkte, die Reproduzierbarkeit ihrer normierten Produkte – ist für mich, als Köchin, das genaue Gegenteil von Qualität. Es ist das Gegenteil von Vielfalt.

Sie wollen mit Ihrer Stiftung binnen fünf Jahren 1,4 Millionen Kindern in wöchentlichen Kursen das Kochen beibringen. Auch in Österreich?

"Ich kann kochen!" wird im Rahmen des deutschen Präventionsgesetzes gefördert. Deswegen startet das Projekt in Deutschland. Mit unserer Stiftung sind wir aber im Burgenland an 14 Schulen vertreten, für die wir österreichische Sponsoren gefunden haben. Weitere wären schön. Es geht speziell darum, auch untere Gesellschaftsschichten abzuholen.

Wird Ernährung verstärkt eine Frage des Sozialstatus?

Schon jetzt gibt es Fronten zwischen den reichen Ökos und den sozial Schwachen, die lieber Fast Food essen als frisches Obst, das schon teurer ist als Junkfood. Dass es dazu kam, ist der Verdienst der Industrie. Jetzt will eine elitäre Minderheit, die in der Chefetage sitzt und drei Mal so viel verdient wie der Arbeiter, dass alle bio kaufen. Dass vor 50 Jahren alles ökologisch war und die Arbeiter erst das billige Zeugs kaufen mussten, weil sie von der Industrie schlecht bezahlt wurden, wird nicht thematisiert.

Was muss Ihrer Meinung nach passieren?

Die Lebensmittelproduktion muss dezentralisiert werden. Wir müssen wieder regionale Produzenten stärken und nicht die globalen Konzerne.

Hedgefonds und Investoren wie Bill Gates stecken viel Geld in die Entwicklung von künstlichem Fleisch. Wird das die Zukunft oder werden wir Algen und Insekten essen, wie manche Trendforscher glauben?

In unserem Kulturkreis werden wir eher künstliches Fleisch als Insekten essen. Es wird aber nicht vom Bauern geliefert. Sondern vom Chemiker und Genetiker. Gleichzeitig liefern Chemiekonzerne wie BASF oder Monsanto auch das Saatgut. Ich halte das für eine wirklich gefährliche Entwicklung.

Sie haben jetzt auch einen Bauernhof mit mehr als 200 Rindern und ein paar Dutzend Schweinen. Gehören Sie auch zu jenen, die sagen, dass man mit einem kleinen Hof gar nicht mehr überleben kann?

Man kann, wenn man strikt auf Regionalität und Qualität setzt. Ich kenne einen Rote-Rüben-Bauern, der auf zwei Hektar in Bio-Qualität produziert und davon lebt.

Aber Sie wollten eine große Landwirtschaft?

Nein, aber Gut Kerkow stand zum Verkauf und rund um Berlin hat man nicht viel Wahl. Alles ist verkauft oder verpachtet. Leute mit Knete und Fonds sehen Boden als Wertanlage und treiben die Preise in die Höhe. Eine bedenkliche Entwicklung.

Das ganz normale Spiel von Angebot und Nachfrage . . .

Kauft ein Bauer Boden, muss er ihn ausbeuten, um seinen Kredit abzahlen zu können. Da setzt sich dann ein Spirale in Gang, die genau das Gegenteil von dem bewirkt, was wir wollen: Gesunde Böden.

Aber was soll der Bauer Ihrer Meinung nach tun?

Er kann gar nichts tun. Das System hat ihn zu einem abhängigen Lohnunternehmer gemacht, der das letzte aus seinen Tieren rauspressen muss. Gut geht es nicht den Bauern, sondern den Konzernen, die massenweise Lebensmittel in den Markt pressen. Wir müssen wirklich weg von den Konzernen.

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