Wohlstand – neu vermessen

Wohlstand – neu vermessen
Hohe Lebenszufriedenheit in Österreich, aber Fortschritt geht zulasten der Umwelt

Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s allen gut. Über den Wahrheitsgehalt dieses Satzes lässt sich trefflich streiten. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als alleinige Messgröße für Wohlstand und Fortschritt eines Landes herzunehmen, greift zu kurz, sind sich Experten einig. In einem EU-weiten Projekt wird daher versucht, eine Art „alternatives BIP“ zu entwickeln. Statt nur das produktionsbezogene Wachstum zu messen, werden gleich mehrere Indikatoren berücksichtigt, die näher an der Lebensrealität der Menschen sind.

Wohlstand – neu vermessen
Die Statistik Austria trug für ihren soeben erschienenen Bericht „Wie geht’s Österreich“ 30 Indikatoren zu den Bereichen „materieller Wohlstand“, „Lebensqualität“ und „Nachhaltigkeit der Umwelt“ zusammen und ließ sie von Experten bewerten. Fazit: Den Österreichern geht es gut, Lebensqualität und -zufriedenheit sind hoch, aber: Die Einkommensschere öffnet sich weiter und viele Umweltprobleme sind ungelöst. Die Bereiche im einzelnen:

Materieller Wohlstand BIP pro Kopf, Arbeitsproduktivität, Haushaltseinkommen und Privatkonsum bewerten die Experten positiv. Hohe und niedrige Einkommen driften aber zunehmend auseinander. Inflationsbereinigt sanken die untersten Einkommen seit 1998 um 17 Prozent, während die höchsten Einkommen um zwei Prozent zulegten. Statistik-Austria-Chef Konrad Pesendorfer führt dies vor allem auf Struktureffekte wie zunehmende Teilzeit oder den Eintritt billigerer Arbeitskräfte zurück.

Lebensqualität 79 Prozent der Österreicher sind laut Umfrage von 2012 mit ihrer Lebenssituation sehr oder ziemlich zufrieden. Ein seit Jahren fast unverändert hoher Wert. Ausschlaggebend für die Zufriedenheit sind vor allem soziale Beziehungen, Gesundheit, Erwerbstätigkeit und Wohnumgebung, die Höhe des Einkommens spielt eine untergeordnete Rolle. Auch bei Erwerbstätigenquote (75 Prozent), Bildungsgrad und Gesundheitszustand gibt es gute „Wohlstands“- Noten.

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Ein Bauarbeiter zieht am Donnerstag, 11. Dez. 2008…
Ein Bauarbeiter zieht am Donnerstag, 11. Dez. 2008, auf einer Baustelle in Muenchen frisch gegossenen Beton glatt. Das ifo-Institut sieht Deutschland noch bis 2010 in der Rezession. Das Bruttoinlandsprodukt werde im naechsten Jahr um 2,2 Prozent einbrechen, die Arbeitslosigkeit steigen, sagten die Muenchner Wirtschaftsforscher am Donnerstag voraus. (AP Photo/Christof Stache) --- A construction worker is seen on a building site in Munich, southern Germany, on Thursday, Dec. 11, 2008. Germany will remain in a recession until 2010, an economic research group predicted Thursday, adding that gross domestic product will likely shrink 2.2 percent next year as the global economic crisis deepens. (AP Photo/Christof Stache)
Umwelt Energie- bzw. Ressourcenverbrauch und Treibhausgase liegen weiterhin auf zu hohem Niveau, belegen die Statistiken. Das Problem: BIP und Energieverbrauch korrelieren sehr stark miteinander. Wächst die Wirtschaft, erhöht sich auch der Energieverbrauch und der Lkw-Verkehr verursacht mehr Schadstoffe. Mit steigendem Konsum steigen gleichzeitig auch die Abfallmengen. Langfristig negativ bewerten die Experten auch die Verbauung (Flächenversiegelung). So sind von 2001 bis 2012 die Bau- und Verkehrsflächen um 13,1 Prozent gewachsen.

Für IHS-Ökonom Helmut Hofer, der an den Bewertungen mitwirkte, ist das Wirtschaftswachstum auf Kosten von Umweltressourcen ein „Zielkonflikt“, der durch den Bericht gut sichtbar werde. Dass sich ein „alternatives BIP“ als Messgröße einmal in eine Zahl pressen lässt, hält er für unrealistisch. „Es hängt völlig von der jeweiligen Präferenz ab, wie die einzelnen Indikatoren gewichtet werden“. Statistik-Chef Pesendorfer vergleicht den Wohlstand mit einem Auto. Während das BIP der Geschwindigkeitsmesser sei, könnten die zusätzlichen Indikatoren die Tankuhr sein.

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