Warum die Medikamenten-Engpässe zunehmen

Warum die Medikamenten-Engpässe zunehmen
Österreichs Versorgungssicherheit in Österreich gerät zusehends ins Wanken. Die Gründe sind vielfältig - aber auch hausgemacht.

Die Augentropfen wurden schon dringend benötigt, also schnell in die nächste Apotheke. "Leider, das Produkt ist derzeit nicht verfügbar", so die ernüchternde Antwort der Pharmazeutin. Wieder einmal.

Heimische Apotheker müssen ihre Kunden immer öfter ohne das gewünschte Präparat wegschicken. In den Spitälern ist die Nicht-Verfügbarkeit dringend benötigter Arzneien bereits ein Problem.

"Es gibt keinen Monat ohne irgendeinen Lieferengpass. In den vergangenen fünf Jahren haben Dauer und Häufigkeit zugenommen", bestätigte Martina Anditsch von der Anstaltsapotheke im AKH schon im Sommer dem KURIER. Es dauert Tage, um Arzneien anderweitig aufzutreiben, Ärzte müssen mitunter sogar die Therapien umstellen.

Aber wie kann es sein, dass trotz gesetzlichen Versorgungsauftrages und regulierten Marktes die Medikamente ausgehen? Die Gründe sind vielfältig, zum Teil aber hausgemacht:

Lagerhaltung

In Österreich läuft die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung großteils über den Pharmagroßhandel, der mehr als 50.000 Artikel von 2000 Lieferanten vorrätig hat und bis zu zwei Mal täglich an die Apotheken liefert. Das Versorgungsmonopol kippt aber, weil viele Hersteller ihre Kunden inzwischen selbst beliefern.

"Die Pharmaindustrie schaltet den Großhandel immer öfter aus und liefert lieber direkt", klagt Monika Vögele, Generalsekretärin des Verbandes der österreichischen Arzneimittelgroßhändler. Firmen wie Herba Chemosan, Kwizda oder Phoenix verlieren dadurch massiv an Umsatz, die Branche der "Vollsortimenter" ist von 25 auf sechs Anbieter geschrumpft. Vögele sieht die Versorgungsqualität in Gefahr.

Dazu kommt, dass Hersteller die Produktion drosseln und kaum Vorräte anlegen, sobald niedrigpreisige Generika (Nachahmer-Produkte, Anm.) auf dem Markt sind.

Import-Export

Österreich gilt in der Pharmabranche als Niedrigpreisland bei Medikamenten. Es lohnt sich daher, Arzneien in andere Länder zu exportieren. Der freien EU-Warenverkehr erlaubt es. Insider berichten, dass für Österreich bestimmte Kontingente immer öfter in Deutschland oder in der Schweiz landen, weil dort bessere Preise zu erzielen sind.

Jan Oliver Huber vom Verband der pharmazeutischen Industrie (Pharmig) sieht die Großhändler in der Pflicht. "Dass Medikamente, die für heimische Apotheken gedacht sind, importiert und dann wieder exportiert werden, ist nicht im Sinne der Hersteller", betont er. Dies sei auch mit ein Grund für die verstärkte Direktbelieferung. "Die Hersteller haben hier viel Geld für die Zulassung ausgegeben, die wollen hier auch die Medikamente verkaufen."

Konzentration

Die Pharma-Konsolidierung beschleunigt die Konzentration der Fertigung. Medikamente werden an immer weniger Standorten weltweit "just-in-time" produziert. Bei Antibiotika etwa stammen 80 Prozent der in der EU verkauften Produkte aus nur noch vier Ländern: China, Indien, Brasilien und Mexiko.

Die Herstellung von Generika wurde aus Kostengründen fast ausschließlich nach China oder Indien ausgelagert, wo es öfter wegen Produktionsmängeln zu Qualitätsproblemen kommt. Bricht die Lieferkette zusammen, dauert es oft viele Tage, bis ein Medikament wieder zur Verfügung steht.

Preisdeckel

Der von der Regierung verordnete Preisdeckel bei Medikamenten könnte die Versorgungslage noch verschärfen. Weil die Pharmafirmen immer weniger verdienen und der Markt noch dazu klein ist, werden vor allem neue Therapien lieber woanders auf den Markt gebracht.

Meldepflicht

Um rasch reagieren zu können, müssen drohende Engpässe von den Herstellern gemeldet werden. Aus Sicht mancher Spitäler geschieht das zu unvollständig und zu kurzfristig, um rasch ein Alternativ-Präparat zu ordern. Die Pharmig verspricht, die Informationen zu verbessern.

Der Patentschutz wird in der pharmazeutischen Forschung zum entscheidenden Erfolgskriterium. „Ohne Patent kommst du gar nicht mehr ins Geschäft“, sagte Michael Krebs, kaufmännischer Direktor des Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA), anlässlich einer Diskussions-Veranstaltung der Pharma-Verbände Pharmig und FOPI in Wien.

Die Patentierung einer Erfindung sei eine zwingende Voraussetzung, um etwa Risikokapital für die weitere Entwicklung aufzustellen. Mangels Investoren hapere es in Österreich aber an der Verwertung und Kommerzialisierung von Patenten, so der allgemeine Tenor der Diskutanten.

Der Wiener Patentanwalt Daniel Alge plädierte daher für eine stärkere Kooperation der EU-Länder bei der Patentierung und verwies auf die zunehmende Konkurrenz durch China, das in Sachen Patentanmeldungen rasend schnell aufhole. Nur der Patentschutz stelle sicher, dass Europa als Life-Science-Standort gegenüber den USA und China bestehen könne.

Der Wachstumsdruck in der Pharmabranche führt zu Rekorden bei Fusionen und Übernahmen. Den großen Herstellern gelingt es derzeit nicht, genügend neue Wirkstoffe auf den Markt zu bringen, und das befeuert den Übernahmemarkt.

Der größte Deal in der europäischen Pharmabranche seit 13 Jahren war die jüngste Übernahme des Biotech-Unternehmens Actelion durch Johnson & Johnson um 30 Milliarden Dollar. Der Pharmakonzern Novartis will den französischen Nuklearmedizinspezialisten Advanced Accelerator Applications um 4,9 Milliarden Dollar kaufen. Der US-Pharmakonzern Merck & Co legte für die Münchner Biotechfirma Rigontec 464 Millionen Euro auf den Tisch.

Weitere erfolgte oder geplante Übernahmen sind u.a. die des deutschen Biotech-Konzerns Epigenomics durch chinesische Investoren, jene des deutschen Arzneimittelherstellers Stada durch die Finanzinvestoren Bain und Cinven sowie die des Kapselherstellers Capsugel durch den Schweizer Konzern Lonza.

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