Wahnsinnstage an den Aktienmärkten

Wahnsinnstage an  den Aktienmärkten
Ein Blick hinter den Kulissen der Börsen: Warum die Kurssprünge derart extrem ausfallen, erklärt der britische Aktien-Experte Toby Gibt.

VonIrmgard KischkoToby Gibb sitzt im Zentrum der europäischen Finanz: Der Arbeitsplatz des Chef-Aktienstrategen des US-Fonds Fidelity, der Anlegergelder von rund 2,5 Billionen Dollar verwaltet, liegt mitten im Londoner Finanzzentrum. Er gestattet dem KURIER einen – telefonischen – Einblick in den Wahnsinn, den das Coronavirus an den Börsen auslöste.

„Wir hatten zu Jahresbeginn mit einer Korrektur an den Börsen gerechnet. Die Bewertungen waren hoch und der Konjunkturausblick mäßig. Aber was jetzt passiert ist, hat niemand voraussehen können“, beschreibt er die Schrecken, der auch Profi-Börsenhändler erfasst hat.

 

Wahnsinnstage an  den Aktienmärkten

„Das war der ärgste und kürzeste Kursverfall, den es je gab“, sagt er. Verkauft wurde alles. Es gab kein Halten mehr. Ob Aktien, Anleihen oder Gold – alles wurde zu Cash gemacht. Getrieben von der Angst, dass an den Märkten die Liquidität ausgehe – also Verkäufe mangels Käufer nicht mehr möglich seien –, hätten vor allem Hedgefonds alles auf den Markt geworfen. „Der Absturz wurde aber definitiv durch Strategien, die auf künstlicher Intelligenz basieren, beschleunigt“, ist Gibb überzeugt. Riesige Volumina an den Aktienmärkten würden nur noch von computer-gesteuerten Programmen abhängen. „Sonst wäre der Kursverfall nicht so dramatisch ausgefallen“, meint der Aktienprofi.

Viele, die nicht in dem Tempo verkaufen können – vor allem Kleinanleger –, sitzen nun auf bitteren Verlusten. Jetzt noch verkaufen, davon rät Gibb ab. Das würde ja bedeuten, die Verluste zu realisieren.

Aber natürlich würden die Verluste nicht rasch wettgemacht. „Wenn sich eine Aktie halbiert, wird sie sich so schnell nicht wieder verdoppeln“, sagt er.

Aufholjagd in Wien

Dem tiefen Fall der Vortage folgten zunächst Donnerstag, aber insbesondere am Freitag fast unglaubliche Kursgewinne. Der ATX tanzte weit aus der Reihe im europäischen Börsenkonzert und schoss im Handelsverlauf um bis zu elf Prozent in die Höhe. Die OMV-Aktie, die in den Tagen zuvor ihren Wert halbiert hatte, stieg um sagenhafte 24 Prozent, FACC um 28 Prozent. Gibb nennt vor allem die geringe Liquidität am Markt als Grund für die außerordentliche Kursbewegung. „Da sorgen schon kleine Kaufvolumina für riesige Kursgewinne.“

Händler reden aber auch jetzt wieder von technischen, also durch künstliche Intelligenz gesteuerten Käufen. Aber auch das Verbot des Short Selling, also der Leerverkäufe, an der Wiener Börse treibt offenbar die Kurse. „Die Banken haben aufgehört, sich abzusichern und müssen nun Aktien nachkaufen“, sagt ein Finanzmanager.

Zu früh zum Kaufen?

Großanleger, aber auch kleine private Investoren überlegen jetzt hektisch, wann der richtige Einstiegszeitpunkt ist. Billig seien viele Titel, meint Gibb. Aber es sei noch nicht klar, welche Unternehmen gesund aus dieser Krise herauskämen. Er schaut jetzt auf die Bilanzen. „Starke Cashflows und wenig Schulden sind zentral“, sagt er.

Auch Peter Brezinschek, Chefanalyst der Raiffeisen Bank International (RBI), rät noch zur Vorsicht. Zwar seien OMV oder Erste Group schon allein wegen der Dividendenrendite höchst attraktiv. Brezinschek kann sich aber vorstellen, dass die Börsen noch einmal kräftig unter Druck kommen. Ende April, Anfang Mai kämen die Unternehmensdaten für das erste Quartal. Erst dann sei klar, welche Aktien in welche Richtung gehen werden.

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