EU

"Jein" zum Verbrenner-Aus: EU-Autowende mit angezogener Handbremse

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Unter politischem Druck, vor allem aus Deutschland, lenkt die EU-Kommission ein. Verbrenner dürfen auch nach 2035 auf die Straße, gemeinsam mit speziell geförderten E-Autos „Made in Europe“.

Es ist aus mit dem Verbrenner-Aus: Diese grundlegende Botschaft hatten deutsche EU-Parlamentarier schon am vergangenen Freitag euphorisch in die Welt hinausgeblasen. Doch um heikle Details dieser Entscheidung wurde in Brüssel auch am Dienstag noch stundenlang in der EU-Kommission gerungen. 

Die Medien wurden Stunde um Stunde vertröstet. Erst am frühen Abend traten die zuständigen Kommissare mit dem ihrem Konzept für die Autowende vor die Presse.

90 statt 100, aber wie?

Das bietet zumindest in groben Zügen ein Bild, wohin die EU-Reise in die automobile Zukunft führen soll. Das eigentlich für 2035 geplante endgültige Aus für neue Autos mit Verbrennungsmotor ist also vom Tisch. Ersetzt wird die bisher vorgesehene 100-prozentige Reduktion des Ausstoßes von Kohlendioxid durch eine 90-prozentige.

Dieses Paket wird ein Rettungsanker für Europas Autoindustrie. Wir ziehen alle Register, die wir haben.

von Stéphane Séjourné

EU-Industriekommissar

90 Prozent müssen E-Autos sein

Die bezieht sich auf die gesamte Flotte – also alle produzierten Autos – eines Herstellers. Das macht es möglich, neben den Autos mit vollelektrischem Antrieb auch noch Autos mit anderen Motoren zu bauen. Damit sind vor allem sogenannte „Plug-in-Hybride“, also solche mit tatsächlicher Lademöglichkeit, und E-Autos mit einem „Range Extender“ gemeint. Das ist ein kleiner Verbrennungsmotor, dessen einzige Aufgabe es ist, die Batterien wieder aufzuladen und so die Reichweite zu erhöhen. Chinesische Hersteller setzen bereits verstärkt auf diese Technik. Auch reine Verbrennungsmotoren, also Benziner und Diesel, sind weiterhin möglich, müssen aber extrem sparsam sein, um die Treibhausgas-Flottenziele für die Hersteller nicht völlig unerreichbar zu machen. Klima-Kommissar Wopke Hoekstra machte es noch einmal unmissverständlich: "90 Prozent der Autos müssen elektrisch sein."

 

 Eine ähnliche Regelung soll auch für Lkw und andere Schwerfahrzeuge gelten. Hier sollen die Flotten der Hersteller ab 2030 40 Prozent weniger CO2 ausstoßen, bisher waren es 50 Prozent.

Im Ausgleich grün

Doch diese zehn Prozent Treibhausgase aus dem Auspuff gibt es nach den Plänen der Kommission nicht umsonst. Um diese auszugleichen, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder der für den Bau des Autos verwendete Stahl ist grün, also unter Verwendung von „Solarstrom“-Wasserstoff hergestellt, oder die Treibstoffe stammen aus biologischen Materialien. Vor allem Italien hat auf diese Möglichkeit gedrängt, mehr Ethanol oder Biodiesel als Treibstoffe einzusetzen. Der „grüne“ Stahl muss außerdem aus der EU stammen: Ein Zugeständnis an die angeschlagene Stahlindustrie.

Doch das Automobil-Paket der Kommission enthält nicht nur die politisch umstrittene Absenkung der CO2-Ziele, sondern soll auch Anreize schaffen, die Wende zum Elektroauto schneller, vor allem aber europäischer zu machen.

E-Auto Made in Europe

So sollen Europas Autobauer eine neue Generation von kleinen leistbaren E-Autos schaffen. Für die Produktion dieser auch in der Länge – geplant sind weniger als 4,2 Meter – beschränkten Fahrzeuge will die Kommission spezielle zinsenfreie Kredite an die Industrie vergeben. Auch die Fahrzeugflotten großer Firmen sollen mit großzügigen Förderungen schneller auf Elektro umgestellt werden. Auch hier gilt die Regel: Nur E-Autos, die in Europa hergestellt werden, sind steuerlich oder bei Krediten bevorzugt.

Doch das gesamte Paket an Maßnahmen, das die Kommission jetzt nach langwierigem politischen Gezerre veröffentlicht hat, ist noch nicht am Ziel angelangt. Auch das EU-Parlament und die EU-Mitgliedsländer müssen zustimmen.

Schon seit den ersten Meldungen gibt es Querschüsse aus allen Richtungen. Die bayerische CSU will statt 90 Prozent maximal 70 Prozent Reduktion des CO2-Ausstoßes. Die Fraktionen am rechten politischen Rand im EU-Parlament sind ohnehin gegen eine Regelung für Treibhausgase bei Autos und wollen auch jeden Kompromiss zu Fall bringen.

Aus vom Verbrenner-Aus: Reaktionen

Die Reaktionen aus Österreich zum Aus des Verbrenner-Aus der EU sind sehr unterschiedlich ausgefallen. Hiesige Vertreter der Kfz-Industrie gaben sich jedenfalls "erleichtert" und ihre Forderungen "zumindest teilweise umgesetzt". Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) sah zwar Vorschläge der EU-Kommission in die richtige Richtung, diese "reichen aber noch nicht weit genug."

Eine "Mogelpackung" der europäischen Volkspartei (EVP) ortete der freiheitliche Europaparlamentarier Roman Haider. Insgesamt versuche die Kommission "weiterhin mit aller Macht, den Bau klassischer Verbrennungsmotoren und leistbaren konventionellen Fahrzeugen unmöglich zu machen".

Kritisch gab sich auch der SPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, Andreas Schieder. Er sprach von einem "grundlegend falschen Schritt" der Kommission die "mit rechten und konservativen Kräften auf dem Beifahrersitz mit Vollgas in Richtung Klimacrash" rase. "Diese Geisterfahrt muss enden."

Die Grüne EU-Politikerin Lena Schilling kritisierte: "Dieser Vorschlag der Kommission ist nicht nur ökologischer Unsinn, sondern ein Angriff auf die europäische Industrie." NEOS-Europaabgeordnete Anna Stürgkh sprach von einer "Kehrtwende mit der Europa das Vertrauen in die europäische Politik untergräbt". Der Wandel hin zu zukunftsfähigen Technologien werde nun wohl "noch länger verschlafen" und der "Automarkt der Zukunft anderen überlassen".

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