TU-Informatiker: Hoch qualifiziert, am Markt vorbei
Groß war der Aufschrei, als die Technische Universität (TU) Wien kürzlich die Studienplätze für Informatik gleich um die Hälfte auf 581 Plätze reduzierte. Angesichts der fortschreitenden Digitalisierung drohe ein akuter Informatikermangel, der die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes gefährde, so der Tenor.
Aber stimmt das auch? Praktiker aus der Wirtschaft zeichnen ein anderes, etwas differenzierteres Bild vom angeblichen Informatikermangel in Österreich. Die klein- und mittelständisch geprägte heimische Wirtschaft brauche gar nicht so viele hochqualifizierte TU-Absolventen, meint etwa Peter Lieber, Vorsitzender des Verbandes Österreichischer Softwareindustrie (VÖSI): "Wir haben keinen Fachkräftemangel, sondern einen Fachkräftebedarf", sagt Lieber zum KURIER.
Dem Branchensprecher fehlen "kreative Geister" ebenso wie "Visionäre" und "Leute, die zupacken können und wollen". Von den jährlichen 200 Informatik-Absolventen der TU Wien seien vielleicht 20 in der heimischen IT-Wirtschaft einsetzbar, behauptet Lieber. Und selbst dann hätten Firmenchefs Bedenken, ob sie die Akademiker auch längerfristig halten können. Viele würden ins Ausland gehen oder sich selbstständig machen.
So wichtig und gut die internationale Forschung an den technischen Universitäten sei, so wenig praxistauglich seien oft die Qualifikationen der Absolventen. Lieber spricht von einem "Akademisierungswahn", der zunehmend auch die Fachhochschulen erfasse. "Diese sind früher viel praxisorientierter gewesen und eifern jetzt den Unis nach, leider."
In der heimischen IT-Branche am stärksten nachgefragt seien HTL-Absolventen, dort gebe es aber nach wie vor einen akuten Frauenmangel, bedauert Lieber diesbezüglich wenig ambitionierte Maßnahmen. Generell fordert er "mehr digitale Kompetenz in allen Lebenslagen", schließlich komme fast keine Branche künftig ohne Software aus.
Masterplan
"Die Digitalisierung erfordert eine große Vielfalt an Qualifikationen, wir müssen die Richtigen ausbilden", meint auch Alfred Harl, Obmann des Fachverbandes Unternehmensberatung und IT (UBIT) in der Wirtschaftskammer. Um nicht am Markt vorbei auszubilden, müsse es einen stärkeren Austausch zwischen Wirtschaft und Bildungssystem geben als bisher. "Österreich braucht einen Masterplan für IT-Fachkräfte", fordert Harl mehr Engagement von der Regierung. IT betreffe als Querschnittsmaterie viele unterschiedliche Branchen, "da entstehen Berufsbilder, an die wir jetzt noch gar nicht denken".
Anders als Lieber sieht Harl sehr wohl auch einen steigenden Bedarf an akademisch ausgebildeten IT-Fachkräften. So gebe es in Österreich viele "Hidden Champions", die top-qualifiziertes Personal benötigen würden, etwa in der Medizintechnik oder im Bereich des selbstfahrenden Autos. Aktuelle Zahlen des Fachverbandes UBIT (64.000 Mitglieder, Anm.) würden einen Mangel an 3000 IT-Fachkräften ausweisen.
Die Studienplatzreduzierung an der Informatik der TU Wien hält Harl "für ein fatales Signal", weil es den IT-Motor abwürge. Die Uni müsse sicherstellen, dass dadurch die Absolventenzahl nicht sinke. Interessantes Detail: Ein Teil der "Drop-outs" an der TU Wien sind Studenten, die nach Praktika in Unternehmen von diesen gleich eingestellt werden.
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