Steuer-Dschungel als Geschäft

Steuer-Dschungel als Geschäft
Komplizierte Gesetze kurbeln Jobmotor an und bringen Wirtschaftstreuhänder zur Verzweiflung.

Verstrickt in einem ausweglosen Gespinst aus immer komplizierteren Gesetzen und Vorschriften suchen nun sogar Klein- und Kleinstunternehmer Hilfe. Mit diesem Nebeneffekt der Steuerreform bringt die Regierung zumindest in einer Branche den Beschäftigungsmotor so richtig in Schwung. Das Geschäft der Wirtschaftstreuhänder und Rechtsanwälte floriert wie nie zuvor, weil Vertragsvereinbarungen und Abgabenzahlungen ohne juristische oder steuerrechtliche Beratung fast nicht mehr machbar sind. Auch wenn die Zahl der Anwälte, Steuerberater und Sachverständigen spürbar zugenommen hat und Tausende neue Arbeitsplätze geschaffen wurden, kommt Kritik an der Gesetzgebung.

Die größte Problematik: Auch das Risiko, als Unternehmer, Rechtsanwalt oder Steuerberater strafbar zu werden, ist gestiegen, weil die Komplexität des Gesetzes – speziell bei Haftungen – eine neue Dimension erreicht hat. Fast alle sechs Monate treten Gesetzesnovellen in Kraft. Immer öfter müssen neue EU-Richtlinien in österreichisches Recht gegossen werden. Und die Vorschriften, die gleichzeitig in andere Gesetze hineinspielen, sind schon derart kompliziert und unübersichtlich, dass Wirtschaftstreibende besorgt sind, Übergangsfristen, Sonderregelungen oder Unterpunkte im Gesetz womöglich zu übersehen.

"Da die österreichische Finanzlage budgetär angespannt ist, gab es mehrfach Steuererhöhungen, die das Steuerrecht verkomplizierten, ebenso verschärfte Finanzkontrollen. Die Betriebe sind immer stärker belastet worden", sagt Ralf Kronberger, Leiter der Abteilung "Finanz- und Handelspolitik" in der Wirtschaftskammer, "eine Vereinfachung ist nötig, aber schwierig, da bei einer akzeptierten Steuerreform Vereinfachungen mit Steuersenkungen einher gehen müssen." Die bisherige Bilanz: Die Zahl der gerichtlichen Finanzstrafverfahren in Österreich – Streitwert mehr als 100.000 Euro – liegt aktuell bei 400 Fällen pro Jahr, deutlich höher als noch in den Jahren davor.

Mehr Beratungen

Steuer-Dschungel als Geschäft
Steuerberater Gerald Lang, Correcta Zwettl
Um den Paragrafendschungel möglichst zu verstehen und Strafzahlungen zu vermeiden, nehmen die Rechtsberatungen stark zu, was dazu führt, dass die Spezialisten für Steuer- und Wirtschaftsrecht und deren Mitarbeiter ständig mehr werden. Waren es im Jahr 1995 nur 3900 Steuerberater, lag die Zahl zehn Jahre später bei 7100 und Ende 2015 bei rund 7800. Dazu kommen noch etwa 3000 Steuerberater-Anwärter. Innerhalb des vergangenen Jahrzehnts ist auch die Zahl der Anwälte um 1200 auf mehr als 6050 angestiegen. Im Vergleich dazu nahm die Zahl der Beamten binnen zehn Jahren um 340 auf rund 6850 Beschäftigte ab. Staatliche Aufgaben auslagern, heißt wohl die Devise.

"Unsere Branche profitiert von der Komplexität der Gesetze", bestätigt Klaus Hübner, Präsident der Kammer der Wirtschaftstreuhänder. Die Freude darüber hält sich aber in Grenzen. "Zwar wächst der Umsatz pro Jahr um ein bis zwei Prozent über der Inflationsrate, es steigen aber leider nicht die Erträge", erklärt Hübner und begründet das mit dem steigenden Wettbewerb. Nicht nur deswegen sieht die Situation auf dem Markt der Rechtsberatungen alles andere als rosig aus. Er klagt darüber, dass die Gesetzestexte kaum noch lesbar sind. "Ein normaler Bürger kann die Inhalte überhaupt nicht mehr verstehen", betont Hübner, der laut eigenen Angaben seit Berufsantritt vor zirka drei Jahrzehnten schon 140 bis 160 Gesetzesnovellen miterlebt hat, für die er einen großen Fortbildungsaufwand absolvieren musste, um auf dem aktuellen Stand zu bleiben.

Unübersichtlich

Wie heikel die Arbeit geworden ist, versucht Gerhard Lang, Chef der Steuerberatungskanzlei "Correcta" in Zwettl zu skizzieren. "Alleine die Personalverrechnung ist ein Monster. Für einen Einzelnen nicht mehr bewältigbar", sagt Lang, der seit 1990 seinen Personalstand von 13 auf 22 Mitarbeiter gesteigert hat. Zu berücksichtigen seien alleine bei der Personalverrechnung etwa das Sozialversicherungsrecht, Arbeitsrecht, Arbeitszeitgesetz, Anspruchsprinzip oder das Kollektivvertragsrecht. "Das Schlimme ist, dass es Hunderte Kollektivverträge (KVs) gibt, die immer unterschiedlicher werden. Und jeder Rahmen-KV umfasst schnell mal 60 bis 100 Seiten", sagt Lang. Auch das Einkommenssteuergesetz sei inzwischen komplex geworden. "Vor 30 Jahren hatten diese Richtlinien nur 300 Seiten. Jetzt sind es 1300 eng bedruckte Seiten", sagt Lang und fürchtet, "dass man schnell mit zwei Beinen im Kriminal steht, wenn man etwas übersieht."

Schenkungen

Auch Rechtsanwalt Alois Autherith aus Krems ist überzeugt, dass sein juristisches Aufgabenfeld (von Liegenschafts- über Erb- bis Gesellschaftsrecht) zuletzt heikler geworden ist, was aus seiner Sicht darauf zurückzuführen ist, dass staatliche Tätigkeiten immer öfter auf Anwaltskanzleien übertragen werden. "Bei der Grunderwerbssteuer neu, die seit 1. Jänner 2016 für Schenkungen im Familienkreis gilt, müssen wir die Bemessungsgrundlage ermitteln, dann die Steuern berechnen und eintreiben", sagt Autherith. Da viele Parameter in diese Berechnung hineinspielen, die auch schwierig zu ermitteln sind, sei der Aufwand enorm. "Man braucht eine genaue Check-Liste für den Klienten, um ja nichts zu vergessen", sagt Autherith, der auch Kritik übt: "Bei der Finanz sagt uns keiner, wie es richtig ist. Trotzdem müssen wir die Haftung für das Richtigmachen übernehmen", erklärt Autherith.

Das Problem bringt Rupert Wolff, Präsident der österreichischen Rechtsanwaltskammer, auf den Punkt. "Um die Grunderwerbssteuer zu ermitteln, gibt es drei verschiedene Möglichkeiten. Bei jeder Berechnungsvariante kommt ein anderes Ergebnis heraus. Ich bin überzeugt, dass dieses Gesetz vor dem Verfassungsgerichtshof nicht hält", meint Wolff. Auch er verlangt eine baldige Vereinfachung der Gesetzgebung, bevor das Wirtschaftssystem kollabiert.

Im Finanzministerium heißt es dazu, dass es mittlerweile gelebte Praxis sei, dass Dritte bzw. Intermediäre mittelbar in die Abgabeneinhebung eingebunden werden. "Anwälte als ,Parteienvertreter‘ spielen sowohl bei der Einhebung der Grunderwerbssteuer als auch bei der Immobilienertragssteuer eine wichtige Rolle, wobei nicht vergessen werden darf, dass sich dabei auch Verdienstmöglichkeiten eröffnen", sagt Johannes Pasquali, Sprecher des Finanzministeriums. Die "weitere Vereinfachung des Steuersystems hat höchste Priorität", betont er und verweist darauf, dass etwa ein vereinfachtes Einkommenssteuergesetz in Vorbereitung sei.

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