Starökonom: Inflation ist Vermögenssteuer für Arme

Ein Portrait des französischen Ökonomen Thomas Piketty
Für Thomas Piketty ist die Inflationskrise die Folge einer verfehlten Wirtschaftspolitik. Er plädiert für höhere Abgaben für Reiche.

Der französische Ökonom Thomas Piketty begreift die Inflationskrise als Konsequenz einer verfehlten Wirtschafts- und Geldpolitik des Westens. Zur Finanzierung der Covidhilfen ließen die Staaten im großen Stil Geld drucken, anstatt einen höheren Beitrag von Wohlhabenden einzufordern, kritisierte er im Gespräch mit der APA. Die entstandene Last müssten nun einkommensschwächere Schichten schultern. De facto komme die Teuerung daher einer "Vermögenssteuer für Arme" gleich.

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Im Grunde gehe es bei der Teuerungsdebatte um die Frage, wie die Staaten mit ihren aufgenommenen Schulden umgehen. Denn die Inflation führt dazu, dass die Steuereinnahmen sprudeln und sich dadurch die staatlichen Defizite in Relation zur Wirtschaftsleistung verringern. Dieser Zusammenhang sei den Regierungen ebenso bewusst wie der Umstand, dass die Geldausweitung früher oder später in ein höheres Preisniveau mündet, so Piketty: "Wenn Sie Geld drucken, ohne die Steuern zu erhöhen, bekommen Sie irgendwann eine Inflation. Darüber sollten wir uns im Klaren sein. Es ist einfach die heuchlerischste Art und Weise, um für die Rettung der Banken in den vergangenen Jahren und für die ganze Geldschöpfung zu bezahlen, die wir gemacht haben." Und: "Historisch betrachtet war Inflation immer eine der Möglichkeiten zum Abbau hoher Staatsschulden. Ist dies der einzige Weg, ist dies der beste Weg? Sicherlich nicht."

Als Alternative schlägt Piketty höhere Abgaben für Reiche vor. Denn der gewählte Zugang gehe vor allem zu Lasten der Ärmeren, die von der Inflation viel stärker betroffen seien als Wohlhabende. Piketty vergleicht die Teuerung mit einer Art regressiven Steuer, bei der die prozentuale Belastung mit steigendem Vermögen abnimmt. "Wenn man also wenig Ersparnisse auf dem Konto hat (...) mit keiner oder einer sehr geringen Rendite, dann sind 10 Prozent Inflation wie eine 10-prozentige Vermögenssteuer für die Armen", so der Ökonom, der als führender Forscher auf dem Gebiet der Einkommens- und Vermögensungleichheit gilt.

Thomas Piketty (*1971) ist ein französischer Wirtschaftswisenschaftler. Er ist Professor an der Eliteuniversität "Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales" in Paris und forscht zu den Themen der Einkommens- und Vermögensverteilung. International bekannt wurde Piketty 2014 mit der Veröffentlichung seines Buches "Das Kapital im 21. Jahrhundert".

Die Darstellung, dass einzig der Krieg in der Ukraine und die damit einhergehenden Kapriolen an den Märkten für die hohe Teuerung verantwortlich sind, lässt Piketty nicht gelten: "Insbesondere aus den USA haben uns die ersten hohen Inflationsdaten Ende 2021 erreicht, also vor dem Krieg in der Ukraine." Wenn also "Regierungen - einschließlich jener von Joe Biden in den USA - sagen, dass alles auf Putin zurückzuführen ist, dann stimmt das nicht". Solange der Krieg andauere, halte sich dieses Narrativ aufrecht, aber früher oder später werde sich die öffentliche Meinung drehen, glaubt der renommierte Wirtschaftswissenschafter.

Piketty warnt vor zu niedrigen Lohnabschlüssen

Wenig abgewinnen kann Piketty auch so manchen Horrorszenarien, welche die Arbeitgeber teilweise in den laufenden Kollektivvertragsverhandlungen ins Treffen führen - die Rede ist etwa von Wohlstandsverlusten oder notwendigem Stellenabbau bei Lohnanhebungen über der Inflation. "Die Arbeitgeber übertreiben ein wenig, wenn sie ein so düsteres Bild zeichnen", findet Piketty und warnt vor zu niedrigen Abschlüssen: "Man kann die Löhne nicht um 20 oder 30 Prozent erhöhen, aber wenn man sie um weniger als die Inflationsrate erhöht, dann ist das im Vergleich zur Produktionsentwicklung dürftig." Laut dem Ökonomen wären das Resultat negative Folgen für die österreichische Wirtschaft, weil dann der Konsum und die Ersparnisse der Haushalte zurückgehen würden. "Wenn die Löhne weniger steigen als die Inflation, bedeutet das, dass jemand mehr bekommt", gibt Piketty außerdem zu bedenken.

Grundsätzlich offen zeigt sich Piketty, der am Mittwoch in Wien mit der Oskar-Morgenstern-Medaille ausgezeichnet wurde, für Übergewinnsteuern. Diese könnten in gewissen Fällen ein sinnvolles Mittel sein, um Vermögensungleichheiten auszugleichen, meint der Ökonom. "Wir haben in den letzten zwei Jahren eine Extremsituation erlebt, in der einige Sektoren unglaubliche Gewinne gemacht haben." Bei der Ausgestaltung solcher Steuern müsse man aber einen genauen Blick auf die einzelnen Situationen werfen, denn es gebe große Unterschiede zwischen den Ländern, etwa im Energiebereich.

Trotz aller Krisen und negativer Entwicklungen plädiert Piketty dafür, den größeren Zusammenhang nicht aus den Augen zu verlieren. "Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass es langfristig eine Bewegung hin zu mehr wirtschaftlicher Gleichheit und Wohlstand gegeben hat", verweist Piketty auf Errungenschaften wie den Ausbau des Sozialstaats und der öffentlichen Bildung oder der Einführung von progressiven Steuern, die die Ungleichheit verringert hätten. Darauf gelte es aufzubauen. "Am Ende geht es um politische Mobilisierung (...) Das war nie einfach. Es bedurfte immer enormer politischer und sozialer Kämpfe, um dorthin zu gelangen."

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Dass die Herausforderungen groß sind, ist dem Franzosen bewusst. Es brauche etwa Investitionen in Bildung und in Maßnahmen gegen die Klimakrise, von denen nicht nur die Kinder der Topverdiener profitieren. "Die Forderung nach Chancengleichheit unabhängig von Geschlecht und Hautfarbe oder nach Klimagerechtigkeit (...), all diese Forderungen werden nicht verstummen", so Piketty. "Wir sollten die nötigen Investitionen tätigen. Wir waren als Gemeinschaft noch nie so reich wie heute. Die Behauptung, dass wir uns das nicht leisten können, klingt für mich verrückt."

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