Spar-Topmanager über Politik: „So könnte man ein Unternehmen nicht führen“

30 Jahre lang war der Vorarlberger Gerhard Drexel im Vorstand von Spar, lange Zeit Vorsitzender und seit dem Vorjahr Präsident des Aufsichtsrates. Im Jahr 2020 gelang es Spar, erstmals seit 25 Jahren die REWE-Gruppe vom ersten Platz der österreichischen Lebensmittelhändler zu verdrängen. In seinem neuen Buch über Führung nennt er sein Geheimnis: „Auf den Spirit kommt es an“.
KURIER: Was meinen Sie mit Spirit im Unternehmen?
Gerhard Drexel: Es geht um die Art, wie wir die Mitarbeiter führen, nämlich mit Menschlichkeit, Wertschätzung und Empathie. Die Mitarbeiter haben ein sehr feines Sensorium, ob ihnen da nur etwas vorgespielt wird oder ob das ehrlich gemeint ist. Wenn das gelingt, entwickeln sie Freude an ihrer Aufgabe, sind motiviert und schaffen Höchstleistungen.
An den Unis lernen Manager, dass man Kapital, Arbeitskräfte, richtige Produkte und gutes Marketing braucht. Sie meinen, der Spirit steht über allem?
Das ist alles wichtig, aber die Geisteshaltung geht dem voraus. Eine gute Marketingkampagne, ein tolles Sortiment ergibt sich daraus. Und dann folgt der Erfolg.
Sie sind Vorarlberger, über die man in Ostösterreich sagt, sie seien knochentrockene Rechner, bei denen zwei und zwei noch vier ist. Hatten Sie die von Ihnen beschriebene Einstellung immer schon?
Natürlich braucht es gute Rechner, ein gutes Controlling. Aber man muss immer an die Ursachen denken, warum in der Ergebniszeile ein Gewinn oder ein Verlust steht. An den Ursachen muss man ansetzen, und das sind eine Kultur der Wertschätzung und des Vertrauens, das ist der stärkste Kitt in einem Unternehmen.
Video: Gespräch mit Gerhard Drexel
Um es vielleicht an einem Beispiel festzumachen. Es ist Freitag, der 13. März 2020. Die Regierung sperrt wegen Corona das Land zu. Was haben Sie damals zu Ihren Mitarbeitern gesagt?
Es gab viele Krisensitzungen, damals meist noch physisch, einige über Videokonferenz. Es gab Verunsicherung, ob die Verkaufsmitarbeiter noch zur Arbeit kommen können, ob die Waren ausgehen, die Lieferketten noch stimmen. Ich habe damals meine Führungskräfte eingeschworen, dass wir gestärkt aus der Krise herausgehen werden.
Und wie haben Sie die 50.000 Mitarbeiter in Österreich erreicht?
Wir haben allen 50.000 einen Brief geschrieben. Mit den Unterschriften des gesamten Vorstands. Der Spirit in unserem Unternehmen hat dazu geführt, dass wir uns verantwortlich gefühlt haben, die Österreicher in dieser schwierigen Situation mit Lebensmitteln zu versorgen. So wie die Ärzte und Pfleger für die Gesundheitsversorgung da sind. Wir haben ihnen gesagt: Ihr seid die Heldinnen und Helden unserer Tage. Ich bin stolz, dass wir das geschafft haben. Die Krankheitsquote war sogar geringer als vor Corona.
Sie schreiben in Ihrem Buch, man soll weniger e-Mails schreiben und mehr persönlich miteinander reden ...
Ja, und je mehr Homeoffice praktiziert wird, desto mehr leidet die informelle persönliche Kommunikation. Da unterschätzt man, wie wertvoll eine Kaffeepause sein kann, dass man sich im Stehen ganz informell austauscht über das, was gut oder weniger gut läuft.
Aber was hilft es, wenn der Chef eines großen Unternehmens so denkt, aber der Filialleiter gegenüber seinen Mitarbeitern nicht? Da sprechen Sie eine große Herausforderung an. Da darf ich den großen Viktor Frankl zitieren. Er hat gesagt, man kann Werte nicht lehren, sondern nur vorleben. Also das muss von der Unternehmensspitze vorgelebt werden. Und dann muss kaskadenförmig eine Ebene die andere mit dem Spirit anstecken, sie begeistern. Das klingt einfacher als es ist und dauert Jahre.
Man muss dabei auch Regeln brechen, schreiben Sie. War Ihr klares Nein zu Zucker auch so ein Regelbruch? Viele haben sich gewundert, dass jemand, der Schokolade verkauft, sich so klar gegen Zucker stellt.
Ja, das war sicher so ein Regelbruch. Und in unseren Eigenmarken vermeiden wir Zucker so gut es überhaupt nur geht. Sie sind gentechnikfrei und ohne Einsatz von Glyphosat. Im Unternehmen war man begeistert davon, die Ärztekammer auch, natürlich nicht die Zuckerindustrie.

Gerhard Drexel im Gespräch mit KURIER-Chefredakteur-Stv. Richard Grasl
Sie haben in einem Radio-Interview die Politik gescholten. Sie arbeite zu sehr im System, als die Systeme selbst zu modernisieren.
Man muss ganze Systeme weiterentwickeln und nicht nur im System arbeiten. Dazu fehlt den Politikern aber der Mut, das anzupacken und mit einfachen Lösungen Erfolge zu erzielen. Ein Beispiel: Wir haben einen riesigen Personalmangel. Viele, die in Pension sind, würden aber gerne noch ein paar Stunden in der Woche arbeiten, und wir haben 2,4 Millionen Pensionisten in Österreich. Wenn die zurückkämen, natürlich nur freiwillig, dann wäre das Personalproblem behoben. Allerdings müsste man das Zusatzeinkommen steuerfrei stellen. Das wäre eine Änderung am System.
Allen Regierungen der letzten Jahrzehnte fehlte der von Ihnen erwähnte Spirit. Nach kurzem Honeymoon beginnt der Grabenkampf. So könnte man ein Unternehmen überhaupt nicht führen, wenn gegenseitig so viele Animositäten im Team sind, wie in der Politik. Es würde nicht lange überleben.
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