Sölden: Zwischen zwei Gletschern

Sölden: Zwischen zwei Gletschern
Nur Wien zieht noch mehr Gäste an als die 3200-Einwohner-Gemeinde in Tirol.

Von der Bergstation der Gaislachkoglbahn bis zum Gipfelkreuz sind es nur ein paar Meter – trotzdem geht manchen Gästen schnell die Luft aus. Das liegt an der Höhe. Das Söldener Gourmetrestaurant IceQ liegt auf 3038 Metern. Es ist ein Prestigeobjekt der Bergbahnen, auch wenn im Dorf viele auf den Glasbau schimpfen. "Viel zu modern und wieder etwas für reiche Russen und nicht für die Einheimischen", haben sie geätzt. Allerdings leben im Ötztal so ziemlich alle, vom Autohändler bis zum Zimmermann, vom Tourismus.

Sölden hat 3200 Einwohner und offiziell 16.000 Gästebetten, davon 10.500 im Ort Sölden. Nur Wien zieht noch mehr Gäste an. Jährlich checken mehr Urlauber in der Tiroler Gemeinde ein, als im gesamten Burgenland.

Begonnen hat alles 1948 mit einer Pleite. Jener der Vorgängergesellschaft der heutigen Seilbahnen. Die Familien Gurschler, Riml und Falkner übernahmen die Anteile und bauten den ersten Sessellift von Sölden nach Hochsölden. Sie hatten nicht nur Pioniergeist, sondern auch den Geist zu improvisieren. Den ersten Lift haben sie mit einem ehemaligen Panzermotor angetrieben. Von den Kollegen am Arlberg zunächst belächelt, nahm der Aufstieg vom armen Bauerndorf zum Skimekka mit 2 Gletschern (Rettenbachferner und Tiefenbachferner) samt Party-Image ihren Lauf.

Die Gurschlers, Rimls und Falkners haben noch heute viel zu sagen im Tal. Ihnen gehören Seilbahnen, Hotels, Restaurants und Geschäfte, sie sitzen im Gemeinderat und im Tourismusverband. An ihnen führt kein Weg vorbei.

Bernhard Riml, Unternehmer und oberster Touristiker im Ötztal, sitzt im Restaurant seines Bruders. Ständig kommt ihn jemand begrüßen. "Im Ort Sölden sind zwei Drittel der Gästezimmer von Privatvermietern, die durchschnittlich nur 15 bis 20 Betten haben", sagt Riml und putzt seine Brille. "Bei so vielen Privatvermietern ist es nicht einfach, den Preis hoch zu halten. Das ist in Obergurgl anders, wo zwei Drittel der Betten von Hotels kommen."

Schneekönig in Fahrt

In Söldens einzigem 5-Sternehaus, dem Central mit 120 Zimmern, sitzt Jack Falkner im Restaurant und lässt die Reste seiner Suppe von der Schüssel auf den Löffel tropfen. "Ich mache mir Sorgen um die Hotellerie, wegen der hohen Investitionen und der schlechten Preise", sagt der Miteigentümer des Hotels und der Seilbahnen. Der nach außen hin ruhige und eher unauffällige Mann ist umtriebig. Er hat beim Spa-Tempel Aqua Dom ebenso seine Hände im Spiel wie bei der Area 47, einer Art Erlebnisspielplatz für Erwachsene, Klettergarten und Riesenrutsche inklusive. Falkner investiert, um die Maschinerie am Laufen zu halten. Will ihn jemand aufhalten, kann er ungemütlich werden, heißt es. Jack schimpft dann auf die "Saturiertheit" in Tirol, die neue Projekte unter dem Deckmantel ökologischer Bedenken vereitle.

Für die Saison ist er gerüstet. 150 Pistenkilometer, dank der 3000er gibt es auch Schnee. Ein Einheimischer rümpft die Nase. Früher sei er beim Liftwart auf ein Schnapserl eingekehrt, heute würde er niemanden mehr kennen. Ostdeutsche und Osteuropäer würden für weniger Geld arbeiten. "Auch bei uns ist nicht alles Gold, was glänzt", sagt er. Falkner schüttelt den Kopf. Ein Liftwart verdiene netto 1300 Euro. Die meisten kämen aus der Region.

Alles ist auf den Gast ausgerichtet, auch die Palette an teuren MarkenEntlang der Straße, die sich durch den Ort Sölden schlängelt, reiht sich ein Sportgeschäft an das nächste. Neu ankommende Touristen kommen mit dem Zählen gar nicht nach. „Es sind mehr als 30 Läden“, sagen Einheimische. „Im Verhältnis zur Einwohnerzahl europaweit rekordverdächtig“, ergänzen Branchenkenner.

David Glanzer gehört mit elf Geschäften, davon sechs Sportartikel- und zwei Snowboard-Läden, zu den Großen im Ort. Er hat 1500 Paar Skier „draußen“ und einen Mitarbeiter nur damit beschäftigt, die Bretteln täglich bei den diversen Verleihstationen einzusammeln. Pro Stunde bringen seine Mitarbeiter bis zu 60 Paar Verleihskier auf Vordermann. Der Verkauf der Skier ist längst in den Hintergrund gerückt. Denn wenn die Saison um den 20. Dezember in den Wintersportorten so richtig losgeht, beginnen die Händler in den Städten längst mit dem Ausverkauf und ruinieren damit den Preis. Die Gefahr, dass heuer Ware verschleudert wird, ist groß, sind sich die Händler in Sölden einig. Weil weniger Russen kommen, wird der eine oder andere heuer wohl früher als sonst nervös werden und Aktionen starten.
Bernhard Riml hat zwei Sportartikelgeschäfte im Ort und drei weitere am Berg. Er entspricht zumindest in einem Punkt gar nicht dem Klischee des Tirolers. „Ich war nie ein guter Skifahrer“, sagt er. „Aber Friseure haben auch nie eine gute Frisur, oder?“

Riml verleiht rund 2000 Skiausrüstungen. Diese Menge immer top-gewartet zu haben, wäre händisch gar nicht mehr möglich. Die Arbeit erledigt eine Maschine, die 250.000 Euro gekostet hat. „Es erfordert einen entsprechenden Umsatz, damit sich das rentiert“, fügt er hinzu. Automatisiert wird auch
in den Verleihstationen. Vermehrt sollen Skifahrer ihre Ausrüstung selbst in einen Spind bei der Talstation stellen und am nächsten Tag wieder abholen. Der Code zum Spind wird auf den Liftpass geladen. Das spart den Verleihern Personal und damit Kosten. Das System haben sich die Österreicher von japanischen Skihallen abgeschaut.

Anorak um 800 Euro

„Mir wäre es lieber, wenn es weniger Sportgeschäfte und dafür mehr Bekleidungsgeschäfte gäbe“, moniert ein Hotelier. Will er sich neu einkleiden, muss er nach Innsbruck oder Imst fahren, ärgert er sich – auch über die vielen teuren Markenartikel. „Wenn ich einen Anorak um 800 Euro verkaufen kann, warum sollte ich dann einen um 150 Euro in den Laden holen?“, kontert ein Händler. Und überhaupt – ihm wäre es lieber, wenn es in Sölden mehr 4- und 5-Stern-Hotels gäbe.

Kommentare