Sizilien ist "Italiens Griechenland"

Sizilien ist "Italiens Griechenland"
Die Insel steht wirtschaftlich am Abgrund. Palermos Bürgermeister erklärt im KURIER-Interview, wie er der Krise entgegentritt.

Viele Geschäfte schließen, Familienväter verlieren ihre Arbeit und können die Rechnungen nicht mehr zahlen", erzählt der Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando. Nicht nur in der Hauptstadt, in ganz Sizilien sehe es wirtschaftlich düster aus. "Sizilien ist das Griechenland Italiens", sagt Orlando.

Der Ausblick ist schlecht. Die Arbeitslosenrate ist mit 19,5 Prozent fast doppelt so hoch wie der italienische Durchschnitt. Viele Junge wandern aus, weil es für sie keine Jobs gibt. Erst vor wenigen Tagen besuchte Italiens Premier Mario Monti die Insel. Er warnte, dass die Region mit knapp fünf Millionen Einwohnern bankrottgehen könnte.

Schuld ist die Krise, aber vor allem eine üble Misswirtschaft. Öffentliche Gelder wurden in der Vergangenheit für Vetternwirtschaft und Selbstbereicherung schamlos verprasst. So wurde etwa – während das ganze Land Einsparungen machte – die Zahl der Angestellten im öffentlichen Dienst um ein Drittel erhöht.

Die Europäische Kommission hat diese "signifikanten Defizite in der Verwaltung und der Aufsicht" bereits angeprangert. Im Vergleich zur Lombardei gibt Sizilien acht Mal so viel für den öffentlichen Sektor aus, zehn Mal mehr Menschen sind in dem aufgeblasenen öffentlichen Sektor beschäftigt.

Exzessive Ausgaben

Das liegt vor allem daran, dass Politiker ihre Freunde, Gönner und Familienmitglieder dort untergebracht haben. Das bringt im Gegenzug Wählerstimmen und Gefälligkeiten. Zusätzlich sind die Machenschaften der "Cosa Nostra" tief in den öffentlichen Sektor eingeflochten. Dass das finanziell nicht hält, war nur eine Frage der Zeit.

Allein die lokalen Behörden haben laut Rechnungshof mittlerweile Schulden in Höhe von 5,3 Milliarden Euro. Die gesamte Region mindestens 27 Milliarden.

Gerade in Sizilien, einer jener italienischen Regionen, die finanziell am schlechtesten dastehen, verdient der Gouverneur mehr als in jeder anderen Region. 16.000 Euro wurden Regionalpräsident Raffaele Lombardo pro Monat überwiesen. Damit ist aber erst einmal Schluss. Lombardo tritt mit Ende des Monats zurück – ihm werden Verbindungen mit der Mafia nachgesagt. Neuwahlen im Oktober sollen dann jener Politik ein Ende bereiten, die die Region an den Rand des Abgrunds getrieben hat.

Sizilien halte sich nur deshalb über Wasser, weil es von Italien erhalten wird, erklärte Orlando vor Kurzem. Doch für Montis Sparpläne, die einigermaßen gut angelaufen sind, wäre eine Pleite Siziliens verheerend.

Ein Krisenplan für Sizilien wird gerade fertiggestellt. Eine Geldspritze von rund 400 Millionen Euro soll die Schulden zumindest zum Teil decken. Rom will Palermo dabei ganz genau im Auge behalten. Denn der Preis wäre hoch. Brüssel wollte 600 Millionen Euro für Sizilien lockermachen. Wenn sich die Region aber nicht an die Sparpläne hält, dann werden die Fördergelder wieder gestrichen. Auch wenn Sizilien vieles davon bereits ausgegeben hat.

"Wir werden Palermo zum Ausverkauf freigeben"

Bereits zum vierten Mal ist Mafia-Jäger Leoluca Orlando zum Bürgermeister von Palermo gewählt worden. Im KURIER-Interview erzählt er, wie er die krisengeschüttelte Stadt wieder aufpäppeln will.

KURIER: Sie haben kürzlich aufgrund der explosiven sozialen und wirtschaftlichen Situation in Palermo vor einem Bürgerkrieg gewarnt. Mit welchen Maßnahmen wollen Sie die Krise in den Griff bekommen?

Leoluca Orlando: Diese Woche traf ich Premier Monti. Ich habe die Regierung um ein positives Signal für Palermo gebeten. Ich werde mich nicht gegen die protestierende Bevölkerung stellen, weil ich den Unmut aufgrund ihrer schwierigen Lage verstehe. Ich hatte in Rom davor gewarnt, dass die Mafia diesen Härtefall ausnutzen könnte. Wir werden die EU-Fördergelder dazu nutzen, die lokale Wirtschaft anzukurbeln. Wichtig ist die Investition in Infrastruktur. Die Arbeiten zum Bau der Metro und Tram wurden wieder aufgenommen. Das Eisenbahnnetz wird ausgebaut. Man muss sich vorstellen, dass Sizilien nur ein Prozent der EU-Gelder für öffentliche Investitionen ausgegeben hat, der Rest ist in korrupter Vetternwirtschaft verschwunden.

Was werden Sie unternehmen, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen, damit die jungen Leute in der Stadt bleiben?

Sie sprechen mit jemandem, dessen Kinder alle im Ausland leben. Als Bürgermeister bedrückt es mich, dass meine Enkel meine Stadt nicht kennen. Meine Kinder wollten sich nicht der Parteien- und Günstlingswirtschaft beugen. Es muss aufhören, dass man hier nur durch Protektion und nicht durch Leistung zu einem Job kommt.

Gibt es konkrete Projekte?

Wir werden Palermo zum Ausverkauf freigeben und Gebäude und Plätze zum Kauf anbieten. Damit wollen wir international Aufmerksamkeit erregen, damit ausländische Unternehmen in Palermo investieren.

Wer sich in Palermo selbstständig macht, bekommt rasch Besuch von der Mafia, die Schutzgeld verlangt.

Es wird Hilfsmaßnahmen und Schutz für Leute geben, die Unternehmen gründen.

Mafia, Korruption, Günstlingswirtschaft – wie schaffen Sie es zu regieren, ohne sich zum Komplizen organisierter Kriminalität zu machen?

Die Leute kennen mich und wissen, dass sie bei mir keine Chance haben, etwas unkorrekt zu machen.

Sizilien sitzt auf einem Schuldenberg von Dutzenden Milliarden Euro, die Insel ist praktisch bankrott. Im Herbst gibt es Neuwahlen. Was erwarten Sie?

In Sizilien wurde ein korruptes System mit öffentlichen Geldern aufgebaut, Scheinämter wurden aufrechterhalten, Scheininvestitionen – etwa bei Bildungsmaßnahmen – getätigt. Ich werde den Kandidaten unterstützen, der keinen mafiösen oder korrupten Hintergrund hat.

Zur Person: Leoluca Orlando (64)

Bürgermeister Leoluca Orlando wurde 2012 mit 74 Prozent der Stimmen zum Bürgermeister von Palermo gewählt. Zuvor war er von 1985 bis 1990 und von 1993 bis 2000 in diesem Amt. Seit 2006 ist Orlando Abgeordneter und Sprecher der Oppositionspartei "Italia dei Valori".

Anti-Mafia International bekannt wurde der Mitte-links-Politiker Orlando, der in Heidelberg Jus studierte, durch seinen Kampf gegen die Mafia. Er lebt deshalb unter ständigem Personenschutz. Seine Anti-Mafia-Aktionen wurden jedoch von Gegnern als reine Rhetorik kritisiert.

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