Bei kaum einer anderen Feldfrucht sind die Flächen so deutlich zurückgegangen wie bei Zuckerrüben. Verglichen mit 2018 sind die Anbauflächen in Niederösterreich um 22 Prozent gesunken und im Burgenland um 33 Prozent.
Gut möglich, dass es deshalb in Zukunft nur noch eine statt wie bisher zwei Zuckerfabriken geben wird. Die heurige Rübenernte wird noch in den beiden Standorten Tulln und Leopoldsdorf (Marchfeld) verarbeitet. Das bekannteste Produkt ist „Wiener Zucker“.
Ob das auch im kommenden Jahr so sein wird, soll noch in diesem Monat entschieden werden. Es geht dabei um 150 Arbeitsplätze in der Zuckerfabrik Leopoldsdorf, sechsstellige Einnahmen aus der Kommunalsteuer für die Gemeinde Leopoldsdorf und die Zukunft von Zulieferbetrieben.
Die Befürchtung, dass die Fabrik in Leopoldsdorf geschlossen werden könnte, ist berechtigt. Bereits vor zwei Jahren gab es Spekulationen, dass bei einer Rüben-Anbaufläche von weniger als 30.000 Hektar die Zuckerfabrik im Marchfeld geschlossen wird. Heuer werden in Österreich nur noch 26.355 Hektar Zuckerrüben angebaut.
Ende Juli hat der Eigentümer der beiden Fabriken, die Agrana, zwei Geschäftsführer der Zuckersparte abberufen und ihre Aufgaben auf die beiden in diesem Bereich verbliebenen Geschäftsführer aufgeteilt.
Dass heuer zwei Fabriken für die Verarbeitung der Rüben eingesetzt werden, sage nichts darüber aus, ob es in Zukunft nur noch eine oder weiterhin zwei Fabriken geben wird, lautet das Statement der Presseabteilung der Agrana. Für die verbale Zurückhaltung gibt es gute Gründe. Die Agrana ist ein börsenotiertes Unternehmen. Die Weitergabe von Insiderinformationen ist illegal.
Für die Agrana war die Zuckersparte zuletzt ein Verlustgeschäft. Im Geschäftsjahr 2018/’19 ergab das Ebit (Gewinn vor Zinsen und Steueren) des Bereichs einen satten Verlust von 61,9 Millionen Euro. Im Geschäftsjahr 2019/20 war es ein Minus von 44 Millionen Euro.
Mindestpreis
Mit den Rübenbauern hat die Agrana Mehrjahresverträge mit einem garantierten Mindestpreis abgeschlossen. Damit sollte wohl ein plötzlicher Preisverfalls überbrückt werden. Nach dem Auslaufen der Produktionsobergrenzen sank der Zuckerpreis in der EU um mehr als 50 Prozent.
Auch nach dem Auslaufen der Produktionsquoten für Milch hat der Milchpreis zuerst deutlich nachgegeben und hat sich dann langsam erholt. So war es dann auch beim Zucker. Vom Herbst des Vorjahres bis zum Frühjahr wurde Zucker teurer.
Doch wegen der Corona-Krise folgte Ende April der Absturz auf einen neuen Tiefststand. Mittlerweile hat sich der Zucker-Preis zwar wieder etwas erholt. Er liegt aber immer noch unter dem Höchststand vom Frühjahr.
Die Corona-Krise hat insbesondere wegen der Einschränkungen in der Gastronomie die Nachfrage nach Zucker sinken lassen. Die Agrana hat bislang mehr Zucker an die Industrie verkauft als an den Einzelhandel.
Neben den Preisschwankungen sind die Einschränkungen von Pflanzenschutzmitteln ein Grund für die deutlich gesunkenen Anbauflächen (siehe Bericht rechts). 2018 wurde von der EU ein Verbot für mehrere Neonicotinoide beschlossen, die bisher als Pflanzenschutzmittel für Zuckerrüben verwendet worden sind. Umweltorganisationen hatten Neonicotinoide für das Bienensterben verantwortlich gemacht.
„Ohne Neonicotinoide geht es nicht“, ist Ernst Karpfinger, Präsident des Rübenbauernbundes für Niederösterreich und Wien, überzeugt. „Es macht einen Unterschied, ob ich mit dem Einsatz von Neonicotinoiden 50 Prozent der Ernte verliere oder ohne Neonicotinoide 100 Prozent.“
Notfallzulassung
In Bundesländern wie Niederösterreich und Oberösterreich gibt es eine Notfallzulassung, die den Einsatz des Insektizids unter Auflagen erlaubt. Im Burgenland und Wien ist der Einsatz verboten. Der frühere Landwirtschaftsminister und nunmehrige Präsident der burgenländischen Landwirtschaftskammer, Nikolaus Berlakovich, spricht daher von einem „klaren Wettbewerbsnachteil“ für die Rübenbauern im Burgenland. Nicht nur in den anderen Bundesländern, sondern auch in Ungarn, Tschechien und Slowakei „gibt es Notfallzulassungen“.
Karpfinger ist nicht mit allen Auflagen der Notfallverordnung einverstanden. „Ich habe Rüben angebaut, die hat im Frühjahr der Frost geholt. Ich musste noch einmal anbauen und durfte dann keine Neonicotinoide verwenden.“ Vom Rüsselkäfer, der zu massiven Ernteausfällen führt, sei er glücklicherweise verschont geblieben. Wegen anderer Pflanzenschädlinge habe er die Rüben „mehrmals mit unterschiedlichen Insektiziden behandeln müssen“.
Wie hoch die Ausfälle sind, wenn man auf konventionellen Pflanzenschutz verzichtet, zeige das Beispiel der Bio-Rüben. „Heuer wurden 2300 Hektar Biorüben angebaut. Übrig geblieben sind lediglich 920 Hektar.“
Für die SPÖ-Niederösterreich waren die Notfallzulassungen für Neonicotinoide ein „Skandal“. Doch die negativen Folgen des Verbots mit dem Wegfall von Anbauflächen könnten nun auch klassisches SPÖ-Wählerklientel treffen, nämlich die Beschäftigen in den Zuckerfabriken.
Vom SPÖ-Landesparteivorsitzenden Franz Schnabl abwärts haben niederösterreichische Sozialdemokraten nun doch ihre Zuneigung für die Zuckerrübe entdeckt. Die Zuckerfabrik in Leopoldsdorf dürfe nicht geschlossen werden. Um das sicherzustellen, soll es mehr Förderungen für die Rübenanbau geben.
Umverteilung
Doch die Gesamtsumme der Förderungen für den Agrarbereich darf nicht steigen. Es ist lediglich erlaubt einen kleineren Teil der Förderungen umzuverteilen. Was den Rübenbauern zusätzlich gegeben wird, muss allerdings anderen Landwirten weggenommen werden.
Doch darauf wird sich die Bundesregierung wohl nicht einlassen. Sonst werden bei jedem Preisverfall von landwirtschaftlichen Produkten die betroffenen Landwirte auf eine interne Umverteilung der Agrarförderungen drängen.
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