"Run down"-Manager: Der Letzte dreht das Licht ab
Heute ist sein letzter Arbeitstag. Hans Garstenauer hat sein ruhiges Büro in einem Wiener Gründerzeithaus gegenüber der noch immer stolz anmutenden Konzernzentrale bereits geräumt. Der Konzern hat stürmische Zeiten hinter sich: Nicht überall, wo Volksbank draufsteht, ist noch Volksbank drinnen.
In den vergangenen drei Jahren hat Garstenauer hier Hunderte Kündigungsgespräche führen müssen. Für Kollegen in Karenz, die mit ihren Kindern zum Termin kamen, hatte er Spielzeug zurechtgelegt. Damit sich die Kleinen ein wenig ablenken konnten, während er mit ihrer Mutter oder ihrem Vater die Auflösung des noch bestehenden Dienstvertrags besprochen hat.
Und wenn er in einem Personalakt las, dass sein Gegenüber nicht Jahre, sondern Jahrzehnte in der ÖVAG beschäftigt war, ließ er zunächst die einzelnen Stationen des firmeninternen Werdegangs Revue passieren, ehe er zum finalen Kapitel einer verdienstvollen Karriere kam. Man nennt diesen Schlussakt „Modalitäten des Abgangs“. Rühmlich war er gewiss nicht.
Der Lotse auf der Titanic
Hans Garstenauer ist heute – diese Zuschreibung lässt er gelten – einer der krisenerprobtesten Personalmanager des Landes. Er begann seine Karriere in einer Zeit, in der die Volksbanken AG als kleiner Kutter durch ruhige regionale Gewässer schipperte. Es versteht sich daher von selbst, dass er seine Position als Krisenlotse so nie geplant und schon gar nicht angestrebt hatte.
Der Untergang der ÖVAG ist gut dokumentiert, er erinnert an den Untergang der legendären Titanic, deren ehrgeizige Eigentümer ein zu hohes Tempo diktiert hatten. Im Herbst 2008 war ein Tsunami auf den internationalen Finanzmärkten losgebrochen, der auch die zu schnell gewachsene und schwer manövrierbare ÖVAG-Flotte sofort in finanzielle Schieflage brachte.
Auf dem sinkenden Schiff
Die Crew traf der Bankencrash, der durch die Globalisierung beschleunigt wurde, unvorbereitet: die Älteren an Bord kannten Kündigungswellen nur vom Hörensagen, die Jüngeren waren nur auf einen einzigen Kurs programmiert, den Expansionskurs bei Schönwetter.
Bald wurde eine eigene Abbau-Gesellschaft formiert, in der Hans Garstenauer als der Überbringer der schlechten Nachricht dienen musste. Er bemühte sich, den Weg zu den Rettungsbooten im ruhigen Ton zu weisen. Er wollte dabei möglichst alle Optionen aufzeigen, die sich seinem jeweiligen Gegenüber boten. Sein Auftrag ließ ihm jedoch wenig Gestaltungsmöglichkeiten.
Der Abbau-Manager war zunächst mit einem Ein-Jahres-Vertrag ausgestattet worden. Seine befristete Mission wurde zwei Mal verlängert. Sein Credo bis zuletzt: „Ich möchte das sinkende Schiff mit Anstand verlassen.“ Manchmal half ihm auch eine Portion Sarkasmus, um seine Erfahrungen besser zu verarbeiten. Auf jeden Fall wollte er Wertschätzung zeigen für die Menschen, die sein Büro betraten, und Augenmaß beweisen beim möglichst geregelten Stilllegen der ehemaligen Bank. „Das entspricht meinem Berufsethos, dem ich mich weiterhin verpflichtet fühle.“ Sagt der 51-jährige Oberösterreicher, der an der Wirtschaftsuniversität Wien Wirtschaftspädagogik studiert hat.
Er war in der realen Abwicklung nicht zu beneiden: Oft saß er Menschen gegenüber, die mit einem Abschnitt in ihrem Leben abschließen mussten und einer ungewissen beruflichen Zukunft entgegensahen. Garstenauer beteuert, dass er bei jedem Gespräch einem übergeordneten Ziel folgte. Er geht jetzt zur Tür und betont: „Ich wollte, dass hier jeder Einzelne ein bisserl mehr aufgerichtet hinausgeht, als er hereingekommen ist.“ Nachdenklich fügt er hinzu: „Ich weiß schon, dass mir das nicht immer gelungen ist, aber das war immer mein Ziel.“
Zu bedenken hatte er auch, dass Menschen unterschiedlich auf eine unangenehme Nachricht reagieren. Er erinnert sich an Kollegen, die sich bis zuletzt an ihren Arbeitsplatz klammerten. Andere haben sich indes gerettet und sind heute in einer anderen Firma tätig. Wieder andere sind in tiefe Depression versunken und wollten aufgrund der schwierigen Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr nach vorne schauen. Viel menschliche Regung brach bei rauer See auf, die in ruhigeren Zeiten wohl nicht zum Vorschein gekommen wäre.
Dann geht auch er von Bord
Belastend waren für den Personalchef der Abbau-Gesellschaft die Vorwürfe an seinem Vorgehen. Das zeitweilige Gefühl, als Feindbild für alle anderen herhalten zu müssen, das kennen auch Personalisten in anderen Unternehmen. Auch wenn er in den Gesprächen mit seinen Kollegen immer souverän bleiben musste, tauchten Fragen auf, die sich nicht so leicht vom Tisch wischen ließen: Was wird aus der netten Kollegin werden, die zu jung für eine Pensionierung und zu alt für einen beruflichen Neuanfang ist? Was wird aus den jungen Eltern, die nach der Kinderkarenz ihre Jobs verlieren? Wird der für seine firmeninterne Erfahrung und sein Spezialistentum geschätzte Abteilungsleiter anderswo Land sehen?
Der Letzte dreht das Licht ab. Heißt es. Hans Garstenauer hat in den vergangenen Jahren viel dazugelernt. Er weiß daher auch: Sein angesammeltes Wissen als „Run down“-Manager ist notgedrungen auch in anderen Firmen gefragt.
Buchtipp: Working pur - der Arbeitswelt-Report.
Mehr über den „Run down“-Manager Hans Garstenauer erfährt man im Buch „Working pur“. Das Buch von Uwe Mauch, Wolfgang Freitag und Franz Zauner enthält insgesamt 16 Reportagen aus der Arbeitswelt und ebenso viele Interviews mit Experten zur Zukunft der Arbeit, Stichwort: Arbeit 4.0. Es ist im Verlag des ÖGB erschienen und kostet 19,90 Euro.
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