Misere am Jobmarkt wird zum Dauerzustand

Misere am Jobmarkt wird zum Dauerzustand
Arbeitslosigkeit wird bis 2019 weiter ansteigen – in Wien bis auf 15 Prozent. Das fehlende Wirtschaftswachstum ist dafür nur ein Grund. Andere sind hausgemacht.

Die Trendwende am Arbeitsmarkt rückt in immer weitere Ferne. Ende März waren 360.000 Menschen beim AMS arbeitslos gemeldet, um 12,9 Prozent mehr als vor einem Jahr. Inklusive Schulungsteilnehmer suchten 428.500 Menschen einen Job. Schon wieder ein neuer März-Rekord. Lichtblicke? Fehlanzeige.

Misere am Jobmarkt wird zum Dauerzustand
Gemeldete Arbeitslose und Schulungsteilnehmer Ende März 2010-2015 - Säulengrafik; Zahlen im Detail, Veränderung nach Bundesländern Grafik 0401-15-Arbeitsmarkt.ai, Format 88 x 130 mm
Die Arbeitslosigkeit wird in Österreich zumindest bis 2019 weiter ansteigen, geht aus der aktuellen Prognose des Forschungsinstituts Synthesis im Auftrag des AMS hervor. Demnach wird der Arbeitslosenbestand in den nächsten fünf Jahren um 80.000 auf knapp 400.000 im Jahresschnitt zunehmen. Die nationale Arbeitslosenquote erreicht die 10-Prozent-Marke (siehe Grafik). Die AMS-Schulungsteilnehmer sind in dieser Prognose gar nicht berücksichtigt.

Folgende Faktoren sind für die düstere Prognose verantwortlich:

Wirtschaftsflaute

Im Prognosezeitraum dürfte die heimische Wirtschaft im Schnitt nur 0,9 Prozent jährlich wachsen, was de facto einer Stagnation entspricht. "Wir sehen derzeit keinerlei Anzeichen für ein höheres Wachstum", sagt Synthesis-Arbeitsmarktexperte Georg Frick zum KURIER. Firmen stellen daher kaum neue Mitarbeiter ein. Besonders betroffen: Die Industrie und das Gewerbe. Die Prognosen gehen von 23.000 zusätzlichen Arbeitslosen allein in diesen Sparten aus. Der erwartete Beschäftigtenzuwachs entsteht fast ausschließlich durch die Umwandlung von Vollzeit- in Teilzeitstellen.

Pensionsschranken

Gut 40 Prozent des erwarteten Arbeitslosenanstiegs entfällt auf die Gruppe der über 50-Jährigen. Vor allem deshalb, weil die geburtenstärksten Jahrgänge in diese Altersklasse nachrücken. Der Zugang in die Frühpension wurde versperrt, die Jobaussichten haben sich seither nicht gebessert. Im Gegenteil: Die Langzeitarbeitslosigkeit nimmt daher ebenfalls zu.

Entspannung zeichnet sich lediglich bei den unter 20-Jährigen ab, wo sogar eine sinkende Arbeitslosigkeit vorausgesagt wird. Geburtenrückgang und längerer Verbleib in der Ausbildung sind hier die Hauptgründe. Wegen der Höherqualifizierung erwartet Synthesis bis 2019 aber einen Zuwachs bei der Akademiker-Arbeitslosigkeit um 35 Prozent.

Zuzug

"Die Europäisierung des Arbeitsmarktes setzt sich fort. 75 Prozent des zusätzlichen Arbeitskräfteangebots wird in den nächsten Jahren aus dem Ausland kommen", schätzt Frick. Um diesen "Angebotsdruck" ausgleichen zu können, würden aber zu wenige neue Stellen geschaffen, was zu einem Verdrängungseffekt führt. Die Folge: Die Ausländer-Arbeitslosigkeit steigt mit 45 Prozent mehr als doppelt so stark wie die Inländer-Arbeitslosigkeit mit 18 Prozent.

Wie schon im März zeichnet sich im Ländervergleich auch in den nächsten Jahren ein deutliches West-Ost-Gefälle ab. Während sich die Beschäftigung in Tirol und Vorarlberg relativ stabil entwickelt, sind die Prognosen für Wien alarmierend. In der Bundeshauptstadt klettert die Arbeitslosenquote bis 2019 um 3,4 Prozentpunkte auf 15 Prozent.

Die düsteren Prognosen, wonach auf Jahre keine Entspannung auf dem heimischen Arbeitsmarkt zu erwarten ist, nimmt Sozialminister Rudolf Hundstorfer mehr oder weniger "zur Kenntnis". Im KURIER-Gespräch sagt er: "Jedes Quartal kommen neue Prognosen. Ich konzentriere mich auf das, was unmittelbar umsetzbar ist: der Impuls aus der Steuerreform, der Impuls aus der Wohnbau-Offensive, auch die Breitband-Milliarde muss umgesetzt werden. Da muss sich etwas auf dem Arbeitsmarkt bewegen."

Bonus-Malus

Größter Streitpunkt ist derzeit das Bonus-Malus-System für Ältere, die Wirtschaft lehnt es strikt ab. Hier will Hundstorfer "in Ruhe, nach Ostern weiter verhandeln" und seine "öffentlichen Botschaften reduzieren". Alles andere schaukle nur die Emotionen auf.

Erst am Dienstagabend hatte Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl im ORF-Report das in der Regierung längst vereinbarte Bonus-Malus-System als "absurdes Quotensystem" abgekanzelt. Da müsse den Sozialpartnern etwas Besseres einfallen, sagte Leitl.

50+

Änderungen werden beim Sonderprogramm 50+ debattiert. Hier fließen in den Jahren 2014 bis 2016 in Summe 370 Millionen Euro an Lohnsubventionen für die Wiedereinstellung älterer Arbeitsloser. Derzeit muss man jedoch länger als sechs Monate ohne Job sein, um in den Genuss der Förderung zu kommen. Künftig könnte das rascher gehen.

Budget

Das droht am Budget zu scheitern, die Weiterfinanzierung des Programms für 2017 ist auch noch nicht fix. Hierzu laufen aktuell die Budgetverhandlungen mit Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP). Hundstorfer sagt: "Das muss weiter verhandelt werden." Angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit brauche er im AMS-Budget 2016 aber "das gleiche Geld als Minimum". Die Rede ist von den heutigen 1,1 Milliarden Euro. Der Haken daran: Die Budgetprognosen wurden erstellt, als man noch von 60.000 Arbeitslosen weniger im Jahr 2016 ausging.

Mindestsicherung

Zur jüngsten Anregung von AMS-Vorstand Johannes Kopf im profil, als Anreiz zur Arbeitsaufnahme Änderungen bei der Mindestsicherung vorzunehmen, bestätigt Hundstorfer Gespräche. Bei Höhe und Bezugsdauer der Mindestsicherung werde es keine Änderungen geben, eventuell aber im Vollzug (z. B. Anrechnung von Familienbeihilfe).

Arbeitslosengeld

Auch die Idee von Kopf, zu Beginn höheres Arbeitslosengeld zu zahlen und dann schrittweise zu senken, um die Anreize Arbeit anzunehmen, zu verstärken, kennt Hundstorfer naturgemäß. "Diesen Diskussionspunkt gibt es schon länger. Aber die Verweildauer in der Arbeitslosigkeit ist nicht dramatisch hoch." Er selbst habe im Moment "keine Lieblingsidee", sagt der Minister. "Wir haben ganz gute Instrumente an der Hand." Hauptthema sei so und so: "Ich brauche Wachstum und einen zweiten Arbeitsmarkt für Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen."

Deutschland

Die gute Situation in Deutschland sei auf die Demografie und geringere Zuwanderung zurückzuführen. "Die Deutschen werden alt und weniger. Wir sind jung und werden mehr. Das ist der Unterschied."

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