Regierung räumt Wirtschaft Vorrang ein

Regierung räumt Wirtschaft Vorrang ein
Regierung will per Verordnung wichtige Infrastrukturprojekte beschleunigen. Kritiker fürchten um Umwelt- und Klimaschutz

Darf gebaut werden oder nicht? Die Beantwortung dieser Frage dauert bei der umstrittenen dritten Piste beim Flughafen Wien schon mehr als zwölf Jahre. Um bei großen Bauvorhaben jahrelange Genehmigungsverfahren künftig zu beschleunigen, will die Regierung jetzt per Verordnung nachhelfen.

Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck brachte am Dienstag im Ministerrat den Antrag auf ein Standortenwicklungsgesetz ein. Konkret geht es darum, dass Großprojekte mit relevanten Arbeitsmarkteffekten einem im Wirtschaftsministerium angesiedelten „Expertengremium“ vorgelegt werden können. Aufbauend auf dessen Empfehlungen kann die Regierung dann ein „besonderes Interesse der Republik“ feststellen und eine Verordnung erlassen, die das Projekt beschleunigt. „Wir müssen bei Verfahren schneller werden. Damit schaffen wird das“, sagt Schramböck.

Womit genau das geschafft werden soll, ist freilich noch unklar. Im Antrag ist nur vage von „verfahrensbeschleunigenden Maßnahmen in anderen Materiengesetzen“ die Rede, Konkreteres vermag man im Ministerium noch nicht zu benennen. Auch wer genau das „Interesse der Republik“ anrufen kann, bleibt offen. Die Investoren selbst sollen es eher nicht sein. Die Zusammensetzung des Expertengremiums ist ebenfalls unbekannt, zumindest sollen Minister und Ländervertreter zum Vorhaben gehört werden. Um nicht erst recht wieder viel Zeit zu verlieren, soll zwei Mal im Jahr über anstehende Projekte entschieden werden.

Industrie als Treiber

Industriellenvereinigung (IV) und Wirtschaftskammer (WKO) begrüßen das Gesetz. Die IV war ein maßgeblicher Treiber. Schon im Juli des Vorjahres arbeitete sie eine Punktation zu einem Standortwicklungsgesetz aus, die sich nun in Grundzügen im Entwurf wiederfindet. Peter Koren, stellvertretender Generalsekretär der IV, erhofft sich von dem Gesetz einen deutlichen Anschub für die Wirtschaft. „Die Investitionssicherheit wird jedenfalls wesentlich erhöht“, betont er. Die Unternehmen könnten besser vorausschauend planen. Das sei insbesondere für die Schienen-, Strom- und Gasbranche wichtig. Für Koren ist das „Standortpaket“ kein Vorrang für die Wirtschaft, sondern ein Gleichziehen mit dem Umwelt-, Natur- und Tierschutz. Deren Rechte seien nicht nur im Verfassungsrang, sondern auch durch EU-Richtlinien weiterhin gut abgesichert.

WKÖ-Präsident Christoph Leitl spricht von einer „Stärkung des Wirtschaftsstandortes, insbesondere der Verkehrs- und Energieinfrastruktur“. Großinvestitionen würden daher noch stärker als bisher unterstützt.

Ganz anders sehen das die Umweltschützer. Greenpeace spricht von einem „neuen Angriff auf Umweltrechte“ und einem „demokratiepolitischen Rückschritt“. „Die Regierung will hinter verschlossenen Türen gemeinsam mit Konzern-Bossen bestimmen, welche Großprojekte gegen den Willen der betroffenen Menschen durchgepeitscht werden.“ Der WWF kritisiert, dass „unter dem Deckmantel der Verfahrensbeschleunigung Umweltstandards und Beteiligungsrechte ausgehebelt werden“ sollen. „Das geht eindeutig zulasten der Umwelt. Der Ausgleich der Interessen ist gefährdet“, warnt Volker Hollenstein vom WWF. Seiner Ansicht nach setzt die Regierung beim falschen Punkt an. Die Probleme der langen Verfahren lägen vielmehr an den unterschiedlichen Vorgehensweisen der Länder, an Überlastung der Beamten und am Gutachter(un)wesen. „Das alles aber greift die Politik nicht an. Denn das ist zu kompliziert“, kritisiert Hollenstein. Großprojekte würden vor allem durch unvollständige Unterlagen der Antragsteller verzögert, „daran wird auch ein Standortgesetz nichts ändern“.

Maßnahmenpaket

Das Standortgesetz ist nur eine von mehreren Regierungs-Maßnahmen zur Beschleunigung von Bauvorhaben. Wie berichtet, will sie die Wirtschaft als Staatsziel in der Verfassung verankern, braucht dazu aber womöglich eine Zwei-Drittel-Mehrheit auch im Bundesrat. Schramböck rechnet hier mit der Zustimmung von Neos – „denen war die Wirtschaft bisher immer ein Anliegen“ – und auch der SPÖ. Letztere lehnt das Vorhaben jedoch ab.

Weiters ist eine Verfahrensbeschleunigung bei der Umweltverträglichkeitsprüfung und Änderungen beim Verfahrensrecht geplant. Dazu zählen etwa das Wasser- oder das Forstrecht.

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