Ratingagenturen: Kurze Leine, aber kein Maulkorb
Ratingagenturen sehen sich gerne als strenge Lehrer, die Noten verteilen und warnend den Zeigestab schwingen. Die "Klassengemeinschaft" EU will sich diese Allmacht nicht länger gefallen lassen. Der zuständige EU-Kommissar, der Franzose Michel Barnier, legte am Dienstag ein umfangreiches Regelwerk vor, mit dem die Ratingagenturen an die kurze Leine genommen werden sollen.
In den vergangenen Monaten hatten die US-Agenturen Standard&Poor's, Moody's und Fitch, die zusammen auf einen Marktanteil von 95 Prozent kommen, immer wieder massive Kritik der Europäer auf sich gezogen. Just in äußerst heiklen Phasen, in denen es etwa um Rettungspakete für Griechenland ging, stutzten sie die Bonitätsbewertung zurück. Das Fass zum Überlaufen hat schließlich vergangene Woche Standard&Poor's gebracht, die "irrtümlich" die Kreditwürdigkeit Frankreichs senkten.
"All das hat zu Irritationen geführt, die eine Last für Länder geworden sind, und ich denke, dass es richtig ist, dies einzudämmen", sagte Österreichs Finanzministerin Maria Fekter in einem Radio-Interview. Die Regulierung der Ratingagenturen wird von den österreichischen EU-Parlamentsabgeordneten unterstützt. Der SPÖ und den Grünen gehen die Vorschläge aber nicht weit genug.
Damit die Gesetzesvorschläge überhaupt in Kraft treten, müssen die EU-Staaten und das Parlament noch zustimmen. Damit wird nicht vor Ende 2012 gerechnet.
Die Eckpunkte der neuen Regeln:
Transparenz
Die Agenturen müssen der Europäischen Finanzmarktaufsicht die Modelle vorlegen, wie sie überhaupt zu ihrer Notengebung kommen, und sich diese Modelle genehmigen lassen. Bisher waren die Notengeber immer dafür kritisiert worden, dass es vollkommen undurchsichtig ist, was auf harten Fakten und was auf Meinungen basiert.
Haftung
Für grob fahrlässig verursachte Bewertungsfehler sollen die Agenturen verklagt werden können.
Rotation
Eine Agentur soll den Emittenten eines Wertpapieres (bei Staatsanleihen also Staaten) nicht länger als drei Jahre bewerten dürfen.
Maulkorb
Für Krisenzeiten wollte EU-Kommissar Barnier eigentlich erreichen, dass die Agenturen die Bonitäts-Beurteilung von Ländern ganz aussetzen müssen. Auf diesen "Maulkorb"-Erlass konnte man sich in der EU-Kommission allerdings nicht einigen. Der Einwand: Ein Aussetzen der Bewertung könnte den gegenteiligen Effekt, nämlich Panik bei den Investoren, auslösen. "Die Idee war vielleicht ein bisschen zu innovativ", sagte Barnier.
Wettbewerb
Zudem will die EU-Kommission für mehr Wettbewerb in der Agenturszene sorgen. Die Idee einer Gründung von Ratingagenturen durch die EU-Kommission selbst wurde wieder verworfen. Diese würde bis zu 500 Millionen Euro kosten, "das haben wir nicht sofort zur Verfügung", sagte Barnier. Derzeit wolle er lieber an den bestehenden Agenturen arbeiten.
S&P warnt
Die neuen Regeln sind zwar durch den fehlenden "Maulkorb" zahmer als gedacht, wurden aber dennoch in der gesamten EU begrüßt. Gar nicht froh sind naturgemäß die Ratingagenturen über das Regelwerk. Standard&Poor's warnte umgehend vor einem Qualitätsverlust der Ratings. Sie würden als global einheitlicher Maßstab für Kreditwürdigkeit beschädigt, sagte eine S&P-Sprecherin.
Fitch: Franzose kontrolliert die Nr. 3
2100 Mitarbeiter
Die 1913 in New York von John Knowles Fitch gegründete Agentur ist eine Tochter der Fimalac-Holding. Diese gehört mehrheitlich dem französischen Geschäftsmann Marc Ladreit de Lacharrière, laut Forbes auf Rang 880 der Reichsten der Welt. Mit 2100 Mitarbeitern an 51 Standorten weltweit ist Fitch die Nr. 3 am Markt.
S&P: Tochter eines Medien-Konzerns
870.000 Bewertungen
Die Ursprünge des Konzerns gehen bis ins Jahr 1860 zurück. Seit 1941 ist Standard&Poor's auch als Ratingagentur tätig. 1966 wurde S&P vom US-Medienkonzern McGraw-Hill geschluckt. 2010 erzielte S&P 2,9 Mrd. Dollar Umsatz und veröffentlichte 870.000 Bewertungen. S&P ist auch für die Erstellung von Börsenindizes bekannt.
Moody's : Warren Buffet hält 12 %
40 Prozent Marktanteil
Die Agentur ist Hauptteil der börsenotierten Moody's Corporation. Die 1909 von John Moody gegründete Agentur lieferte Ratings zu Bahn-Anleihen. Bis 2009 besaß Investor Warren Buffett die Mehrheit, nun nur noch 12 Prozent. Der Rest ist Streubesitz. Umsatz 2010: 1,8 Mrd. Dollar. Moody's hält wie S&P 40 Prozent Marktanteil.
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