Radikales Ende für Öko-Förderung

Marc Hall, Vorstand der Wiener Stadtwerke: Gigantische Wertvernichtung durch zu viel Ökostrom.
Marc Hall, Vorstand der Wiener Stadtwerke, wünscht sich eine Wende in der Energiewende.

Der rasante Ausbau der Ökostromerzeugung in Deutschland und Österreich führt am Ziel vorbei: Statt Gaskraftwerken als Ersatz-Stromerzeuger für wind- und sonnenarme Zeiten laufen alte Kohlekraftwerke. Die klimaschädlichen CO2-Emissionen steigen. Marc Hall, für Energie zuständiger Vorstand der Wiener Stadtwerke, erklärt im KURIER-Gespräch, was schief läuft und fordert von der Politik ein rasches Umdenken in Sachen Ökostromförderung.

KURIER: Die Stromerzeugung in kleinen Wind- und Sonnenenergieanlagen boomt in Österreich und Deutschland. Wien Energie schreibt aber hohe Verluste. Was macht Wien da falsch?
Marc Hall:
Wien hat auch Ökoenergie, etwa im Biomassekraftwerk Simmering. Aber so viel Strom produzieren Öko-Anlagen auch wieder nicht, dass damit die Nachfrage gedeckt werden könnte. Die Strom-Grundversorgung kommt von Gas- und Wasserkraftwerken. Und Gas ist derzeit unwirtschaftlich. Wir haben unsere Gaskraftwerke auf null abschreiben müssen. Deutschland deckt die Grundversorgung mit Atom- und Kohle. Das ist das Dilemma. Die Gaskraftwerke, die weniger CO2 ausstoßen als die Kohlekraftwerke, fallen aus dem Markt.

Vertreter der Ökoenergiebranche sagen: Die Versorger sollen die Kohlekraftwerke abschalten, nicht die Gaskraftwerke ...
Das geht so einfach nicht. Denn wirtschaftlich betrachtet verdienen die Konzerne mit Braunkohlekraftwerken in Deutschland derzeit am besten. So viel Braunkohle wie jetzt wurde in Deutschland seit der Wiedervereinigung nicht mehr für Stromerzeugung eingesetzt.

Die Ökoenergie hilft also umweltschädlicher Braunkohle ...
Ja, die modernsten und emissionsärmeren Gaskraftwerke sind beim derzeit tiefen Großhandelsstrompreis nur mit Verlust zu betreiben. Ökostrom verdrängt also diese vergleichsweise sauberen Kraftwerke und lässt die schmutzigsten in den Markt.

Sollte die EU den Preis für CO2 erhöhen?
An diesem Rad will niemand drehen. Das würde der Industrie schaden. Es bringt nichts, wenn wir unsere Industrie nach Indien oder China drängen und dann die Produkte importieren. Der weltweite CO2-Ausstoß steigt dadurch, weil diese Länder weniger Umweltauflagen haben.

Was sollte die Politik tun?
Die erneuerbaren Energien müssen schnell in den Markt gebracht werden. Das heißt: Wir müssen die Förderung für den Ökostrom radikal beenden. In Deutschland wird erneuerbare Energie mit 20 Milliarden Euro im Jahr gefördert, der Strom ist am Markt aber nur zwei Milliarden Euro wert. Das geht nicht.

Wollen Sie den Ausbau von Ökostrom stoppen?
Wir haben schon genug. Das sieht man auch daran, dass die Großhandelsstrompreise immer wieder einmal negativ sind. Das heißt, die Abnehmer bekommen sogar Geld, weil es Strom im Überfluss gibt. Keine Förderung muss nicht das Ende von Wind- und Sonnenstrom muss bedeuten. Es wird weiter Standorte geben, die sich rechnen. Eine Anschubförderung könnte es zudem auch künftig geben.

Ohne Ökostromförderung könnten Energiekonzerne wohl wieder fette Gewinne schreiben ...
Das Angebot an Ökostrom hat den Großhandelspreis für Strom kräftig gedrückt. Das hat eine gigantische Wertvernichtung zur Folge: Die 20 größten börsenotierten Energiekonzerne Europas haben seit 2008 rund 500 Milliarden Euro an Wert verloren. Gaskraftwerke schreiben hohe Verluste. Ohne Ökostromförderung würde der Großhandelsstrompreis voraussichtlich steigen, Gaskraftwerke wären Gewinner.

Wie konnte es so weit kommen, dass die kleinen Ökostromanlagen den großen Energiekonzernen derart zusetzen?
Vieles ist nicht so gekommen wie geplant. Vor allem die Krise hat einiges dazu beigetragen. Die Finanzkrise hat den Ökostromausbau beschleunigt, weil viele Investoren den Öko-Bereich als Anlagemöglichkeit genutzt haben. Zudem hat die Krise die Nachfrage nach Strom stark gedrückt.

Die heimische Industrie ist in Alarmstimmung. Setze die EU den Plan, dass die Emissionen des klimaschädlichen CO2 bis 2030 um 40 Prozent unter das Niveau von 1990 fallen müssen, durch, habe das eine desaströse Wirkung für die Betriebe, warnt Stephan Schwarzer, Leiter der Umwelt- und Energiepolitik in der Wirtschaftskammer.

Das Klimaziel könne nämlich nur erreicht werden, wenn der Preis für die Tonne CO2 auf 30 bis 50 Euro steigen. "Das geht an die Substanz der Industrie. Das ist nicht zu schaffen", sagt Schwarzer. Betroffen wären insbesondere die voestalpine sowie Papier- und Zementindustrie. "Investitionen in Österreich würden sofort gestoppt. Der nächste Schritt wäre ein Abwandern der Industrie in Länder, wo CO2 nichts kostet", ist Schwarzer überzeugt.

Österreich würde Arbeitsplätze und Wirtschaftsleistung verlieren, dem globalen Klimaschutz aber sei damit nicht geholfen. Denn die Betriebe würden in anderen Ländern möglicherweise mit höheren Emissionen produzieren als hier zu Lande.

Gespalten

Den Ruf der Industrie hat Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner wohl gehört. Er dürfte beim EU-Ministerrat am morgigen Dienstag, bei dem die Klima- und Energieziele diskutiert werden, die Regierungslinie verlassen: Statt der im Regierungsübereinkommen festgelegten drei Ziele für 2030 – CO2-Reduktion, Ökoenergie und Energiesparen – soll er sich nur für ein sehr generelles Ziel einsetzen wollen. Umweltminister Andrä Rupprechter dagegen tritt ganz klar dafür ein, dass drei verbindliche Ziele festgelegt werden. "Ich will eine mutige europäische Klima- und Energiepolitik", sagt Rupprechter.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hält die Position Mitterlehners für brandgefährlich. Wenn es EU-weit kein Ziel für die Ökoenergie gebe, könnte die Atomkraft als CO2-freie Energie wieder aufleben. Das aber müsse Österreich verhindern.

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